Interview: Handlungsfähig in schwierigen Zeiten – Perspektiven für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft

Die Situation in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bleibt auch im neuen Jahr schwierig. Über die aktuellen Herausforderungen und die Möglichkeiten, ihnen mit Zuversicht zu begegnen, sprachen wir mit den Leitern unserer Unternehmensberatung, Frau Claudia Schürmann-Schütte und Herrn Matthias Hennke.


Frau Schürmann-Schütte, Herr Hennke, auch das Jahr 2023 verlief turbulent für die Träger und Einrichtungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Laut dem aktuellen Krankenhaus-Barometer erwarten 80 Prozent der Krankenhäuser für 2023 ein negatives Jahresergebnis. Nur sieben Prozent der Häuser erwarten, dass sie 2023 mit einem positiven Ergebnis abschließen können. Gleichzeitig gehen fast dreiviertel der Häuser davon aus, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im Jahr 2024 weiter verschlechtern wird. Das sind höchst besorgniserregende Zahlen. Wie konnte es so weit kommen?

Schürmann-Schütte: Wir hatten zwischen November 2021 und November 2023 eine historisch hohe Inflationsrate mit einem Maximum von fast 9 % Ende 2022. Seither hat sich die Lage deutlich stabilisiert, so dass wir nun wieder bei beinahe normalen rund 3 % liegen. Im Krankenhaussektor ist diese extreme Entwicklung mit der üblichen Verzögerung erst in 2023 voll in die Kostenstruktur eingegangen. Der Veränderungswert, der den Landesbasisfallwerten zugrunde liegt, betrug aufgrund des für die Kostenveränderungen festgelegten, vor dem Inflationsmaximum gelegenen Zeithorizonts lediglich etwas über 4 %. Erst mit dem Veränderungswert für das Jahr 2024 von rund 5 % wird die Inflation der Jahre 2022 und 2023 teilweise abgebildet. Diese gesetzlich festgelegte „verzögerte“ Refinanzierung war in Zeiten konstant niedriger Inflation für die Krankenhäuser noch einigermaßen kompensierbar. Nun reißt sie erhebliche Lücken in die Liquidität und belastet die Ergebnisse.

Hennke: Hinzu kommt, dass sich die Leistungszahlen in den meisten Kliniken nach der Pandemie nicht voll erholt haben und weiterhin deutlich unter denen von 2019 liegen. Wir sehen hier nur wenige Ausnahmen, die meist durch den Wegfall von Wettbewerbern oder eine dominierende Marktposition erklärt werden können. Insgesamt sehen wir für die Zukunft einen stetig schrumpfenden Markt mit Überkapazitäten in der stationären Versorgung, Fachkräftemangel und daraus resultierenden Anpassungsproblemen, insbesondere im Bereich der Vorhalterefinanzierung.

Hinsichtlich der Vorhaltefinanzierung gab es große Hoffnungen, die mit den Empfehlungen der Reformkommission und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Krankenhausreform geweckt wurden. Noch im Februar 2023 war Gesundheitsminister Lauterbach zuversichtlich, dass die Krankenhausreform und die damit angekündigte Vorhaltefinanzierung bis zum Sommer stünden. Nun haben wir 2024 und es ist nichts Konkretes in Sicht. Ist die Reform gescheitert?

Hennke: Nein, davon gehen wir nicht aus. Der Bund wird diese Reform zu Ende führen, selbst wenn schlussendlich nur noch wenig von der ursprünglichen Intention der Regierungskommission übrigbleiben dürfte. Aber es ist zunächst einmal wichtig klarzustellen, dass die beabsichtigte Krankenhausreform für die aktuellen Probleme der Krankenhäuser keine kurzfristigen Lösungen bereitstellen wird und auch nicht diesen Anspruch hat. Unter der Prämisse, dass es im Wesentlichen kein zusätzliches Geld geben wird, ist eine Marktbereinigung beziehungsweise eine innerbetriebliche Konsolidierung der sich aufdrängende Lösungsweg. Für die Versorgung der Bevölkerung ist dabei nur zu hoffen, dass der Wegfall versorgungsnotwendiger Leistungen, wenn irgend möglich, vermieden wird.

Schürmann-Schütte: Die marktbereinigenden Effekte der Krankenhausreform, so wie sie uns aktuell als Konzept vorliegt, werden, wenn überhaupt, erst Anfang der 2030iger Jahre eine positive ökonomische Wirkung entfalten. Mit der Definition der Leistungsgruppen und eines Vorhaltebudgets auf Landesebene könnten die Länder das Preisniveau der Refinanzierung laufender Betriebskosten auf dem Weg der Krankenhausplanung kleinteilig mitgestalten, indem sie die Anzahl der Marktteilnehmer bei gegebenem Vorhaltebudget minimieren. Nicht wenige Krankenhausträger dürften dementsprechend zukünftig als Lobbyisten für eine marktkonsolidierende Krankenhausplanung auftreten. Ob diese Konstellation die einzelnen Länder dazu bewegt, entsprechend zu planen, wird Gegenstand regionaler politischer Interessenabwägungen sein und bleibt demnach offen. Verbindliche algorithmisch wirkende Regelungen zur Krankenhausplanung, die regionale Versorgungsbedarfe reflektieren und auch Obergrenzen der Anzahl an Versorgungsaufträgen bundeseinheitlich festlegen, lehnen die Länder bislang ab.

