Ein Sturz im Homeoffice ist kein Wegeunfall

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat in seinem Urteil vom 9. November 2020 – L 17 U 487/19 – die Anwendbarkeit des Unfallversicherungsschutzes im Sinne des SGB VII für Homeoffice-Arbeiten stark begrenzt. Der Senat hatte sich in dem vorliegenden Verfahren mit dem sogenannten „Wegeunfall“ beschäftigt.

 

Der Kläger ist als Gebietsverkaufsleiter bei der Beklagten b

Die Anwendbarkeit des Unfallversicherungsschutzes ist für Homeoffice-Arbeiten stark begrenzt

 

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat in seinem Urteil vom 9. November 2020 – L 17 U 487/19 – die Anwendbarkeit des Unfallversicherungsschutzes im Sinne des SGB VII für Homeoffice-Arbeiten stark begrenzt. Der Senat hatte sich in dem vorliegenden Verfahren mit dem sogenannten „Wegeunfall“ beschäftigt.

Der Fall

Der Kläger ist als Gebietsverkaufsleiter bei der Beklagten beschäftigt. Seine Tätigkeit übt er absprachegemäß auch im Homeoffice aus. Der Kläger hat sich am Unfalltag gegen 7.00 Uhr auf den Weg von der vierten in die dritte Etage des Wohnhauses begeben. Beim Hinuntergehen kam es zu einem Sturz auf der Treppe und er zog sich eine Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers zu. Diesen Unfall meldete er der zuständigen Berufsgenossenschaft. Diese lehnte eine Entschädigungsleistung mit der Begründung ab, es läge kein Arbeitsunfall vor, da sich das Unfallgeschehen in der häuslichen Umgebung ereignet habe.

Im Homeoffice beginne der Unfallversicherungsschutz erst mit dem Erreichen der Betriebsräume. Nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren erhob der Kläger daraufhin Klage vor dem Sozialgericht Aachen. Dieses gab der Klage statt. Nach Überzeugung der Kammer stand das Hinabsteigen der Wendeltreppe im Wohnhaus des Klägers in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zu seiner versicherten Tätigkeit. Der Kläger hätte damit einen versicherten „Betriebsweg“ im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zurückgelegt. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte fristgerecht Berufung beim LSG NRW eingelegt.

Die Entscheidung

Das LSG hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es stellt klar, dass es sich weder um einen versicherten Betriebsweg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII noch um einen versicherten Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII handelt. Letzterer setze zwingend ein Durchschreiten der Haustür voraus. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung eine starre Grenzziehung zwischen privatem Lebensbereich und versichertem Betriebsweg eingeführt und auch im Zeitalter der zunehmenden Telearbeit daran festgehalten. Ein Abweichen lässt sich bislang nicht erkennen.

Aus diesem Grund hat der erkennende Senat in dem vorliegenden Verfahren konsequenterweise festgestellt, dass ein Homeoffice-Beschäftigter niemals wegeunfallversichert sein kann. Darüber hinaus hat das LSG auch das Vorliegen eines Betriebsweges nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII abgelehnt. Zwar greift für den Betriebsweg die starre Grenzziehung des Durchschreitens der Haustür gerade nicht, dennoch wird hier ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallgeschehen gefordert. Hieran fehlt es in dem vorliegenden Fall. Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg in sein Arbeitszimmer zur erstmaligen Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden und somit Teil der versicherten Tätigkeit sind. Es ist dabei unerheblich, dass der Kläger den Weg aufgenommen hat, um mit der Tätigkeit für seine Arbeitgeberin beginnen zu können. Eine entsprechende Handlungstendenz führt nicht zur Annahme eines Betriebsweges. Andernfalls würde dies eine Besserstellung von Beschäftigten im Homeoffice zur Folge haben, denn für Beschäftigte, die außerhalb ihrer eigenen Räumlichkeiten arbeiten, ist der betriebsbezogene Weg zum Ort der Tätigkeit nicht als Betriebsweg anzusehen, sondern kann allenfalls als Wegeunfall versichert sein.

Fazit zum Unfallschutzgesetz bei Homeoffice-Tätigkeit

Das LSG hat in seiner Entscheidung die bestehende Rechtsprechung des BSG zum Wegeunfall berücksichtigt und darüber hinaus das Wesen des Betriebsweges als wesentlichem Teil der versicherten Tätigkeit analytisch herausgearbeitet. Dennoch ist sich der Senat der Brisanz dieser Entscheidung bewusst. Vor allem vor dem Hintergrund der seit der Corona-Pandemie stark gestiegenen Homeoffice-Tätigkeiten dürfte hier eine Klarstellung des BSG notwendig sein. Das LSG NRW hat die Revision ausdrücklich zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann sich das BSG zu der Problematik des Wegeunfalls im Homeoffice bekennen wird. Es steht jedoch zu vermuten, dass das BSG sich nur schwerlich von den aufgestellten Grundsätzen zur Frage des Wegeunfalls und des versicherten Betriebsweges verabschieden wird, um ein Aufweichen der Grenzen zwischen allgemeinem Lebensrisiko und beruflicher Tätigkeit zu verhindern.

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß