Interim-Management in der Altenhilfe - ein Praxisbericht

Auch in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft stellt das Interim-Management für viele Einrichtungen und Träger eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Stellennachbesetzung von Führungspositionen dar (siehe Artikel zum Interim-Management von November 2020). 

 

Wir sprachen mit Frau Dr. Susanne Sünderkamp und Herrn Alfred Ruppel als Geschäftsführung der Verbundpartner St. Augustinus Al

Gespräch mit Dr. Susanne Sünderkamp und Alfred Ruppel über Erfahrungen mit dem Einsatz eines Interim-Managers in einem Altenhilfeverbund

 

Auch in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft stellt das Interim-Management für viele Einrichtungen und Träger eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Stellennachbesetzung von Führungspositionen dar (siehe Artikel zum Interim-Management von November 2020). 

 

Wir sprachen mit Frau Dr. Susanne Sünderkamp und Herrn Alfred Ruppel als Geschäftsführung der Verbundpartner St. Augustinus Altenzentrum GmbH in Nordwalde, St. Gertrudenstift GmbH in Greven und Haus Marienfried GmbH in Greven-Reckenfeld über ihre Erfahrungen und die Einsatzmöglichkeiten eines Interim-Managements in der Altenhilfe als Instrument der Reorganisation etablierter Führungsstrukturen und der Neuausrichtung auf eine mitarbeiterorientierte Matrix-Organisation.

Die drei Altenpflegeeinrichtungen bilden eine wesentliche Säule der (teil-)stationären und ambulanten Versorgung pflegebedürftiger Mitbürger in Nordwalde, Greven und Greven-Reckenfeld. Mit 250 stationären Plätzen, 30 Tagespflegeplätzen, einem gut etablierten ambulanten Pflegedienst sowie mit 120 betreuten Wohnungen und zwei Wohngruppen bietet der Verbund ein ganzheitliches Betreuungsangebot. Mit über 500 Mitarbeitern ist der Verbund ferner ein bedeutender Arbeitgeber in der Region.


Frau Dr. Sünderkamp, bitte beschreiben Sie uns zu Beginn Ihren Verbund.

Fr. Dr. Sünderkamp: Die Einrichtungen wurden vor fünf Jahren im Verbund als jeweils eigenständige GmbH unter die Leitung einer Geschäftsführung gestellt. Im Jahr 2019 wurde ich als promovierte Pflegeexpertin mit der Rolle der stellvertretenden Geschäftsführung im St. Gertrudenstift in Greven beauftragt und sollte die   Weiterentwicklung der Führungsstrukturen an allen Standorten mit aufbauen. Es hat sich gezeigt, dass die Zunahme an Komplexität und die Verdichtung der Arbeit eine große Herausforderung für die Entwicklung der Standorte darstellt.

Was waren die Beweggründe, sich auf einen Interim-Manager einzulassen?

Fr. Dr. Sünderkamp: Die zukünftige Geschäftsführung sollte in eine Doppelspitze überführt werden und mir wurde die Rolle der gleichberechtigten Mit-Geschäftsführerin angeboten. Die Komplexität der Steuerung von drei GmbHs im Team an unterschiedlichen Standorten, die Sicherstellung des operativen Tagesgeschäfts und meine Ansprüche an eine dem Menschen zugewandte Pflegeeinrichtung haben mich bewogen, die neu aufzusetzende Führungsstruktur mit externer Unterstützung zu initiieren.

Können Sie die Ausgangssituation kurz umreißen?

Fr. Dr. Sünderkamp: Die drei Gesellschaften hatten eine Vielzahl organisatorischer Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, von der Formulierung eines gemeinsamen Leitbildes über den Aufbau eines gemeinsamen Berichtswesens und gemeinsamer EDV-Strukturen bis hin zur Vereinheitlichung von Betreuungskonzepten, Vertragswerken und Personalangelegenheiten. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie wurde eine zusätzliche Dimension der organisatorischen Abstimmung und der daraus resultierenden Maßnahmen an allen drei Standorten notwendig. Das bisherige Konzept, mit einer kaufmännischen Geschäftsführung alle fachlichen Notwendigkeiten zeitgleich abzudecken, konnte der Aufgabenmehrung nicht mehr gerecht werden. Unterstützung und abgestimmte Konzepte waren zu diesem Zeitpunkt unumgänglich.

