Keine Umsatzsteuer auf ambulant abgegebene Fertigarzneimittel?

Mit Urteil vom 9. Dezember 2020 – L 5 KR 2614/17 – hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden, dass eine Krankenkasse nicht verlangen kann, die gezahlte Umsatzsteuer auf ambulant abgegebene Fertigarzneimittel von dem Krankenhaus zurückerstattet zu bekommen. Das Bundessozialgericht hat dieses Utreil nun bestätigt.

 

Bundessozialgericht bestätigt erfreuliches Urteil

Mit Urteil vom 9. Dezember 2020 – L 5 KR 2614/17 – hatte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden, dass eine Krankenkasse nicht verlangen kann, die gezahlte Umsatzsteuer auf ambulant abgegebene Fertigarzneimittel von dem Krankenhaus zurückerstattet zu bekommen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dieses Urteil nun mit Beschluss vom 10. November 2021 – B 1 KR 5/21 B – bestätigt.

Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Beklagte betreibt ein psychiatrisches Fachkrankenhaus, eine psychi­atrische Institutsambulanz sowie eine Krankenhausapotheke. Die in der Institutsambulanz tätigen Krankenhausärzte gaben an Versicherte der Klägerin in den Jahren 2010, 2011 und 2012 Fertigarzneimittel (Ampullen und Fertigspritzen) zur ambulanten Behandlung ab. Die Beklagte rechnete die Kosten gegenüber der Klägerin auf der Grundlage des Apothekenvertrages nach § 129a SGB V zuzüglich Umsatzsteuer von 19 % ab.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Rückzahlung der Umsatzsteuer und verwies zur Begründung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. September 2014 – V R 19/11 – zur Umsatzsteuerfreiheit der Abgabe von Zytostatika durch eine Krankenhausapotheke. Die Umsatzsteuerfreiheit gelte auch für Fertigarzneimittel, die durch eine Krankenhausapotheke abgegeben würden. Dem hielt das Krankenhaus entgegen, dass sich weder aus der zitierten Entscheidung des BFH noch aus den Rundschreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) ergäbe, dass Fertigarzneimittel von der Umsatzsteuerfreiheit erfasst wären.

Das Krankenhaus konnte sich mit dieser Auffassung in allen drei Instanzen durchsetzen. Das LSG Baden-Württemberg führte zur Begründung aus, dass sich weder aus dem für die streitgegenständlichen Zeiträume der Jahre 2010 bis 2012 geltenden Apothekenvertrag nach § 129a SGB V noch aus der zitierten Entscheidung des BFH bzw. aus den Rundschreiben des BMF die Umsatzsteuerfreiheit für Fertigarzneimittel ergebe. Gemäß § 5 Abs. 3 des Apothekenvertrags nach § 129a SGB V sei der Apothekenabgabepreis um „den jeweils geltenden Mehrwertsteuersatz“ zu erhöhen. Im ­Übrigen sei in den Fällen, in denen die Abgabe nicht umsatzsteuerpflichtig sei, wegen der fehlenden Möglichkeit des Vorsteuerabzuges die Umsatzsteuer fiktiv aufzuschlagen.

Damit unterlägen die von Krankenhausapotheken abgegebenen Fertigarzneimittel zur Verabreichung an ambulante Patienten der Umsatzsteuerpflicht, zumal sich die in den Jahren 2010, 2011 und 2012 geltende Erlasslage bis zuletzt nicht geändert habe. Laut dem Umsatzsteuer-­Anwendungserlass (UStAE) sei nur die Abgabe von individuell für den einzelnen Patienten in einer Apotheke des Krankenhauses hergestellten Arzneimitteln (Beispiel: Zytostatika) als eng mit der ärztlichen Heilbehandlung verbundener Umsatz nach § 4 Nr. 14 b UStG umsatzsteuerfrei. Die Abgabe nicht patientenindividuell hergestellter Medikamente zur unmittelbaren ambulanten Behandlung von Patienten im Krankenhaus sei nach der derzeit geltenden Erlasslage umsatzsteuerpflichtig.

Ob der Regelsteuersatz von 19 % oder bei Gemeinnützigkeit des Krankenhausträgers der ermäßigte Steuersatz von 7 % nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG anzuwenden sei, sei allerdings noch nicht geklärt, da es hierzu weder finanzgerichtliche Rechtsprechung noch offizielle Verlautbarungen der Finanzverwaltung gebe. Eine etwaige ertragsteuerliche Einordnung bestimmter Abgaben zum Zweckbetrieb eines Krankenhauses bedinge nicht automatisch umsatzsteuerlich die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes.

Die von der Krankenkasse gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies das BSG mit der Begründung ab, das LSG habe zutreffend festgestellt, dass die von Krankenhausapotheken abgegebenen Fertigarzneimittel an ambulante Patienten nach der seit 2010 unverändert geltenden Erlasslage der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Den Sozialgerichten sei wegen der Allzuständigkeit der Finanzgerichte eine Entscheidung über die Frage, ob und mit welchem Steuersatz Arzneimittellieferungen einer Krankenhausapotheke unterworfen seien, verwehrt. Für diese Frage sei allein die Rechtsauf-fassung der Steuerverwaltung maßgeblich.
Die Krankenkassen haben diverse Verfahren bei den ­Sozialgerichten initiiert, in denen sie die Krankenhäuser auf Erstattung der Umsatzsteuer verklagt haben. Viele Verfahren sind derzeit ruhend gestellt. Eine ursprünglich noch für 2021 angekündigte Stellungnahme des BMF bzw. eine Änderung des UStAE steht jedoch bis heute aus.

Inzwischen haben einige Sozialgerichte ebenso wie das BSG eine Erstattungspflicht der Krankenhäuser verneint (Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 1. Dezember 2021 – S 16 KR 4146/19; Sozialgericht Konstanz, Urteil vom 26. August 2021 – S 1 KR 1/20; Sozialgericht Stuttgart, Urteil vom 27. Mai 2021 – S 6 KR 6045/19). Auch diese Urteile stellen maßgeblich darauf ab, dass die derzeitige Erlasslage nicht eindeutig den ermäßigten Steuersatz vorsehe und den Krankenhäusern damit bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes dessen risikofreie Durchsetzung gegenüber den Finanzämtern nicht möglich sei.

Praxis-Hinweis

Die dargestellte Rechtsprechung sowohl des BSG als auch der Sozialgerichte ist für Krankenhäuser auf den ersten Blick erfreulich, es ist jedoch stets zu prüfen, ob diese Rechtsprechung auf den jeweiligen Einzelfall Anwendung finden kann und wie zu reagieren ist. Die steuerlichen Entwicklungen sind dabei im Blick zu behalten. Ob die ambulante Abgabe von Fertigarzneimitteln im Krankenhaus nicht unter Umständen doch steuerfrei sein könnte (so ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Dessau vom 29. Oktober 2021 – 3 K 1024/17) oder der Regelsteuersatz von 19 % bzw. der ermäßigte Steuersatz von 7 % anwendbar ist, entscheidet nämlich letztlich der BFH. Bezüglich des weiteren Vorgehens empfehlen wir eine enge Abstimmung zwischen Ihnen und Ihren rechtlichen sowie steuerlichen Beratern.
 

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