Reform des Insolvenzrechts in Kraft

Kurz vor Jahresende 2020 hat der deutsche Gesetzgeber das Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) verabschiedet. Das Gesetz trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Es umfasst zum einen das auf EU-Recht basierende neue Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG), das eine Sanierung und Restrukturierung durch ein förmliches Verfahren außerhalb der Insolvenz e

Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) verabschiedet.

 

Kurz vor Jahresende 2020 hat der deutsche Gesetzgeber das Sanierungs- und Insolvenzfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) verabschiedet. Das Gesetz trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Es umfasst zum einen das auf EU-Recht basierende neue Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG), das eine Sanierung und Restrukturierung durch ein förmliches Verfahren außerhalb der Insolvenz erleichtern soll (siehe unser Artikel dazu). Darüber hinaus nimmt es eine Anpassung zentraler insolvenzrechtlicher Bestimmungen vor und berücksichtigt dabei die aktuellen Erfordernisse angesichts der COVID-19-Pandemie.

Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht

Auch nach dem SanInsFoG besteht aus Gründen des Gläubigerschutzes die Verpflichtung fort, bei den Insolvenzgründen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nach § 15a InsO unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Lässt die verantwortliche Leitungsebene die Verpflichtung außer Acht, werden – gegebenenfalls auch strafrechtliche – Haftungstatbestände ausgelöst. Neu ist, dass der Antrag bezüglich der Überschuldung nunmehr spätestens in sechs Wochen zu stellen ist. Bei Anträgen zur Zahlungsunfähigkeit verbleibt es bei den bisherigen drei Wochen. Nach wie vor können Unternehmen die Fristen nur ausschöpfen, sofern Sanierungsbemühungen zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erfolgversprechend sind.

Klarheit bei Überschuldung

Im Rahmen der Überschuldungsprüfung stellt sich häufig die Frage, ob trotz der Feststellung eines nicht durch ­Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags eine insolvenzrechtliche Überschuldung angesichts einer positiven Fortbestehensprognose dennoch nicht besteht. Maßgeblich dafür ist, ob die Zahlungsfähigkeit auf Basis einer aussagefähigen integrierten Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung mittelfristig gesichert ist. Die Feststellung bereitete in der Vergangenheit Schwierigkeiten, weil der Zeitraum für die Aufstellung der Liquiditätsprognose gesetzlich nicht vorgegeben war. Diese Unklarheiten führten zu Abgrenzungsfragen zwischen der nicht zum Insolvenzantrag verpflichtenden drohenden Zahlungsunfähigkeit und der zwingend zu beachtenden insolvenzrechtlichen Überschuldung. Das SanInsFoG löst diese Streitfragen und legt nun verbindlich einen Zwölf-Monats-Zeitraum fest.

Zu beachten bleibt, dass die Prüfung der Liquidität für die kommenden zwölf Monate fortwährend – auch unterjährig – zu erfolgen hat. Mit der gesetzlichen Klarstellung gehören Abgrenzungsschwierigkeiten zur drohenden Zahlungsunfähigkeit der Vergangenheit an: Das SanInsFoG schreibt für diese einen Zeitraum von „in aller Regel 24 Monaten“ vor.

Das SanInsFoG berücksichtigt hinsichtlich der Überschuldung auch die aktuelle Corona-Pandemie und beschränkt den Zeitraum zur positiven Fortbestehensprognose zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2021 auf vier Monate. Zusätzliche Voraussetzungen sind ein positives Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Jahr 2019 und eine Zahlungsfähigkeit zum 31. Dezember 2019 sowie ein Gewinneinbruch im Jahr 2020 um mindestens 30 %.

Haftungserleichterungen nach § 15b InsO

Leitungsorgane der nach § 15a InsO antragspflichtigen Körperschaften waren angehalten, bei Zahlungen nach Insolvenzreife Vorsicht walten zu lassen. Die einschlägigen Bestimmungen im GmbH-, Aktien- und Genossenschaftsgesetz hielten Insolvenzverwalter bisher häufig an, diese zugunsten der insolventen Körperschaft auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Zulässig waren Zahlungen, die mit der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind“. Problematisch nach alter Rechtslage war allerdings, dass Geschäftsführer und Vorstände nach den vorgenannten Vorschriften die Darlegungs- und Beweislast dafür trugen, dass Zahlungen etwa zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig waren oder eine erhaltene Gegenleistung auch werthaltig war. Da die Beweisführung häufig nicht gelang, entsprach es gängiger Praxis, dass der Insolvenzverwalter sämtliche Zahlungen nach Insolvenzreife einforderte und auch durchsetzte. Als Konsequenz leisteten Leitungsorgane bei Insolvenzreife gar keine Zahlungen mehr. Das erschwerte in der sensiblen Phase vor einer Insolvenzantragstellung und Einsetzung eines vorläufigen Verwalters die Sanierung mancher Betriebe deutlich.

