Am 5. Mai beschloss der Ärztetag, § 16 Satz 3 MBO-Ä zu streichen
Update: 11. Mai 2021
Bundesärztekammer erlaubt ärztlich assistierten Suizid
Der 124. Deutsche Ärztetag hat am 5. Mai 2021 mit breiter Mehrheit beschlossen, § 16 Satz 3 der Musterberufsordnung (MBO-Ä) zu streichen. Mit dieser Entscheidung hat der Deutsche Ärztetag dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dem grundgesetzlich gesicherten Recht auf Selbstbestimmung Rechnung getragen. Die umstrittene Regelung der MBO-Ä hatte es Ärzten untersagt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.
Nun wird der Passus „Sie [Ärztinnen und Ärzte; anm.] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ endgültig gestrichen.
Diesem Beschluss ist eine breit geführte Diskussion zwischen den einzelnen Vertretern der Landesärztekammern vorangegangen. Hervorgehoben wurde insbesondere die Regelung in § 1 der MBO-Ä, die ausdrücklich betont, ärztliche Aufgabe sei es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, an der Ärzte und Ärztinnen mit ihrer Behandlung mitwirkten, sei wesentliche Grundlage des Berufsrechtes. Die Bundesärztekammer hat in ihrem Beschluss nochmals bekräftigt, dass die Ärzteschaft grundsätzlich nicht bereit sei, die Suizidhilfe als normale ärztliche Dienstleistung anzuerkennen und zu behandeln. Der ärztliche Auftrag, der durch den ärztlichen Eid bekräftigt werde, sei noch immer der Schutz und die Erhaltung des Lebens.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich werden lassen, dass das generelle Verbot des ärztlich begleiteten Suizids nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Die Streichung des § 16 Satz 3 MBO-Ä sahen alle Vertreter des Deutschen Ärztetages als alternativlos an. Die Änderung der Musterberufsordnung führt nun zu einer Rechtssicherheit. Gleichwohl dürfe die Änderung der Musterberufsordnung nicht dahingehend verstanden werden, dass nunmehr eine ärztliche Verpflichtung bestünde, Suizidhilfe zu leisten, betonten die Vertreter der Bundesärztekammer. Es müsse auch weiterhin gelten, dass jeder Arzt selbst entscheiden dürfe, ob er Suizidhilfe leisten wolle. Die Lebensorientierung sei auch weiterhin der wesentliche Schwerpunkt des ärztlichen Handelns. Eine Kommerzialisierung der ärztlichen Suizidhilfe dürfe nicht erfolgen. Insgesamt sieht die Bundesärztekammer auch weiterhin den Gesetzgeber in der Pflicht, Regelungen zu treffen, die das Schutzgut Leben und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Einklang bringen.
Vorgeschichte: Artikel vom 26. November 2020
Trotz Entscheid des Bundesverfassungsgerichts bisher keine Änderung erfolgt
Reform der Musterberufsordnung
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit eines ärztlich assistierten Suizids ist bereits acht Monate alt. Eine Anpassung der Berufsordnung der Ärzte ist bis zum heutigen Zeitpunkt nicht erfolgt. Am 28. September 2020 hat die Bundesärztekammer durch ihren Präsidenten Klaus Reinhardt entschieden, dass eine Änderung der Berufsordnung unausweichlich ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung eindeutig klargestellt, dass das Verbot der organisierten Sterbehilfe die Privatautonomie des Einzelnen verletzt. Es hat nochmals den besonderen Stellenwert der Privatautonomie und des Selbstbestimmungsrechts hervorgehoben.
Nach Aussage des Präsidenten der Bundesärztekammer könne nach diesem Urteil eine Norm, die dem Arzt jedwede Form von Unterstützung untersage, nicht weiter aufrechterhalten werden. In der aktuellen Fassung der Berufsordnung der Ärzte heißt es: „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Diese Formulierung steht nun in einem erkennbaren Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nach Auffassung der Bundesärztekammer bedarf es nun zwingend einer Reformierung der Musterberufsordnung.
Denkbar wäre es, so Klaus Reinhardt, dass der streitbefangene Satz in der Berufsordnung ersatzlos gestrichen werde. Gleichwohl betonte Reinhardt, dass er die Sterbehilfe grundsätzlich nicht für eine ärztliche Aufgabe halte. Es möge jedoch Einzelfälle geben, in denen es eine Rechtfertigung für Ärzte gebe, einem Patienten in seinem Sterbewillen beizustehen.
Fazit zur Änderung der ärztlichen Suizidhilfe
Es stellt sich die Frage, ob eine Anpassung der Berufsordnung tatsächlich bewirken kann, dass den Ärzten länderübergreifend die rechtliche Möglichkeit eingeräumt wird, Sterbebegleitung im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts leisten zu können. Die Bundesärztekammer selbst ist ein Verein, ihre Entscheidungen entfalten in der Ärzteschaft keine Bindungswirkung. Ausschließlich die Landesärztekammern können verbindliche Regelungen, die ärztliches Berufsrecht betreffen, erlassen.
Für eine endgültige, verbindliche und vor allem verfassungskonforme Lösung zum Umgang des ärztlich begleiteten Suizids bedarf es einer klaren gesetzlichen Regelung. Bislang ist die Politik eine solche Lösung schuldig geblieben. Die fehlende gesetzliche Regelung zum Umgang mit ärztlicher Suizidhilfe dürfte vor dem Hintergrund des aktuellen Pandemiegeschehens in den Hintergrund geraten sein. Es ist jedoch zu erwarten, dass spätestens im nächsten Jahr, wenn der nächste Ärztetag ansteht, die Frage erneut auf der Tagesordnung des Bundesgesundheitsministeriums erscheint.