„No Future“ oder Licht am Horizont? Perspektiven für Krankenhäuser heute

Die Situation in der Gesundheitswirtschaft bleibt auch im neuen Jahr herausfordernd. Über die Möglichkeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen, sprachen wir mit der Leitung unseres Geschäftsbereichs Unternehmensberatung, Claudia Schürmann-Schütte und Matthias Hennke.


Hatten wir es bislang vor allem mit dem Fachkräftemangel, der Investitionssteuerung und der mangelnden Refinanzierung von Vorhaltekosten zu tun – Sachverhalte, die sich bereits langfristig abzeichneten und leidlich unter Kontrolle waren –, so sind mit der Corona-Krise und dem kriegsbedingten Energiepreis-Schock völlig unkalkulierbare Faktoren hinzukommen.

Die teilweise dramatischen Entwicklungen in den letzten Jahren haben viele Krankenhäuser in eine existen­ziell bedrohliche Situation gebracht. Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen stellte ihr KGNW-Forum im Dezember 2022 gar unter das Motto „No Future?“.

Ist die Situation in der Tat hoffnungslos, oder gibt es auch Chancen? Was zeichnet den vernünftigen Umgang mit Risiken in diesen Zeiten aus?

Matthias Hennke: Der stark verbreitete Pessimismus in den Krankenhäusern ist durchaus verständlich. Viele Jahre lang hat man sich bemüht, den Widrigkeiten des auf stetigen Effizienzgewinn ausgerichteten Finanzierungssystems und der mangelhaften Refinanzierung der Investitionskosten durch Mehrleistung zu trotzen. Dabei wurden unternehmerische Gestaltungsspielräume genutzt, die jedoch sukzessive immer weiter geschrumpft sind.

Durch die Einführung der mehrjährigen Mehrleistungsabschläge, die weitgehend auf Ist-Kosten-Refinanzierung umgestellte psychiatrische Versorgung und die ebenfalls auf Ist-Kosten-Refinanzierung umgestellte somatisch-pflegerische Versorgung wurden die Möglichkeiten, durch Umgestaltungen zusätzliche Erträge zu erwirtschaften, extrem begrenzt. Gleichzeitig wurde der bestehende Fachkräftemangel im pflegerischen Bereich durch die Pflegepersonaluntergrenzen transparent und kapazitätsbegrenzend wirksam. Trotz der im Zuge der Pandemie reduzierten Patientenzahlen können die Häuser nun in weiten Teilen der Krankenhauslandschaft nicht mal mehr die bestehende Nachfrage nach Krankenhausbehandlung befriedigen. Daran wird sich nach Lage der Dinge auch so bald nichts ändern. Wir sehen uns also mit der Herausforderung konfrontiert, den Umfang unserer stationären Versorgung deutlich zu reduzieren und damit an das Niveau anzupassen, das in anderen europäischen Staaten als hinreichend angesehen wird. Damit wird der jahrelange kalte Strukturwandel nun immer heißer.

Claudia Schürmann-Schütte: Bei vielen unserer Mandanten lag die Fallzahl im Jahr 2022 immer noch 10 bis 15 % unter derjenigen aus dem Jahr 2019. Wir sehen auch, dass dies keine unmittelbare Folge der Pandemie, sondern eine stetige und damit langfristige Veränderung ist. Es fehlen insbesondere Fälle mit kurzer Verweildauer, mit niedrigem Fallgewicht und Aufnahmen über die Zentralen Notaufnahmen oder aus stationären Pflegeeinrichtungen. Das alles deutet auf ein grundsätzlich verändertes Verhalten bei der Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen hin. Leistungsreduktionen in der Größenordnung von 5 % und mehr sind wirtschaftlich kaum zu kompensieren und führen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu negativen Jahresergebnissen.

Sie würden also hinter das „No Future“ ein Ausrufungszeichen setzen?