Welche Herausforderungen galt es zu meistern?

Fr. Dr. Sünderkamp:
Wir mussten neben der Bewältigung des Tagesgeschäfts einen Corona-Krisenstab etablieren, eine Vielzahl von Führungsgesprächen initiieren und zur Bewältigung der Pandemie standortübergreifend denken und in Präsenz effektiv steuern. Administration und Pflege mussten eng zusammenarbeiten, um die Vielzahl gesetzlicher Neuerungen in die Arbeitsbereiche mit Schulungen und Besprechungen konkret umzusetzen. Das Spannungsfeld zwischen Tagesgeschäft und aus der Coronakrise entstehenden Reorganisationsprozessen hat die gesamte Organisation schnell an ihre Grenze geführt.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Interim-Kollegen erlebt?


Fr. Dr. Sünderkamp:
Auf Basis einer guten Kommunikation und Berichtsstruktur haben wir die Ziele der Zusammenarbeit und die Führungsgrundsätze im Team formuliert. Für mich war es wichtig, dass der Interim-Kollege nicht nur in fachlicher Funktion Präsenz zeigte, sondern auch persönlich und inhaltlich die Werte der Organisation repräsentiert. Verlässlichkeit und das gemeinsame Ziel, sowohl die Mitarbeitenden mitzunehmen als auch die Bewohnerversorgung qualitativ sicherzustellen, haben unsere Zusammenarbeit geprägt.

Herr Ruppel, wie haben Sie die Rolle des Interim-Managers im täglichen Arbeiten erlebt?


Hr. Ruppel: Ich wurde sehr schnell von allen Mitarbeitern in meiner Rolle akzeptiert und konnte somit direkt in alle Änderungsprozesse mit eintreten. Wichtig in der Wahrnehmung der Interims-Rolle war es, nicht als Teilzeit-Mitarbeiter aufzutreten, sondern der Verantwortung für die eigene Aufgabe und der Verantwortung für die Mitarbeiter gleichermaßen gerecht zu werden. Es gibt einen Unterschied, ob ich als Ratgeber auftrete oder mein Handeln in der direkten Reflexion zum Mitarbeiter verantworten muss. Mitarbeiter geben Feedback. Dieses Feedback ernst zu nehmen, haben wir gemeinsam als unseren Führungsansatz gesehen.

Welche Meilensteine wurden definiert?

Fr. Dr. Sünderkamp: Wir mussten von einer streng hierarchischen Führungsstruktur zu einer eigenverantwortlichen Arbeitskultur kommen, die Entscheidungen der Führungskräfte ermöglicht und Lösungen für alle eröffnet. Hierzu haben wir eine Matrixorganisation entwickelt und als Doppelspitze die Verantwortung in die nächste Führungsebene übertragen. Der Ausbau von Budgetverantwortung in Zahlentransparenz und ein breites Schulungsprogramm mit Zugang für alle war uns wichtig.

Hr. Ruppel:
Über alle Veränderungen haben wir konkret informiert und viele Gespräche geführt. Der direkte und offene Austausch in allen Führungsgremien ist wichtig, um eine Identifikation mit dem kulturstiftenden Ansatz zu erreichen.

Wie wichtig war das Kompetenznetzwerk des Interims-Kollegen?

