Der Fall
Die Klägerin betreibt mehrere Logistikzentren, welche Waren ausliefern, die einer Termingarantie unterliegen. In einem dieser Zentren werden auf einer Arbeitsfläche von 64.000 m² von ca. 2.000 Mitarbeitern pro Tag 220.000 Pakete an Kunden versandt. Das Logistikzentrum ist in drei Arbeitsbereiche unterteilt, die in verschiedene Prozesspfade untergliedert sind, zum Beispiel die Warenannahme mit den Pfaden Entladung, Annahme und Einlagerung der Waren. Die Prozesspfade sind über komplexe Fördersysteme miteinander verbunden. Die Mitarbeiter werden abwechselnd auf allen Prozesspfaden eingesetzt. Sie dokumentieren ihre einzelnen Arbeitsschritte mit einem Handscanner. Eine Software wertet die mit den Handscannern erhobenen Echtzeitdaten im Hinblick auf die Team- sowie die Individualleistung der Mitarbeiter aus. Die Auswertungen nutzt die Klägerin zur Steuerung der Logistikprozesse, zur Steuerung der individuellen Qualifizierung ihrer Mitarbeiter sowie zur Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für Feedbackgespräche und Personalentscheidungen wie die Entfristung. Eine Minderleistung hat keinen Einfluss auf den Stundenlohn. Die Leistungserfassung nutzt die Klägerin, um Schwankungen und Störungen im Ablauf der Prozesse, etwa Warenstau, zu erkennen und durch das Verschieben ihrer Mitarbeiter auf andere Prozesspfade auf die Störungen ad hoc zu reagieren. Mit leistungsstarken und leistungsschwachen Mitarbeitern führt die Klägerin Feedbackgespräche im zweiwöchigen Turnus. Mit neuen Mitarbeitern wird das Feedbackgespräch nach ihrer Einarbeitungsphase von zehn Wochen und mit den durchschnittlichen Mitarbeitern quartalsweise geführt. Die Daten selbst werden drei Monate und die Feedbackvorschläge bis zu zwölf Monaten gespeichert. Die Erfassung dieser Daten, mithin die Überwachung, ist den Mitarbeitern bewusst.
Mit ihrem Bescheid vom 28. Oktober 2020 untersagte die Datenschutzaufsichtsbehörde die oben dargestellte Form der Datenerhebung. Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Klage.
Die Entscheidung
Das VG Hannover gab der Klage statt und entschied, dass die Klägerin die Daten ihrer Mitarbeiter gestützt auf Art. 88 DS-GVO i. V. m. § 26 BDSG rechtmäßig verarbeite und die Datenschutzaufsichtsbehörde daher nicht einschreiten musste. Selbst wenn der EuGH im Rahmen eines aktuell anhängigen Vorlageverfahrens entscheide, dass § 26 BDSG den Anforderungen des Art. 88 Abs. 2 DS-GVO nicht genügt, so wäre die Datenverarbeitung gestützt auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO rechtmäßig, da nach Ansicht des VG Hannover beide Rechtsgrundlagen eine Abwägung der Interessen des Arbeitsgebers und der Mitarbeiter erfordern. Eine gleichzeitige Anwendung von § 26 BDSG und Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO schließt das Gericht im Gegensatz zum BAG aus.
Die Datenverarbeitung sei für die Erreichung der Zwecke und damit die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der komplexen Prozessabläufe, der Größe der betrieblichen Räumlichkeiten und der Anzahl der Mitarbeiter erforderlich, wobei das Gericht klarstellt, dass Informationen, welche für den Arbeitgeber lediglich nützlich seien, eine Verarbeitung nicht legitimieren. Weiterhin ist das Gericht der Auffassung, dass nicht nur quantitätsbezogene, sondern auch qualitätsbezogene Leistungsdaten für die Sicherung der Logistikprozesse erforderlich seien. Mildere Mittel wie Pager, um mit den Mitarbeitern in Kontakt zu treten, seien für die von der Klägerin verfolgten Zwecke nicht ausreichend. Eine punktuelle Erfassung der Leistung sei nicht effizient genug und gefährde damit die termingerechte Erfüllung der Liefergarantie. Die Vorgesetzten seien nicht in der Lage, die vielfältigen Prozesse in Echtzeit zu überblicken und zu analysieren. Die Einschränkung der Einsätze auf bestimmte Prozesspfade verwehre einen flexiblen Einsatz der Mitarbeiter, was letztendlich ebenfalls zu einem Effizienzverlust führe. Die Echtzeitdatenanalyse ermögliche eine schnelle Reaktion.