Schürmann-Schütte: Nein, absolut nicht. Allerdings sind wir in eine Lage geraten, in der es nun wirklich nicht mehr so weitergeht wie bisher. Doch es gibt Licht am Horizont. Mit der neuen Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen macht erstmals ein Bundesland den ernsthaften Versuch einer Flurbereinigung und einer Einhegung der ungezügelten Konkurrenz der Träger. Schon die Ankündigung dieses Projektes hat unserer Wahrnehmung noch einen Schub in Richtung sinnvolle Fusionsprojekte zwischen Krankenhäusern mit einer Strukturbereinigung aus eigener Kraft gebracht.

Wenn der nun angelaufene Umsetzungsprozess zügig und erfolgreich verläuft, kann dies einen durchaus ertüchtigenden Effekt im Sinne von weniger, größeren und wirtschaftlicheren Kliniken bzw. Fachabteilungen haben. Allerdings muss die Bevölkerung auf diesem Weg unbedingt mitgenommen werden. Dafür sind die regionalen Versorgungsbedürfnisse sektorübergreifend und inklusive der Rettungsmedizin zu analysieren. Es müssen Gelegenheiten geschaffen werden, Bedürfnisse zu artikulieren. Wir empfehlen hier dringend – neben den bereits erwähnten umfänglichen Analysen – Transparenz und einen moderierten ­Bürgerdialog.

Werden aber nicht die größeren Veränderungsimpulse von der Bundesebene ausgehen?

Hennke: Sicherlich. Auch die Gesetzgebung des Bundes setzt auf tiefgreifende Reformen. Die von der Regierungskommission angekündigte Umstellung eines großen Teils der laufenden Krankenhausfinanzierung auf eine Finanzierung von Vorhaltekosten statt von Einzelleistungen hat auf jeden Fall einen stabilisierenden Effekt. Dies betrifft insbesondere Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen mit mangelnder Nachfrage.

Gleichzeitig dürfte langfristig die Festschreibung der Rolle einzelner Krankenhausstandorte durch Versorgungsstufen und diesen zugeordneten Leistungsgruppen die krankenhausindividuellen Handlungsspielräume weiter reduzieren. In der angekündigten Übergangsfrist von fünf Jahren werden sich viele Träger und Klinikstandorte neu strukturieren. Die Unterschiede in den Strukturanforderungen der vorgeschlagenen Versorgungsstufen und damit in den sprungfixen Vorhalteaufwendungen sind erheblich. Vielerorts wird ein Runterskalieren auf Versorgungsstufe I die einzige wirtschaftliche Lösung sein. Vielen spezialisierten urbanen Standorten wird das Erreichen der Stufe II nur durch Fusionen mit anderen Standorten im Umkreis von fünf Kilometern möglich sein.

Das sind starke langfristig wirksame Impulse. Gibt es auch kurzfristige?

Schürmann-Schütte: Eine wichtige kurzfristig wirksame Innovation werden die neu kommenden Tagesbehandlungen sein – vor allem, wenn bei ihnen die Prüfung auf sekundäre Fehlbelegung wie angekündigt weitgehend entfällt. Sie werden vor allem denjenigen Krankenhäusern nutzen, die die stationäre Nachfrage aufgrund von Personalmangel nicht mehr bedienen können. Mit den Tagesbehandlungen können zwingend mehrtägig stationär behandlungsbedürftige Patienten priorisiert werden, ohne dass ein Krankenhaus auf die Leistungssegmente leichter erkrankter Patienten, die für die Auslastung von OP und Funktionsbereichen auch wichtig sind, verzichten muss. Dies wird mutmaßlich eher prosperierenden und konkurrenzfähigen Häusern in städtischen Ballungsräumen zum Vorteil gereichen.

Ebenfalls kurzfristig im Sinne der Leistungsreduktion wirksam wird die Reform der Notfallversorgung sein, die der kassenärztlichen Vereinigung mehr Macht in der Fallsteuerung geben und insbesondere lange ambulante Aufenthalte in den Zentralen Notaufnahmen besser refinanzieren soll. Dadurch können zukünftig niederschwellige stationäre Aufnahmen eher unterbleiben und Belegungen sowie Leistungen auf der Normalstation für diese Patienten entfallen.