Fr. Dr. Sünderkamp: Sehr wichtig. Wir konnten zeitgleich Lösungen in einer Vielzahl von Administrations- und Prozessfragen bearbeiten und die Professionalisierung voranbringen. Uns haben vor allem die Steuer-, Rechts- und Altenhilfe­experten unterstützt, um die Flut an Anträgen und Vorgaben zu meistern. Sowohl bei unserer technischen Ausstattung als auch bei unseren personellen Ressourcen besteht für uns als mittelständische Einrichtung noch Nachholbedarf. Die Experten der Solidaris-Gruppe haben uns in der Geschäftsführung mit fachlicher Unterstützung Zeit verschafft, die notwendige Personalarbeit persönlich zu durchdringen und unsere Arbeit auf die Weiterentwicklung von Führungspositionen ausrichten zu können.

Wie sehen Sie Kosten und Nutzen des Einsatzes eines Interim-Managers?

Fr. Dr. Sünderkamp:
Eine Interims-Lösung wäre über eine längere Zeit sicherlich teurer, als eigene personelle Kompetenz zu schaffen. Um jedoch kurzfristig effiziente Entwicklungen voranzubringen, macht das Investment eindeutig Sinn. Wir konnten in kürzester Zeit eine Vielzahl von Maßnahmen, Anträgen und Steuerungsprozessen umsetzen, die die Gesamteinrichtung deutlich weiterentwickelt haben. In bestimmten Situationen ausgewählte Experten hinzuziehen zu können, hilft der Führungsebene, für die Gesamteinrichtung positive Mehrwerte zu generieren. Dies ist in ­unserem gemeinsamen Projekt mehr als gelungen. Am Ende übersteigt der Mehrwert deutlich die Kosten.

Würden Sie den Weg auch anderen Kollegen empfehlen? Auf was ist bei der Auswahl besonders zu achten?

Fr. Dr. Sünderkamp: Unbedingt. Ein Changemanagement sollte begleitet werden. Die Organisation erhält hierdurch aktuelles Fachwissen und kann schwierige Entscheidungen in einer sachlichen Grundhaltung zeitnah umsetzen. Selbstverständlich sollten ein Zeitplan und ein strukturiertes Projektmanagement die Grundlage des gemeinsamen Handelns widerspiegeln. Wichtig bei der Auswahl der Experten ist deren Verständnis für die Organisation als Ganzes. Pflegeeinrichtungen und Sozialeinrichtungen sind keine Fabriken. Hier braucht es soziale Erfahrung und branchenspezifisches Wissen.

Wie wichtig war die Koordinationsfunktion Ihres Kollegen zu den Gremien und den Gesellschaftern?

Fr. Dr. Sünderkamp:
Die Erfahrung von Herrn Alfred Ruppel hat mir den Kommunikationsrahmen im direkten Austausch mit den Abteilungsleitungen und Führungskräften aller Einrichtungen eröffnet, um operative Zwänge mit strategischen Fragestellungen direkt zu verknüpfen. Nach außen konnte ich die Pressearbeit abgestimmt koordinieren und wurde in der Arbeit mit internen Gremien deutlich entlastet. Als Mutter von drei kleinen Kindern konnte ich so zusammen mit Herrn Ruppel die zusätzlichen Aufgaben meistern.
 
Wie geht es nun in der Einrichtung weiter?

Fr. Dr. Sünderkamp: Im Ergebnis unseres gemeinsamen Projektes ist es gelungen, einen erfahrenen kaufmännischen Geschäftsführer zu gewinnen, der sich auch regional langfristig engagieren möchte. Die begonnenen Projekte und die Neuausrichtung der Führungsarbeit werden wir kontinuierlich ausbauen. Wir sind sicher, dass wir mit einer starken Führungsebene die Aufgaben meistern werden. Pflegekräfte sind nicht ersetzbar. Hier werde ich den nächsten Schwerpunkt setzen. Wir wollen neue Arbeitsplätze schaffen und weiterhin junge Leute ausbilden und für den Beruf Pflege begeistern. Wachstum, Innovation und Herzlichkeit bleiben die Grundlage unseres Konzepts, um den begonnenen Weg fortzuführen.

Frau Dr. Sündermann, Herr Ruppel, vielen Dank für die offenen Worte und den Einblick, den Sie uns in Ihr gemeinsames Projekt gegeben haben.

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