Rechtfertigt die Löschung, das Kopieren oder das Weiterleiten betrieblicher Daten eine außerordentliche Kündigung?

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg hatte darüber zu entscheiden, ob die Löschung, das Kopieren auf externe Datenträger oder das Weiterleiten betrieblicher Daten und E-Mails eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt (LAG Hamburg, Urteil vom 17. November 2022 – 3 Sa 17/22).


Der Fall


Der Kläger war seit dem 1. Oktober 2010 bei der Beklagten, einem Beratungsunternehmen, beschäftigt. Dem Kläger wurde ein Notebook zur Verfügung gestellt. Hierauf war SharePoint installiert, eine Web-basierte Arbeitsplattform für die Zusammenarbeit mit Kollegen. SharePoint ermöglicht die Anlage eines individualisierten Ordners, auf den lediglich der jeweilige Mitarbeiter Zugriff hat. Am 14. September 2020 fand zwischen den Parteien ein Gespräch über die Prämie für das „A“-Projekt statt, in dem die Parteien sich nicht einigen konnten. Am 30. September 2020 forderte die Beklagte vom Kläger das ihm überlassene Notebook zurück. Der Kläger kam dieser Aufforderung am selben Tag nach und kündigte sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2020. Die Nachfrage der Beklagten nach weiterem IT-Equipment verneinte der Kläger. Eine danach erfolgte Untersuchung des Notebooks ergab, dass der Kläger diverse E-Mails gelöscht hatte und am 29. September 2020 eine größere Datenmenge von der SharePoint-Plattform gelöscht worden war. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Am 9. November 2020 beauftragte die Beklagte ein Unternehmen mit der weiteren Untersuchung des zurückgegebenen Notebooks. Dieses stellte fest, dass in der Zeit vom 1. August bis zum 30. September 2020 Daten auf zwei USB-Sticks und eine externe Festplatte übertragen worden waren.

Der Kläger reichte Kündigungsschutzklage ein. Er behauptete, dass die Verwendung von externen Speichermedien bei der Beklagten gängige Praxis sei. Die externe Festplatte habe er 2017 von der Beklagten zur Datensicherung erhalten. Alle Speichermedien habe er in den Betriebsräumen zurückgelassen. Er habe nur einige Dokumente zum „A“-Projekt an seinen privaten E-Mail-Account weitergeleitet, die er zur Durchsetzung seines Provisionsanspruch benötigte, und diese nur an seinen Rechtsanwalt und an das Gericht weitergegeben. Die von ihm gelöschten Dateien enthielten keine für den Betrieb der Beklagten notwendigen Informationen. Er habe sie nur deshalb gelöscht, um einen „aufgeräumten“ Arbeitsplatz zu hinterlassen. Außerdem habe er die Dokumente nur aus seinem individualisierten Datei-Ordner gelöscht. Die Dateien seien weiterhin im SharePoint vorhanden und abrufbar.

Die Beklagte reagierte mit einer Widerklage auf Herausgabe, Löschung und Unterlassung in Bezug auf betriebliche Daten. Außerdem begehrte die Beklagte Schadensersatz in Höhe der Ermittlungskosten. Sie war der Ansicht, dass das Löschen der betrieblichen E-Mails und Dokumente mutwillig gewesen sei. Der Kläger habe die kopierten Daten im Rahmen des neuen Arbeitsverhältnisses nutzen wollen. Die Beklagte bestritt, dass der Kläger die externen Speichermedien in den Betriebsräumen zurückgelassen habe.

Das Arbeitsgericht Hamburg gab der Klage statt und wies die Widerklage ab. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein und führte ihre erstinstanzlichen Ausführungen weiter aus.
 

Die Entscheidung


Das LAG Hamburg schloss sich der Vorinstanz an und wies die Berufung zurück. Dem Arbeitnehmer sei es grundsätzlich verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen, zu löschen oder für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Ein Verstoß könne ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Ob diese berechtigt sei, hänge insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab. Die Beklagte habe nicht hinreichend einen Bezug der gelöschten Dateien und E-Mails zu der Tätigkeit des Klägers nachgewiesen. Ohne diese Darlegung könne das Gericht ihre betriebliche Relevanz nicht nachvollziehen. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die gelöschten Dateien nicht mehr vorhanden seien. Die Pflichtwidrigkeit liege bei dem Kopieren von Dateien darin, dass die kopierten Dateien unberechtigt weitergegeben und/oder verwendet werden. Das Kopieren könne daher einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, wenn der Arbeitnehmer die entsprechenden Dateien nicht an den Arbeitgeber herausgibt. Die Beklagte habe nicht hinreichend nachgewiesen, dass der Kläger die Speichermedien nicht herausgegeben habe. Sie hätte darlegen und beweisen müssen, wer sich wann nach dem Weggang des Klägers in dem Raum aufgehalten habe, in dem der Kläger nach seiner Aussage die externen Speichermedien hinterlassen hatte. Die Beklagte habe keine mit der Weiterleitung verbundene Absicht des Klägers, der Beklagten schaden zu wollen, nachgewiesen. Zwar stehe der Beklagten das Recht zu, zu entscheiden, was mit den betrieblichen Dateien passieren solle und ob diese gelöscht werden dürften. Dennoch sei nicht jedes Löschen solcher Dateien und E-Mails als erhebliche Nebenpflichtverletzung anzusehen. Dies könnte nur beurteilt werden, wenn man wisse, um welche Dateien es sich gehandelt habe.

Um die Ermittlungskosten dem Kläger aufzuerlegen, hätte es im Zeitpunkt der Beauftragung des externen Unternehmens einen konkreten Verdacht gegen den Kläger geben müssen, der nach Ansicht des LAG nicht vorlag.


Fazit


Das LAG Hamburg stellt klar, dass die Löschung, das Kopieren oder das Weiterleiten betrieblicher Dateien und E-Mails an private E-Mail-Accounts eine außerordentliche Kündigung begründen kann. Die Beweislast für den Pflichtverstoß, seine Relevanz sowie die Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers liegt jedoch beim Arbeitgeber. Er muss akribisch den Pflichtverstoß rekonstruieren und durch Angaben zum Inhalt der streitgegenständlichen Dateien deren betriebliche Relevanz nachweisen.

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