Praktische Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse

Durch die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der Taxonomie-Verordnung sind große Kapitalgesellschaften in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft verpflichtet, bis 2025 eineumfassende #Nachhaltigkeitsberichterstattung aufzubauen. Darüber hinaus werden Einrichtungsträger, die nach ihrer Satzung oder ihrem Gesellschaftsvertrag einen Lagebericht aufzustellen haben, zukünftig ihre Berichterstattung ausweiten.


Doppelte Wesentlichkeitsanalyse – Vorgaben wurden konkretisiert

In den letzten Wochen wurden die Vorgaben zur Umsetzung der sogenannten „Doppelten Wesentlichkeitsanalyse“ durch verschiedene Verlautbarungen der zuständigen Standardsetter etwas konkreter. Im Rahmen von Gesprächen und Fachvorträgen haben wir uns tiefergehend mit den notwendigen Umsetzungsschritten befasst. 

Nach den aktuellen Vorgaben der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) stellt die Wesentlichkeitsanalyse den Ausgangspunkt für die Nachhaltigkeits-berichterstattung dar. Die Durchführung einer Bewertung der Wesentlichkeit ist demnach erforderlich, damit das Unternehmen die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen ermitteln kann. Im Umkehrschluss gilt: unwesentliche Themen können in der Berichterstattung weggelassen werden (soweit nicht wiederum eine Pflichtangabe gemäß ESRS 2 vorliegt).

In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Zusammenarbeit mit den betroffenen Stakeholdern („Interessenträgern“) als grundlegende „Sorgfaltspflicht“ des Unternehmens gefordert. Der Dialog mit den wesentlichen Stakeholdern stellt demnach eine wichtige Grundlage für die Wesentlichkeitsanalyse dar.

Die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse kann in vier Schritten erfolgen:

  1. Stakeholder bestimmen
  2. Impact Materialität bestimmen
  3. Finanzielle Materialität bestimmen
  4. Zusammenfassung Wesentlichkeitsmatrix

Hinweis: Aus Abschlussprüfersicht wird dringend empfohlen, eine ausführliche Dokumentation der Wesentlichkeitsanalyse vorzunehmen. Nur anhand einer entsprechenden (angemessenen) schriftlichen Dokumentation können sowohl Abschlussprüfer als auch Aufsichtsgremien die Festlegung der wesentlichen Aspekte im Nachhaltigkeitsbericht nachvollziehen.
 

Bestimmung der Stakeholder

Der von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) entwickelte Berichtsstandard ESRS E1 enthält einige Ausführungen zu den Stakeholdern (auch Interessenträger). Hierunter werden Personen oder Gruppen zusammengefasst, die das Unternehmen beeinflussen oder von ihm beeinflusst werden können:

  • Beschäftigte
  • Lieferanten
  • Kunden
  • Behörden / Aufsicht
  • Banken
  • Gesellschafter.

In der Berichtspraxis von Gesundheitseinrichtungen stehen v.a. die Stakeholder Patienten, Mitarbeiter, Kostenträger, Behörden, Kooperations- und Finanzierungspartner im Fokus der Analyse. Hierbei ist folgende Kernfrage zu beantworten:

„Welche Interessen und Standpunkte haben diese Stakeholder in Bezug auf das Unternehmen“?

Die Informationsbeschaffung bzw. der Dialog mit den Stakeholdern findet regelmäßig über Befragungen und Jahresgespräche aber auch über vorhandene Informationskanäle (Beschwerde- und Entlassungsmanagement) statt.
 

Impact Materialität bestimmen

Negative oder positive Auswirkungen, die das Unternehmen – in Bezug auf ESG-Aspekte – auf die Umwelt und die Menschen hat oder haben könnte, müssen in der Analyse näher betrachtet werden. In der Praxis wird auch von der sogenannten „Inside-Out-Perspektive“ gesprochen.

Die Wesentlichkeit bzw. der Schweregrad der Auswirkungen wird anhand von den folgenden Faktoren bestimmt:

  • dem Ausmaß
  • dem Umfang
  • der Unabänderlichkeit der Auswirkungen

In der Praxis hat sich bewährt, die im ESRS 1 abgebildete Themenliste als Grundlage zu verwenden und pro Thema die jeweilige (aktuelle / zukünftige) Relevanz zu prüfen. Weitere Themen können sich aus regulatorischen Vorgaben und dem Risikomanagement sowie aus der Stakeholderkommunikation ergeben.

In einem weiteren Schritt müssen demnach Ausmaß, Umfang und Unabänderlichkeit der Auswirkung pro Thema (auf einer Skala) bewertet werden. Falls das Unternehmen zu dem Ergebnis kommt, dass die Wesentlichkeit der Auswirkung gegeben ist, erfolgt eine nähere Betrachtung der weiteren Vorgaben in den entsprechenden Berichtsstandards.  
 