Das bedeutet, es ist völlig unklar, ob und in welchem Umfang sich die Krankenhausreform auswirken wird?

Hennke: Ja, das sieht leider so aus. Es bleibt zu hoffen, dass durch eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten positive Veränderungen für die Krankenhäuser, deren Mitarbeiter und vor allem auch für die Patienten erreicht werden können. Dabei unterstützen wir unsere Mandanten mit lösungsorientierten Beratungsansätzen so gut es geht.

Wie wird es dann insgesamt im Jahr 2024 ökonomisch weitergehen? Was raten Sie den Trägern und Einrichtungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft?

Schürmann-Schütte: Im Jahr 2024 könnten auch ehemals wirtschaftliche Unternehmen in die Krise geraten. Eine kritische Bestandsaufnahme der eigenen ökonomischen Situation und der mittelfristigen Perspektive scheint daher bei aller Unsicherheit über die Rahmenbedingungen dringend angezeigt. Vielen noch nicht optimal aufgestellten Mandanten raten wir daher zu einer monatlichen Liquiditätsplanung und einer mehrjährigen Unternehmens- und Liquiditätsplanung, die unterschiedlich gute und weniger gute Szenarien abbildet. Die Notwendigkeit zur Restrukturierung sollte rechtzeitig erkannt und das Zeitfenster hierzu optimal genutzt werden. Häufig erleben wir, dass Maßnahmen verschleppt werden, weil doch noch auf bessere Rahmenbedingungen gehofft wird. Daher empfehlen wir gerade im Kontext strategischer Entscheidungen wie beispielsweise Portfoliobereinigungen, abgestufte konkrete Maßnahmen auszuarbeiten, die beim Vorliegen definierter messbarer Kriterien dann zügig zur Umsetzung kommen.

Gibt es in der aktuellen Situation Themen, die in solchen mittelfristigen Szenarien unbedingt bedacht werden sollten?

Hennke: Stets lohnt sich ein Blick auf die Wettbewerber, ihr Portfolio und ihre wirtschaftliche Situation. Strukturbereinigungen im Umfeld können sich positiv auswirken und sollten im Sinne der Versorgungssicherheit proaktiv thematisiert und kooperativ gestaltet werden. Zu den Standards, die wir empfehlen, gehören auch mittelfristige Bedarfsprognosen, die differenziert einzelne Leistungsfelder unter demografischen Gesichtspunkten betrachten. Aspekte wie ambulante Substituierbarkeit der Leistungen und Verweildauerentwicklung gehören natürlich auch mit dazu. Mindestens genauso wichtig sind auch Prognosen zum Personalbedarf. Wir wissen seit Jahren, dass die Gesundheits- und Sozialwirtschaft hier fast unabwendbar auf einen Engpass zuläuft, der allerdings regional stark variiert.

Apropos Personalbedarf: Führungspositionen können befristet durch Interim Manager besetzt werden, sowohl auf erster Ebene – Geschäftsführer, Vorstände, Direktoren – als auch auf zweiter Ebene bei der Übernahme von Abteilungsführungsverantwortung. Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus Mandantensicht aus dem Einsatz von Interim Managern?

Schürmann-Schütte: Interim Manager bieten zahlreiche Chancen, jedoch ist es aus Mandantensicht essenziell, diese sorgfältig mit den potenziellen Risiken abzuwägen. Zu den Chancen zählen die rasche Anpassungsfähigkeit und das breite Expertenwissen der Interim Manager. Sie können auf unvorhergesehene Ereignisse zügig reagieren und eine stabilisierende Rolle übernehmen. Diese Führungskräfte sind in der Lage, Organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung langfristiger Strategien zu unterstützen, um den sich wandelnde Anforderungen der Branchen gerecht zu werden. Sie geben auch ihr Wissen und ihre Erfahrung an bestehende Teams weiter, was langfristig positive Auswirkungen haben kann. Andererseits könnten Herausforderungen auftreten, wenn Interim Manager Schwierigkeiten haben, sich in bestehende Teams zu integrieren. Die Abhängigkeit von Einzelpersonen kann ebenfalls zu Problemen führen. Die temporäre Natur ihrer Position kann zudem Unruhe und Unsicherheit in der Belegschaft auslösen.

Dass Sie das Interim Management bei sich als eigenständiges Geschäftsfeld implementieren, deutet darauf hin, dass Sie es als eine zukunftssichere Geschäftspraxis ansehen.

Hennke: Ja, da haben wir noch viel vor. Das Interim Management ermöglicht es Unternehmen in einer dynamischen Zeit, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren, ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen – ein entscheidender Aspekt besonders in Zeiten unvorhersehbarer Herausforderungen. In Krisenzeiten ermöglicht das Interim Management Unternehmen eine rasche und gezielte Anpassung an sich ändernde Umstände. Die steigende Komplexität in verschiedenen Themenfeldern hat die Nachfrage nach spezialisierten Fachkräften erhöht, und Interim Manager bringen oft genau dieses spezifische Fachwissen und die nötige Erfahrung in Transformationsprozessen mit.

Frau Schürmann-Schütte, Herr Hennke, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Partnerin, Leitung Geschäftsbereich Unternehmensberatung
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Geschäftsführer Solidaris Unternehmensberatungs-GmbH

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