BSG: Fundierte Ermittlung freier Behandlungskapazitäten zur Feststellung eines etwaigen Sonderbedarfs erforderlich

Das Bundessozialgericht (BSG) befasst sich in seinem Urteil vom 17. März 2021 – B 6 KA 2/20 R – erneut mit dem Umfang der Ermittlungspflicht der Zulassungsgremien im Rahmen von Sonderbedarfsanträgen.

 

Geklagt hatte die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), die eine Erhöhung des Beschäftigungsumfangs eines im Wege des Sonderbedarfs in ihrem MVZ angestellten

Bundesrichter klären Umfang der Ermittlungspflicht der Zulassungsgremien

Das Bundessozialgericht (BSG) befasst sich in seinem Urteil vom 17. März 2021 – B 6 KA 2/20 R – erneut mit dem Umfang der Ermittlungspflicht der Zulassungsgremien im Rahmen von Sonderbedarfsanträgen.

Sachverhalt

Geklagt hatte die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), die eine Erhöhung des Beschäftigungsumfangs eines im Wege des Sonderbedarfs in ihrem MVZ angestellten Facharztes für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie von 20 auf 40 Wochenstunden begehrte. Zuvor hatten die Zulassungsgremien den dem Verfahren zugrundeliegenden Antrag der Klägerin abgelehnt. Zur Begründung verwiesen sie auf eine Stellungnahme der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sowie eine durchgeführte Umfrage bei niedergelassenen Hämatologen/Onkologen im Umkreis von 33 Kilometern um das MVZ. Diese habe ergeben, dass mehrere Ärzte noch über freie Kapazitäten verfügten und daher die Versorgung hämato-onkologischer Patienten sichergestellt sei. Auch liege das gesamte Abrechnungsvolumen der in der betreffenden Raumordnungsregion niedergelassenen Hämatologen/Onkologen bei Herausrechnung des Leistungsvolumens der Klägerin mit 97,06 % unterhalb des Landesdurchschnitts. Die überdurchschnittlichen Fallzahlen des MVZ seien auf eine ungleichmäßige Verteilung der Patienten zurückzuführen. Dieser Umstand könne keinen Sonderbedarf begründen, solange alternative und für Patienten zumutbare Versorgungsangebote bestünden.

Das Urteil: Versorgungslage ist ausreichend fundiert zu ermitteln

Nachdem zunächst auch das Sozialgericht (SG) Marburg mit Urteil vom 15. Januar 2020 – S 12 KA 230/18 – die Entscheidung der Zulassungsgremien bestätigt hatte, gab schließlich das BSG der Revision der Klägerin statt und verpflichtete den beklagten Berufungsausschuss, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut über den Antrag zu entscheiden. Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten stehe es nicht mit der notwendigen Gewissheit fest, dass an den vom Standort des MVZ aus zumutbar erreichbaren Praxisstandorten freie Kapazitäten in hinreichendem Umfang bestehen.

In seiner Begründung weist das BSG darauf hin, dass der Beklagte die erforderlichen Feststellungen zur Bedarfslage nicht getroffen habe und es deshalb an der erforderlichen Grundlage für die sachgerechte Ausfüllung des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums fehle. Die Ermittlung des Sachverhalts müsse das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, d. h. sich so weit erstrecken, wie sich Ermittlungen als erforderlich aufdrängen. Dieser Ermittlungspflicht sei der Beklagte nicht im ausreichenden Maße nachgekommen. In der Folge seien die Ermittlungen nicht geeignet, die behaupteten freien Kapazitäten hinreichend zu belegen.

Urteil zum Sonderbedarf in MVZ klärt: Reale Fallzahlen im Verhältnis zum Durchschnitt maßgeblich

Ob der Bedarf gedeckt ist, müsse anhand der realen Fallzahlen umliegender Praxen im Verhältnis zum Durchschnitt gemessen werden. Diese seien im Zweifel über die zuständige KV in anonymisierter Form zu ermitteln, selbst wenn aufgrund kleiner Fachgruppen einzelne Praxen im Ergebnis identifizierbar seien. Dies müsse hingenommen werden und habe Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Praxen, wenn ohne die Kenntnis dieser Zahlen eine fundierte Entscheidung über den Sonderbedarf nicht möglich sei.

Fazit

Das vom BSG gefällte Urteil zum Sonderbedarf in MVZ ist zu begrüßen. Es macht erneut deutlich, dass Entscheidungen über Sonderbedarfsanträge oft auf Grundlage von unzureichenden Ermittlungen ergehen. Insoweit ist zu empfehlen, die Bescheide der Zulassungsgremien im Einzelfall kritisch zu hinterfragen und rechtlich überprüfen zu lassen.

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