Finanzielle Materialität bestimmen

In Rahmen der Analyse müssen die gleichen Themen auch im Hinblick auf die finanzielle Materialität überprüft werden. Demnach ist ein ESG-Aspekt zu betrachten, wenn er wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen nach sich zieht (oder dies erwartet wird). Risiken und Chancen, die sich innerhalb von kurz-, mittel- und / oder langfristigen Zeithorizonten u.a. wesentlich auf Cashflows, Kapitalkosten, Immobilien auswirken, müssen näher betrachtet werden. In der Praxis wird auch von der sogenannten „Outside-In-Perspektive“ gesprochen.

Die Wesentlichkeit dieser (finanziellen) Risiken und Chancen wird anhand einer Eintrittswahrscheinlichkeit (Skala: von keine bis sicheren Eintritt) und dem potenziellen Ausmaß der finanziellen Auswirkungen (von keine bis Bestandsgefährdung) bewertet.  
 

Zusammenfassung Wesentlichkeitsmatrix

Unter Berücksichtigung der Schritte I bis III erfolgt im vierten Schritt eine Zusammenfassung der Analyse sowie eine Definition der strategischen Handlungsfelder. 

In der Abbildung (siehe unten) wird demnach der Einfluss des Unternehmens auf ein wesentliches Thema auf der X-Achse bzw. die Relevanz von ESG-Aspekten auf das operative Geschäft auf der Y-Achse abgetragen. Die Zusammenfassung kann alternativ auch tabellarisch erfolgen (ESRS 1 sieht kein bestimmtes Format vor).

Wichtig: eine Offenlegung der Kriterien ist nur gegenüber dem Prüfer vorgesehen; im Lagebericht erfolgt tendenziell (nur) eine Darstellung der Prozesse zur Identifizierung und Bewertung der wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen.

Der Autor geht davon aus, dass zukünftig nur wesentliche Änderungen in der Betriebs- und Organisationsstruktur sowie neue regulatorische Vorgaben zu einem umfassenden update der Wesentlichkeitsanalyse führen (z.B. Kauf / Verkauf von Geschäftseinheiten). Durch die Umsetzung der geplanten branchenspezifischen Standards wird in den nächsten Jahren eine Ergänzung der wesentlichen ESG-Themen erwartet.

Hinweis: ESRS 1 legt fest, dass das Unternehmen für die wesentlichen Aspekte seine Richtlinien, Maßnahmen und Ziele zur Bewältigung dieser Auswirkungen offenlegen muss. Falls das Unternehmen noch keine Richtlinien oder Ziele umgesetzt hat, ist darzulegen, wann und wie eine Umsetzung erfolgt.

Am Ende der Wesentlichkeitsanalyse sollte immer eine Priorisierung und Definition der wesentlichen Handlungsfelder stehen. Ein wesentliches Handlungsfeld stellt beispielsweise das Handlungsfeld „Klimafreundliche Sozialimmobilie“ dar. Thematisch müssen hier die Aspekte „Energieeffizienz im Gebäudebestand“ und „Energieeffizienz im Neubau“ sowie „Nutzung erneuerbarer Energien“ näher betrachtet werden. Durch die Sozialimmobilien und Neubau-Maßnahmen hat das Sozialunternehmen eine wesentliche Wirkung auf das Klima (Inside-out-Perspektive). Andererseits führen Wetterextreme, ausgelöst durch den Klimawandel, zu einem deutlichen Handlungsdruck. Ältere Bestandsimmobilien müssen demnach aufwendig angepasst oder abgestoßen werden; das Geschäftsmodell ist direkt betroffen (Outside-in).  
 

Umsetzung im Jahr 2023 starten 

Aufgrund der knappen Zeitschiene und der Komplexität einer CSRD-konformen Berichterstattung ist es ratsam, bereits 2023 u.a. die Anforderungen des ESRS 1, in Abstimmung mit einem branchenerfahrenen Abschlussprüfer, näher zu betrachten. Hierdurch wird sichergestellt, dass alle wesentlichen Indikatoren Beachtung finden und adressiert werden. 

Die prüfungssichere Umsetzung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse kann nach unseren Erkenntnissen insbesondere durch eine softwaregestützte Begleitung optimiert und beschleunigt werden. Im Rahmen einer Kooperation können wir Ihnen hier demnächst entsprechende Unterstützungsleistungen anbieten. Weitere Informationen hierzu werden wir Ihnen in Kürze darstellen


Praxis-Hinweis 

Die konkrete Ausgestaltung der Systeme und internen Prozesse zur Umsetzung einer richtlinien-konformen Nachhaltigkeitsberichterstattung bis 2025 erfordert ein strategisches Vorgehen. Etablierte Rahmenwerke sowie eine softwaregestützte Wesentlichkeitsanalyse bieten eine erste Hilfestellung bei der Erfüllung der Berichtspflichten sowie beim Aufbau einer validen und konsistenten ESG-Berichtsstruktur.

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