Das SanInsFoG reagiert auf diese Problematik mit dem neu eingeführten § 15b InsO, der bisherige Regelungen anderer Gesetze ablöst. § 15b Abs. 2 InsO regelt, dass Zahlungen nach Insolvenzreife zulässig sind, sofern sie in einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen. Dazu zählen „insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen“. Durch diese weite Formulierung entschärft der Gesetzgeber die skizzierten Beweisschwierigkeiten der Leitungsorgane deutlich. Zahlungen sind damit dem Grunde nach zulässig. Gleichwohl ist weitere Voraussetzung, dass entweder Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrages betrieben werden. Ferner steht der Haftungsausschluss unter der Bedingung einer rechtzeitigen Antragstellung nach § 15a Abs. 3 InsO.

Die Privilegierung der Haftung erstreckt sich auch auf Steuerforderungen. Nach bisheriger Rechtslage wurden Geschäftsleiter für Steuerforderungen von den Finanzbehörden regelmäßig durch Haftungsbescheide persönlich in Anspruch genommen. § 15b Abs. 8 InsO „befreit“ den Geschäftsleiter ab Insolvenzreife bezüglich Steuerforderungen von dem „Zwiespalt“, einerseits die Insolvenzmasse zu erhalten, zugleich jedoch selektive Forderungen erfüllen zu müssen. Das gilt jedoch nur, sofern er die Insolvenzantragspflicht erfüllt. Vorsicht geboten ist nach wie vor bei Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung. Eine Nichtabführung ist unverändert nach § 266a StGB strafbar.

Geschäftsleiter profitieren übrigens für den Fall einer Inanspruchnahme nach § 15b Abs. 4 InsO von einer Schadensbegrenzung auf die Summe, die den Gläubigern auch tatsächlich entstanden ist. Die Haftung der Vorstände von Vereinen und Stiftungen wird durch die Gesetzesreform nicht verändert; die Anwendung der §§ 15a und 15b InsO ist für diese Körperschaften nicht vorgesehen.

Ausweitung des Fiskusprivilegs

Die Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO war im Regierungsentwurf nicht vorgesehen, wurde gleichwohl im SanInsFoG berücksichtigt. Die Norm betrifft eine Privilegierung des Fiskus. Steuerverbindlichkeiten, die ein vorläufiger Insolvenzverwalter begründete, sollten auch nach bisheriger Rechtslage als Masseverbindlichkeiten einzustufen sein und damit vollumfänglich befriedigt werden. In einer jüngeren Entscheidung stellte der Bundesfinanzhof fest, dass dieses Privileg nicht für die Eigenverwaltung gelte (BGH, Urteil vom 22. November 2018 – IX ZR 167/16). Der Gesetzgeber hat diese Entscheidung nun „korrigiert“.

Bedeutung für die bilanzielle Going-Concern-Annahme

Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist bei der Bewertung im handelsrechtlichen Jahresabschluss von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Bei Aufstellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses ist also zu beurteilen, ob die Unternehmenstätigkeit fortgeführt wird oder ob zeitnah mit einer Einstellung zu rechnen ist. Letzteres kann ganz erhebliche Konsequenzen für den Wertansatz von Vermögensgegenständen (Ansatz von Grundvermögen zu Zerschlagungswerten) und Schulden (z. B. Ansatz von Rückstellungen wegen Ausscheidens aus der Zusatzversorgung) und damit für das Eigenkapital haben. Bei zunehmender Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens musste der Zeitraum der handelsrechtlichen Fortführungsprognose nach herrschender Auffassung dem Zeitraum der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose angeglichen werden. Dieser bezog sich bisher regelmäßig auf das laufende und das folgende Geschäftsjahr. Ob die Festlegung des Prognosezeitraums auf zwölf Monate in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO diesbezüglich eine Änderung nach sich zieht, diskutieren die Fachgremien des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. derzeit.

Fazit zur Reform des Insolvenzrechts

Die Zielsetzung des SanInsFoG, eine Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen in der Krise zu erleichtern, spiegelt sich auch in den Anpassungen der Insolvenzordnung außerhalb des StaRUG wider. Der Erfolg einer Sanierung steht und fällt mit dem Kooperationswillen der Geschäftsleitung. Dieser wird angesichts einer verbesserten Klarheit über Haftungsfragen zweifelsohne gefördert. Gleichwohl bleibt es dabei, dass bei der Feststellung der Insolvenzreife Präzision gefordert ist. Die Gesetzesformulierung hätte an einigen Stellen durchaus prägnanter sein können. Die Ausweitung des Steuerprivilegs nach § 55 Abs. 4 InsO „durch die Hintertür“ überrascht. Ob sich Änderungen im Hinblick auf die Überprüfung der Going-Concern-Annahme ergeben, muss sich noch zeigen.

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