Finanzverwaltung äußert sich zur Verfahrensweise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Wie bereits berichtet (siehe Artikel "Steuerzinsen Urteil: Zinsen von jährlich 6 % sind verfassungswidrig") hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 – die Höhe von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO mit 0,5 % pro Monat bzw. 6 % pro Jahr für verfassungswidrig erklärt. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht die bestehende Regelung für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 für weiter anwendbar erklärt. Erst für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung zu schaffen – hierfür hat er bis zum 31. Juli 2022 Zeit. Um zu klären, wie jetzt in der Praxis mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umzugehen ist, haben sich die Finanzverwaltungen der Länder an verschiedenen Stellen öffentlich geäußert. Zentral hat das Bundesfinanzministerium mit Schreiben vom 17. September 2021 – IV A 3 - S 0338/19/10004 :005 – zum weiteren Vorgehen Stellung genommen.
Im Wesentlichen gilt jetzt Folgendes: Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 ist das alte Recht ausdrücklich weiter anzuwenden. Das bedeutet, dass Zinsen, die diesen Zeitraum betreffen, ohne Einschränkung erstattet bzw. gezahlt werden müssen. Soweit bislang Zinsen betreffend die Jahre bis einschließlich 2018 vorläufig festgesetzt wurden oder in ihrer Wirkung ausgesetzt waren, ist nunmehr die Festsetzung endgültig und die Aussetzungen sind beendet.
Da der Gesetzgeber rückwirkend für den Zinslauf ab dem 1. Januar 2019 erst noch eine Neuregelung schaffen muss, besteht noch Ungewissheit über die Zinshöhe ab diesem Datum. Daher gilt für die einzelnen Fallgruppen nun Folgendes:
- Falls eine Zinsfestsetzung für die Zeit ab 2019 bereits endgültig und verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar erfolgt ist, bleibt es bei der Festsetzung. Eine Änderung kann nicht mehr durchgeführt werden.
- Neue Bescheide, die erstmals eine Zinsfestsetzung für Zeiten ab 2019 enthalten, werden von den Finanzämtern vorläufig „auf null“ gesetzt. Eine Änderung der Zinsen erfolgt dann von Amts wegen nach der Neuregelung durch den Gesetzgeber. Dies bedeutet auch, dass bis zur Neuregelung keine Erstattungszinsen für Zeiträume ab 2019 gezahlt werden.
- Bei den Bescheiden, die bereits vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erlassen wurden und eine vorläufige Zinsfestsetzung für Zeiten ab 2019 enthalten, bleibt es zunächst bei der Vorläufigkeit der Festsetzung. Dies gilt sowohl für bereits geleistete Zinsen als auch für gestundete oder ausgesetzte Zinsen. Sobald vom Gesetzgeber eine Neuregelung geschaffen wird, werden diese Bescheide entsprechend von Amts wegen geändert.
- Bei Bescheiden, die bereits vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erlassen wurden, nun aber – zum Beispiel aufgrund materieller steuerlicher Fehler – geändert werden müssen, kommt es darauf an, ob die Änderung eine Nachzahlung oder eine Erstattung (für Zeiten ab 2019) bedeutet. Sofern es zu einer Nachzahlung kommt, werden die diesbezüglichen (zusätzlichen) Zinsen wie bei einer Neufestsetzung vorläufig „auf null“ gesetzt. Bei einer Erstattung werden die diesbezüglichen Zinsen hingegen mit erstattet. Zu beachten ist, dass diese neue Festsetzung der Zinsen jeweils vorläufig erfolgt und nach der Neuregelung durch den Gesetzgeber noch einmal korrigiert und endgültig durchgeführt wird.
Praxis-Hinweis
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und die dargestellten Maßnahmen beziehen sich lediglich auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO in Verbindung mit § 238 AO. Bei Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen bleibt alles beim Alten und diesbezügliche Einsprüche werden abgelehnt. Im Ergebnis ist darauf zu achten, dass die dargestellte Vorgehensweise von der Finanzverwaltung nunmehr zutreffend umgesetzt wird. Sämtliche Steuerbescheide, die Zinsen beinhalten, sollten sorgfältig geprüft werden. Hierbei stehen wir Ihnen sehr gerne beratend zur Seite.