Bundesfinanzhof-Urteil vom 24.02.2021
Um die Empfänger von sozialen Dienstleistungen zu entlasten, werden entsprechende Umsätze bei Erfüllen gewisser Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit. Im Fall des Urteils vom 24. Februar 2021 – XI R 32/20 – hatte der Bundesfinanzhof (BFH) darüber zu urteilen, ob auch die von einem als gemeinnützig und mildtätig anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege durchgeführte Abrechnung von Krankentransport und Notfallrettung gegenüber den Sozialleistungsträgern für fremde Leistungserbringer eine steuerfreie sonstige Leistung darstellt.
Der Verband war als Leistungserbringer für einen Landkreis im öffentlichen Rettungsdienst tätig. Gemäß dem zu diesem Zweck abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag hatte der Kläger auch die von ihm erbrachten Rettungsdienstleistungen direkt mit den Sozialleistungsträgern abzurechnen. Später verlangten die Sozialleistungsträger dann, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorgehalten werden solle. Der Kläger wurde daher vertraglich dazu verpflichtet – neben der Abrechnung der eigenen Einsätze – auch die Abrechnungen der Einsätze für vier andere Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern zu übernehmen. Es wurden entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Landkreis als Träger des Rettungsdienstes, dem Kläger und den anderen Leistungserbringern abgeschlossen. Die Abrechnung des Rettungsdienstes erfolgte ausdrücklich im Auftrag des Landkreises.
Der BFH ließ die Frage nach einer Steuerbefreiung gemäß nationalem Recht (§ 4 Nr. 17 Buchst. b oder Nr. 18 UStG) offen und entschied stattdessen, dass die Abrechnungsdienstleistungen nach Unionsrecht steuerbefreit seien. Die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL knüpfe an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es müsse sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind. Um das Merkmal „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ zu erfüllen, müsse die betreffende Leistung für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein.
Im Streitfall sah der BFH auch die Abrechnungsleistungen für die anderen Leistungserbringer als unerlässlich für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze an. Denn nur aufgrund des Verlangens der Sozialleistungsträger nach einer zentralen Abrechnungsstelle im Landkreis hatte der Kläger auch die Abrechnung der Einsätze anderer Leistungserbringer übernommen.
Der BFH ging bislang davon aus, dass Leistungen dann nicht mehr eng mit der Sozialfürsorge verbunden seien, wenn diese nicht unmittelbar an die Hilfsbedürftigen erbracht wurden (vgl. Urteil vom 1. Dezember 2010 – XI R 46/08). Nach dem EuGH-Urteil „Finanzamt D“ vom 8. Oktober 2020 – C-657/19 – hält der BFH an seiner Rechtsauffassung nun nicht mehr fest und ändert insoweit seine Rechtsprechung.
Zudem wies der BFH darauf hin, dass wegen des im Streitfall begründeten Abrechnungsmonopols die Steuerbefreiung der Abrechnungsleistungen des Klägers nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Da nach den Vorgaben der Sozialleistungsträger nur eine Abrechnungsstelle die Abrechnungsleistungen zu erbringen hatte, waren andere Wirtschaftsteilnehmer insoweit von der Leistungserbringung ausgeschlossen. Die Steuerbefreiung war damit auch nicht nach Art. 134 Buchst. b MwStSystRL zu versagen.
Praxis-Hinweis
Der BFH hat seine restriktive Sichtweise, nach der die Umsatzsteuerbefreiung von sozialen Dienstleistungen stets deren unmittelbare Erbringung gegenüber den Hilfsbedürftigen voraussetzt, aufgegeben. Zu den möglichen praktischen Auswirkungen des Urteils beraten wir Sie gerne.