Das klingt nach tiefgreifenden Veränderungen, die dem Management wenig proaktiven Handlungsspielraum lassen. Was bedeutet das für die mittelfristige Unternehmensplanung?

Hennke: In Zeiten großer Unsicherheit kommt Transparenz eine besondere Bedeutung zu. Dies kann bei der Unternehmensplanung beispielsweise durch unterschiedliche Szenarien bewerkstelligt werden. Die weitverbreitete Annahme, dass sich das Leistungsniveau von 2019 in nächster Zeit wieder einstellen wird, ist hier sicherlich ein „Best-Case-Szenario“. Aber es sollten auch andere Verläufe mit dauerhafter Fallzahlminderung und der Verlagerung von Leistungen in den Bereich von Tagesleistungen oder in die ambulante Leistungserbringung bewertet werden. Ähnliches gilt für den Bereich der Kosten. Es empfiehlt sich, auch für das Szenario der Unterdeckung Maßnahmenpakete zu definieren. Die Aufgabe ganzer Leistungssegmente zu kalkulieren, kann in diesem Zusammenhang ebenfalls sinnvoll sein. Dies sind sehr fordernde Aufgaben für die Führungsetagen der Krankenhäuser, die ebenfalls häufig unter Personalmangel leiden und in den letzten Jahren viele Zusatzaufgaben bekommen haben.

Schürmann-Schütte: Die Ungewissheiten sind so spürbar wie selten zuvor. Deshalb ist aus unserer Sicht insbesondere jetzt eine gute Planungsrechnung dringend notwendig. Viele Häuser stehen vor der Frage, wie die Liquidität im Laufe des Jahres 2023 sichergestellt werden kann. Trotz dieser angespannten Situation werden Liquiditätsplanungen immer wieder vernachlässigt. Doch gerade in ungewissen Zeiten kann eine regelmäßige Liquiditätsprognose dabei helfen, frühzeitig das Gespräch mit Gesellschaftern oder Banken zu erleichtern. Ungewissheiten können durch Szenarien transparent dargestellt werden.

Nicht außer Acht zu lassen ist auch, dass der Gesetzgeber seit 2021 ein Frühwarnsystem fordert, das eine angemessene Planungsrechnung verlangt. Dabei ist neben der Ergebnisplanung auch eine sachgerechte ­Liquiditätsplanung gefordert.

Ihr Fazit?

Schürmann-Schütte: Für viele Krankenhäuser dürften die genannten Entwicklungen mit einer grundlegenden Änderung der etablierten Strukturen, Prozesse und Geschäftsmodelle einhergehen. Um zum Beispiel ambulante Leistungen zu erbringen, werden ganz andere Strukturen und Prozesse benötigt als für stationäre Leistungen. Um der Entwicklung bestmöglich begegnen zu können und sie idealerweise sogar für sich zu nutzen, ist im ersten Schritt eine ganzheitliche Potenzialanalyse und Wirtschaftlichkeitsberechnung verschiedener Szenarien dringend zu empfehlen.

Hennke: In der aktuellen Situation ist es unseres Erachtens besonders wichtig, weniger auf Wettbewerb, der politisch nicht mehr intendiert ist, als auf Kooperation zum Wohle der Patienten und der Versorgung im Einzugsgebiet zu setzen. Auch in denjenigen Bundesländern, die noch keine neue, auf Leistungsgruppen und Leistungskonzentrierung ausgerichtete Krankenhausplanung aufgesetzt haben, erscheint es uns sinnvoll, trägerübergreifende Portfoliodiskussionen zu führen, um Doppelvorhaltungen zu reduzieren, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren und das Spektrum optimal an die regionalen Bedürfnisse anzupassen. Es bleiben spannende Zeiten für Krankenhäuser – aber auch für betriebswirtschaftliche, strategische und medizinrechtliche Konzepte.

Frau Schürmann-Schütte, Herr Hennke, wir danke Ihnen für das Gespräch!

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Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Partnerin, Leitung Geschäftsbereich Unternehmensberatung
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Geschäftsführer Solidaris Unternehmensberatungs-GmbH

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