WfbM: Kein Anspruch auf einen bestimmten Steigerungsbetrag für Beschäftigte

Beschäftigte in WfbM erhalten als monatliches Entgelt neben einem gesetzlich festgelegten Grundbetrag einen sogenannten Steigerungsbetrag. Dieser war nun Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm, in der sich das Gericht ausführlich zur Ermittlung des Steigerungsbetrags äußerte und somit zur Rechtssicherheit in einigen Fragen beitrug.


Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) erhalten als monatliches Entgelt neben einem gesetzlich festgelegten Grundbetrag (im Jahr 2022 109 Euro, seit dem 1. Januar 2023 mindestens 126 Euro) einen sogenannten Steigerungsbetrag, der von jeder WfbM in Abstimmung mit dem Werkstattrat festgelegt wird. Grund- und Steigerungsbetrag müssen aus dem Arbeitsergebnis, also der Differenz zwischen den Erlösen und den notwendigen Kosten der Werkstatt, erwirtschaftet werden. Ein bestimmter – insbesondere gesetzlicher – Verteilungsschlüssel für den Steigerungsbetrag existiert nicht. Gemäß § 221 Abs. 2 Satz 2 SGB IX soll sich der Steigerungsbetrag vielmehr an der „individuellen Arbeitsleistung der behinderten Menschen“ orientieren und in erster Linie Arbeitsmenge und -güte der Beschäftigten berücksichtigen.

Der Steigerungsbetrag war nunmehr Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm, in der sich das Gericht ausführlich zur Ermittlung des Steigerungsbetrags äußerte und somit zur Rechtssicherheit in einigen Fragen beitrug (LAG Hamm, Urteil vom 30. September 2022 – 13 Sa 116/22).
 

Der Fall

Die von der Solidaris Rechtsanwaltsgesellschaft vertretene Beklagte betreibt eine WfbM mit rund 1.000 Beschäftigten an mehreren Standorten in Nordrhein-Westfalen. Der Steigerungsbetrag jedes in der Werkstatt beschäftigten Menschen wurde durch die Beklagte in der Vergangenheit durch ein Verteilungsschema ermittelt, das zwischen „anspruchsvollen“ und „einfachen“ Tätigkeiten unterschied. Menschen mit starken Beeinträchtigungen (insbesondere Menschen mit Schwerst- oder Mehrfachbehinderungen), die regelmäßig nur „einfache“ Tätigkeiten ausüben können, erhielten oftmals keinen oder nur einen geringen Steigerungsbetrag, unabhängig davon, wie sehr sie sich im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten anstrengten. Dies wurde vom Einrichtungsträger als ungerecht angesehen, weshalb er den Verteilungsschlüssel in enger Abstimmung mit dem Werkstattrat dergestalt angepasste, dass nunmehr allein die individuellen Möglichkeiten und Bemühungen der Beschäftigten (wie etwa Aufmerksamkeit, Pünktlichkeit, Sorgfalt etc.) zur Grundlage der Ermittlung des Steigerungsbetrags gemacht wurden.

Der Kläger, ein auf Basis eines Werkstattvertrags in einer der Werkstätten des Einrichtungsträgers beschäftigten Menschen mit Behinderung, erhielt aufgrund der Implementierung des neuen Verteilungsschlüssels einen deutlich geringeren monatlichen Steigerungsbetrag. Im vorherigen System hatte er einen verhältnismäßig hohen Steigerungsbetrag erhalten, weil er eine „anspruchsvolle“ Tätigkeit ausüben konnte. Mit der Klage verfolgte der Kläger die Zahlung des vorherigen höheren Steigerungsbetrags. Sowohl die Klage vor dem Arbeitsgericht als auch die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht blieben erfolglos.
 

Die Entscheidung

Das LAG stellte fest, dass ein Anspruch des Klägers auf einen bestimmten Steigerungsbetrag nicht bestand. Aus den vertraglichen Vereinbarungen (wie etwa dem Werkstattvertrag) ließen sich weder hinsichtlich eines bestimmten Betrags noch hinsichtlich eines bestimmten Berechnungsmodus Ansprüche des Klägers herleiten. Dem Kläger stand auch kein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung des ursprünglichen Steigerungsbetrags zu, denn die gesetzlichen Regelungen geben lediglich einen Rahmen vor, etwa dahingehend, welcher Anteil des Arbeitsergebnisses der Werkstatt für die Entgelte der Beschäftigten eingesetzt werden muss. Die von der beklagten Werkstatt eingeführte Änderung des Verteilungsschlüssels zur Ermittlung des individuellen Steigerungsbetrags bewegte sich nach Auffassung des LAG innerhalb dieses Rahmens, auch wenn dies im konkreten Fall zu einer deutlichen Reduzierung des Steigerungsbetrags des Klägers führte. Die Neuregelung war aus Sicht des Gerichts sowohl angemessen als auch geeignet, um einer größeren Anzahl Beschäftigter einen Steigerungsbetrag zukommen zu lassen.

Das Gericht stellte ferner klar, dass das Entgelt für Beschäftigte in WfbM eben keine im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Vergütung darstellt, wie sie in einem Arbeitsverhältnis als Gegenleistung für eine Arbeitsleistung gezahlt wird. Ziel einer WfbM ist vielmehr die Förderung von Menschen mit Behinderung. Das Entgelt ist daher eine Teilhabeleistung und eben keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Menschen mit Behinderung. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben können deshalb die Regelungen zur Ermittlung des Steigerungsbetrags auch dann geändert werden, wenn dies in Einzelfällen zu „Härten“ führt.
 

Fazit

Die Entwicklung eines Verteilungsschlüssels für den Steigerungsbetrag ist für die Werkstätten überaus anspruchsvoll, wenn sie die große Spannweite der individuellen Möglichkeiten der Beschäftigten fair berücksichtigen wollen. Das Urteil des LAG Hamm macht aber klar, dass dieser Verteilungsschlüssel innerhalb des gesetzlichen geregelten Rahmens durchaus angepasst werden kann, um auf geänderte Rahmenbedingungen zu reagieren.

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Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Münster

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