Verteidigung gegen die zwangsweise Durchsetzung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg befasst sich in seinem Urteil vom 29. März 2023 – 12 Sa 3/23 – mit der Frage, ob ein Arbeitgeber die Vollstreckung eines erstinstanzlich festgestellten Weiterbeschäftigungsanspruchs aufgrund vom ihm befürchteter künftiger Datenschutzverstöße des Arbeitnehmers abwenden kann.


Der Fall

Der Kläger war bei der Beklagten als SAP-Technikspezialist beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger im Wesentlichen wegen erheblicher Datenschutzverstöße fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2022. Der Kläger erhob eine Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht (ArbG) Mannheim gab mit Urteil vom 2. November 2022 – 10 Ca 125/22 – der Klage statt. Es führte aus, dass die Beklagte den Kläger vorher hätte abmahnen müssen. Die Beklagte legte Berufung gegen das Urteil ein und beantragte, die Zwangsvollstreckung des titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs vorläufig einzustellen. Die Vollstreckung des Urteils würde zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden der Beklagten führen. Sie begründete den Antrag mit der kurzen Urteilsbegründung und mit der Befürchtung, dass der Kläger weitere Datenschutzverstöße (Zugriff auf geschützte Personaldaten von Kollegen) begehen werde. Das Gericht habe sich mit den Argumenten der Beklagten nicht auseinandergesetzt. Es liege ein „Nichturteil“ vor, bei dem dasselbe gelten müsse wie bei einem offensichtlich falschen Urteil.


Die Entscheidung

Das LAG wies den Antrag als unbegründet ab. Den nicht wiedergutzumachenden Schaden (nicht zu ersetzenden Nachteil) habe die Beklagte nicht glaubhaft gemacht. Die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur Rechtskraft der Bestandsklage stelle für sich allein keinen unersetzbaren Nachteil dar, selbst wenn später die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt würde. Es müssten weitere besondere Umstände hinzukommen, damit die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs eingestellt wird. Denkbar wären der Wegfall des betreffenden Arbeitsplatzes und die daraus resultierende objektive Unmöglichkeit der Beschäftigung oder konkret zu befürchtende Schäden, die bei einer Beschäftigung drohen. Die Datenschutzverstöße des Klägers stellten keinen solchen besonderen Umstand dar, weil sie bereits Gegenstand der Überprüfung des erstinstanzlichen Gerichts waren und das erstinstanzliche Urteil nicht offenkundig fehlerhaft sei, so dass die Berufung der Beklagten nicht zwangsläufig Erfolg haben werde.

Eine äußerst lückenhafte oder gar vollkommen unzureichende Begründung des erstinstanzlichen Urteils führe nicht zwangsläufig dazu, dass die Erfolgsaussichten der Berufung im Ergebnis ganz offenkundig wären. Diese hängen von weiteren vom Berufungsgericht aufzuklärenden Umständen des Einzelfalls und deren Bewertung ab. Außerdem war der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nach Ansicht des LAG hinreichend bestimmt. Weiter führt das LAG aus, dass auch eine vermeintliche Unbestimmtheit des Urteils nicht zur Einstellung der Zwangsvollstreckung geführt hätte, da die Bestimmtheit des Titels im Rahmen der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines nicht zu ersetzenden Nachteils nicht geprüft werde.


Fazit

Die vorläufige Vollstreckbarkeit von arbeitsgerichtlichen Urteilen ist der Regelfall. Für eine Einstellung der vorläufigen Vollstreckbarkeit liegen die Hürde hoch. Ein bloßes offenkundiges Begründungsdefizit führt nicht unbedingt zu einer offenkundigen Ergebnisfehlerhaftigkeit eines Urteils. Nur die Ergebnisfehlerhaftigkeit jedoch rechtfertigt eine Einstellung der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Hier kommt es auf den Einzelfall an.

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