Versorgungsbedeutung von Krankenhausstandorten und Leistungsgruppen: Modell zur Planung und Folgeabschätzung der Krankenhausreform

Substantiierte Schätzungen der Folgen der Krankenhausreform stehen aktuell aus. Allein auf Basis der gesetzlichen Qualitätsberichte, die keine eindeutigen Bezüge zu den einzelnen Behandlungsfällen mehr zulassen, sind diese nicht möglich. Erst mit den im Rahmen des Transparenzgesetzes flächendeckend erhobenen Daten zu fallbezogenen Leistungen und zur standortbezogenen Strukturqualität sind belastbare Simulationsmodelle möglich.


Am 12.04.2024 stellte Gesundheitsminister Lauterbach im Rahmen eines „Praktiker-Treffens“ erste Ansätze eines Simulationsmodells vor, das von der AG Auswirkungsanalyse der Regierungskommission gemeinsam mit Vertretern des GKV-Spitzenverbandes erarbeitet und kürzlich im Monitor Versorgungsforschung (http://doi.org/10.24945/MVF.03.24.1866-0533.2606) veröffentlicht wurde.

Für die kleinräumige Beurteilung der Versorgungssicherheit im Bundesgebiet verwendeten die Autoren ein Modell aus 84.000 Marktzellen mit jeweils circa 1.000 Einwohnern. Für jede Marktzelle wurde ein an der maximalen Siedlungsdichte orientierter Mittelpunkt festgelegt und die Entfernung zu den Krankenhausstandorten bestimmt.


Maximal zumutbare Entfernungen für Leistungsgruppen definiert

Für die einzelnen Leistungsgruppen (LG) wurden maximal zumutbare Entfernungen (30, 45, 90 und 180 Minuten Fahrzeit) zum Ort der Versorgung definiert. Dreißig Minuten wurden beispielsweise für die allgemeine Innere, die allgemeine Chirurgie, aber auch die Stroke-Unit-Versorgung festgelegt. Für Endoprothetik und invasive Kardiologie wurden 45 Minuten, für Wirbelsäuleneingriffe 90 Minuten und für komplexe, planbare Eingriffe wie Rektum-Chirurgie oder Revisionsendoprothetik 180 Minuten definiert.

Analog zu den Vorschlägen im Referentenentwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) wurden in zwei Simulationsansätzen jeweils diejenigen Leistungserbringer von der Leistungserbringung ausgeschlossen, die zusammen die unteren 7,5 % oder 20 % der Leistungsmenge im entsprechenden Versorgungsgebiet erbringen.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Reduktion der Standorte in beiden Modellen nur unwesentlich zu einer Verschlechterung der Erreichbarkeit der Versorgung für die Bevölkerung führt. Bemerkenswert ist dabei allerdings, dass schon jetzt für einzelne Leistungsgruppen erhebliche Versorgungslücken aufgezeigt werden. So steht beispielsweise für fast 14 % der Bevölkerung keine Stroke-Unit-Versorgung, für 13,5 % keine Pädiatrie und für 9,6 % der Bevölkerung keine Augenheilkunde in der vermeintlich gebotenen Entfernung zur Verfügung.


Dieser Unterversorgung steht eine erhebliche, für die Autoren zur Disposition stehende, Überversorgung gegenüber. Von den aktuell insgesamt 16,5 Millionen somatischen vollstationären Fällen würden bei einer Kappungsgrenze von 7,5 % circa 1,2 Millionen und bei einer Kappungsgrenze von 20 % 3,2 Millionen Fälle „umverteilt“ werden. Dies entspräche einer geschätzten Kapazität von zwanzig- bis fünfzigtausend Bettenstellplätzen. Sowohl die Unterversorgung mit der Erfüllung eines Anspruchs auf eine nahe Versorgung als auch die Restrukturierung der Überversorgung dürfte dementsprechend mit einem gewaltigen Investitionsvolumen einher gehen.


Jenseits der Investitionserfordernisse bleibt ohne die ergänzenden Daten zur Strukturqualität die Frage offen, ob die verbleibenden Standorte, die zusätzliche Fälle aufnehmen sollen, überhaupt den Erfordernissen einer entsprechenden Leistungserbringung entsprechen.
Ebenfalls nicht bedacht und auch unter Berücksichtigung weiterer Daten unkalkulierbar bleibt die Frage, ob die nicht unerhebliche Zahl künftig schrumpfender Krankenhäuser überhaupt eine wirtschaftliche Konsolidierung bewerkstelligen kann. Zwar kündigt der Gesetzgeber prospektiv adäquate Ausgleiche von Kostensteigerungen über Anpassungen des Landesbasisfallwertes an, aber eine langfristige Kompensation sinkender Rentabilität als Folge von Umsatzrückgängen ist nicht vorgesehen.
 

Praxistipp:


Krankenhäusern ist daher zu empfehlen, sich frühzeitig mit verschiedenen Szenarien betreffs ihres Leistungsgruppenportfolios zu beschäftigen. Dies sollte sowohl gezielte Stärkungen ausgewählter Leistungssegmente als auch deren Aufgabe und eine Abschätzung der damit verbundenen wirtschaftlichen und strategischen Risiken beinhalten. Vor der anstehenden Transformation sollten - unabhängig von der aktuellen wirtschaftlichen Lage - alle möglichen Anstrengungen zur Optimierung der Qualität und Produktivität erfolgen. Dies umfasst eine systematische Evaluation der Leistungserbringung in den Kernprozessen und eine qualitativ hochwertige Kostenrechnung zur Generierung der notwendigen steuerungsrelevanten Informationen.

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