Der wechselnde Feedbackturnus sei nicht zu beanstanden. Bei diesem Geschäftsmodell sei die Beurteilung der Arbeitsleitung auf andere Weise nicht möglich. Ein IT-basiertes Feedback sei objektiv und es stelle sicher, dass alle Mitarbeiter gleichermaßen ein Feedback erhalten.
Die Speicherung von Feedbackvorschlägen und der Feedbackhistorie für zwölf Monate sei aus der Sicht des Gerichts zwar rechtlich bedenklich, aber gerade noch nicht als rechtswidrig anzusehen.
Die Datenverarbeitung sei angemessen, weil die Interessen der Mitarbeiter nicht die des Arbeitgebers überwiegen. Trotz der großen Datenmenge sei die Eingriffsintensität nicht hoch. Die Mitarbeiter würden nicht übermäßig belastet, da die Datenerhebung offen und transparent erfolge und die Mitarbeiter dieser gegenüber positiv eingestellt seien. Es handele sich um Daten aus dem geschäftlichen Bereich und nicht aus der Privat- oder Intimsphäre (Verhalten am Arbeitsplatz, Bewegungsprofile etc.) der Mitarbeiter. Die erhobenen Daten zählen nicht zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO. Daher sei der Mitarbeiter für die Klägerin nicht „gläsern“. Ob die Mitarbeiter unter einem permanenten Anpassungs- und Leistungsdruck stehen, hänge davon ab, welche Konsequenzen an die Datenlage geknüpft seien. Im streitigen Fall könne das Gericht keinen solchen permanent Druck erkennen, denn die Leistungsermittlung wirke sich leidglich auf die Entscheidung über die Entfristung oder weitere Befristung eines Mitarbeiters aus. Bei der Besetzung von Beförderungsstellen geben weitere Fähigkeiten und persönliche Merkmale den Ausschlag. Dies senke die Bedeutung von Leistungsdaten. Dass Mitarbeiter aufgrund der Datenerfassung und des „Zeitfaktors“ während ihrer Arbeitszeit Toilettengänge meiden, halte das Gericht für nicht erwiesen. Die Wege von den Arbeitsplätzen zu den Toiletten seinen im Logistikzentrum kurz. Trinkpausen können jederzeit eingelegt werden. Den Interessen der Klägerin an einer effizienten Steuerung der Logistikprozesse sei Vorrang einzuräumen.
Die Datenverarbeitung erfolge entsprechend der datenschutzrechtlichen Grundsätze (Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz). Für die Transparenz sei es ausreichend, dass den Betroffenen ein grundsätzliches Verständnis darüber vermittelt werde, wie, durch wen und zu welchen Zwecken die Daten verarbeitet werden. Ein Verständnis über die technischen Details der Verarbeitung sei nicht erforderlich.
Schließlich seien die Mitarbeiter durch die Feedbackvorschläge keiner gem. Art. 22 Abs. 1 DS-GVO unerlaubten automatisierten (Profiling-) Entscheidung unterworfen.
Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.
Fazit
Die Erhebung von Leistungsdaten der Mitarbeiter verstößt nicht grundsätzlich gegen den Datenschutz. Wie die Entscheidung des VG Hannover zeigt, kommt es jedoch auf den Einzelfall an. Selbst das Gericht räumt ein, dass das Urteil nicht auf alle Logistikzentren gleichermaßen Anwendung findet. Ob die sehr arbeitgeberfreundlichen Urteilsgründe einer Überprüfung standhalten werden, bleibt abzuwarten.