Finanzgericht Köln verneint Lieferfiktion
Das Finanzgericht (FG) Köln hat in zwei Parallel-Verfahren mit Urteilen vom 16. Juni 2021– 9 K 1260/19 und 9 K 2943/16 – die von der Finanzverwaltung angewandte sogenannte Lieferfiktion des in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) produzierten und selbst genutzten Stroms verneint.
Die Finanzverwaltung vertritt bei der umsatzsteuerlichen Würdigung eines Blockheizkraftwerks die Auffassung, dass zunächst der gesamte erzeugte Strom inklusive des Eigenverbrauchs an den Netzbetreiber geliefert wird. In Höhe des selbst (dezentral) genutzten Stroms erfolge eine Rücklieferung des Netzbetreibers. Diese Lieferfiktion ist an die Auszahlung von Zuschlägen nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) geknüpft (vgl. Abschnitt 2.5 UStAE).
Während sich die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage für die Hinlieferung durch die Bewertung der selbst verbrauchten Menge mit dem Strommarktpreis und die Entgelte für vermiedene Netznutzung erhöht, besteht für gemeinnützige Unternehmen, die im Wesentlichen steuerfreie Ausgangsumsätze ausführen, aus der Rücklieferung kein Vorsteuerabzug. Die Anwendung der Lieferfiktion führt also zu einer erhöhten Umsatzsteuerzahllast.
Nach Auffassung des Finanzgerichts Köln findet bei dezentral verbrauchtem Strom (sog. Direktverbrauch) gerade keine Einspeisung in das allgemeine Stromnetz statt, so dass die von der Finanzverwaltung angenommenen Hin- und Rücklieferungen keinen Bestand haben. Es fehle bei dem Direktverbrauch an der Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag an den Netzbetreiber, die zu einer Übertragung der Verfügungsmacht und damit zu einer Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG führe. Denn gemäß dieser Regelung kommt es auf die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, an.
Im ersten Urteilsfall erbaute eine Anstalt des öffentlichen Rechts ein BHKW zur Wärme- und Stromversorgung auf dem eigenen Gelände und verbrauchte den produzierten Strom nahezu ausschließlich selbst. Das BHKW war an das eigene Stromnetz im Rahmen einer Kundenanlage angeschlossen und zudem mit dem allgemeinen Stromversorgungsnetz verbunden. Der Strombedarf der Anstalt war stets höher als die durch das BHKW produzierte Strommenge, so dass nach Auffassung des Finanzgerichts – losgelöst von der reinen Möglichkeit der Einspeisung und der Zahlung des KWK-Zuschlages – nicht von einer Einspeisung in das öffentliche Stromnetz auszugehen war. Demzufolge konnte es auch zu keiner Rücklieferung des Stroms kommen.
Gegenstand des zweiten Sachverhalts waren die Abrechnungen eines kommunalen Stromnetzbetreibers gegenüber Anlagebetreibern von KWK-Anlagen, hier insbesondere gegenüber einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren KWK-Anlage ebenfalls an das eigene Stromnetz im Rahmen einer Kundenanlage angeschlossen war und im hoheitlichen Bereich genutzt wurde. Es bestand keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Die Klägerin zahlte dem Anlagenbetreiber einen KWK-Zuschlag für den Strom, der aufgrund des dezentralen Verbrauchs tatsächlich nicht in das Stromnetz für den allgemeinen Gebrauch eingespeist wurde. Neben den Gutschriften über den KWK-Zuschlag wurden keine gesonderten Abrechnungen über die Hin- und Rücklieferungen erstellt. Das Finanzamt unterwarf die unterstellten Hin- und Rücklieferungen dagegen der Umsatzsteuer. Das Finanzgericht Köln verneinte indes die Lieferfiktion mit analoger Begründung.
Gegen beide Urteile hat die Finanzverwaltung Revision eingelegt (BFH, V R 22/21, XI R 18/21).
Praxis-Hinweis
Betreiber von BHKW sollten beachten, dass in den nun beim BFH anhängigen Verfahren seitens der Betreiber keine Vorsteuern aus der Anschaffung bzw. Errichtung der Anlagen und den laufenden Kosten geltend gemacht wurden. Bei Nichtanwendung der Lieferfiktion unter Bezugnahme auf die Verfahren sollte also berücksichtigt werden, dass damit auch ein etwaiger Vorsteuerabzug entfallen kann und gegebenenfalls Vorsteuerkorrekturen erforderlich werden können.