Gelegenheit macht Diebe
Bei der Beantwortung der Frage, welche organisatorischen Vorkehrungen Organisationen zur Prävention doloser Handlungen ergreifen können, hilft das sogenannte Fraud-Dreieck (siehe Anlage).
Der Theorie nach sind die Faktoren Gelegenheit, Motivation und Rechtfertigung verantwortlich für das individuelle Fraud-Risiko einer Organisation. Die Faktoren der Motivation und inneren Rechtfertigung der Täter liegen überwiegend in der persönlichen Sphäre der Personen, die dolose Handlungen durchführen. Der Faktor der Gelegenheit kann jedoch stark von der Organisation beeinflusst werden.
Um die Gelegenheit zur Realisierung doloser Handlungen auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten, ist insbesondere ein angemessenes und wirksames internes Kontrollsystem von zentraler Bedeutung. Damit einhergehend ist es sinnvoll, die Kernprozesse der Organisation zu identifizieren und grundlegend zu dokumentieren. Die Aufgabenkomplexe, für die einzelne Personen oder Gruppen entlang der Prozesskette zuständig sind, sollten eindeutig und widerspruchsfrei geregelt sein.
Mit diesem Prozessverständnis und der klaren Regelung von Zuständigkeiten können Verfahren wie das Vier-Augen-Prinzip und die Funktionstrennung bei der Bearbeitung besonders risikobehafteter Teilaufgaben eingerichtet werden. Schriftliche Richtlinien und Verfahrensanweisungen sowie Rechte- und Rollenkonzepte bei IT-gestützten Prozessen vervollständigen ein funktionsfähiges internes Kontrollsystem.
Hinweisgebersystem
Genauso wichtig wie die Konzeption und Einrichtung von internen Kontrollen ist deren fortlaufende Überwachung und Verbesserung. Hierbei sind Hinweise aus dem laufenden Betrieb hilfreich, die auf Schwachstellen und Verbesserungspotenziale hindeuten. Seit dem 17. Dezember 2023 sind private Beschäftigungsgeber ab 50 Beschäftigten verpflichtet, eine interne Meldestelle und einen Meldekanal nach dem Hinweisgeberschutzgesetz einzurichten. Beschäftigungsgeber mit mehr als 250 Beschäftigten waren bereits mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 2. Juli 2023 dazu verpflichtet. Das Hinweisgeberverfahren sollte nicht nur dem Gesetzeszweck folgend eine sachgerechte Aufarbeitung von Hinweisen auf schwerwiegende Verstöße nach sich ziehen, sondern auch systematisch zur Optimierung der Führungs- und Überwachungsprozesse genutzt werden.
Es ist davon auszugehen, dass Hinweise selbst dann, wenn sie nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes fallen, wertvolle Informationen auf strukturelle und prozessuale Schwächen in der Organisation liefern können. Deshalb sollte die interne Meldestelle dazu beitragen, über eine gezielte Analyse der eingegangenen Hinweise auf Anhaltspunkte für Schwächen in den Führungs- und Überwachungsprozessen in Form eines Abgleichs mit den existierenden Vorgaben einen Beitrag für die Verbesserung ebendieser Prozesse zu leisten. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass bei dieser Analyse und der nachfolgenden Kommunikation mit internen Stellen das Vertraulichkeitsgebot bezüglich der Identität der hinweisgebenden Personen und der eingegangenen Meldung zu gewährleisten ist.
Sonderuntersuchungen
Auch Sonderuntersuchungen, die als Reaktion auf stichhaltige Hinweise im Sinne der gesetzlich geforderten Folgemaßnahmen ergriffen werden, liefern neben der Aufklärung des Sachverhalts im Sinne der Sicherung von Beweisen und der Ermittlung des Schadensvolumens meistens deutliche Hinweise auf Schwachstellen im internen Kontrollsystem. Deshalb sollte ein systematisches Verfahren eingeführt werden, welches relevante Informationen zu Schwachstellen an interne Stellen weitergibt, die diese abstellen können. Das Vorgehen bei Sonderuntersuchungen lässt sich dabei wie folgt skizzieren:
- Beweissicherung und rechtliche Schritte: An erster Stelle im Aufarbeitungsprozess steht die Beweissicherung, das heißt ein sofortiges Sicherstellen aller relevanten Dokumente und Dateien, die zur sachlichen Aufklärung beitragen können. Je nach Fall gehören hierzu Kommunikationsdaten, Auswertungen aus der Finanzbuchhaltung, Bankunterlagen und -transaktionen, Kassenbelege und Ähnliches. Mit dem Bekanntwerden von dolosen Handlungen müssen die Unternehmensvertreter unverzüglich rechtliche Schritte durch das Einschalten von Ermittlungsbehörden einleiten.
- Beginn der Sonderuntersuchung: Parallel mit der Beweissicherung sollte eine Untersuchung beginnen, die entweder intern oder mit der Unterstützung von externen Beratern durchgeführt werden kann. Je nach Fall muss bei dieser Untersuchung eine Täterermittlung und/oder Ermittlung des entstandenen wirtschaftlichen Schadens und entsprechende Plausibilisierung einer Schadenshöhe im Fokus stehen. Zudem gilt es, die Tatmuster, die zu einem wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen geführt haben, zu identifizieren. Neben der Sichtung der sichergestellten Unterlagen helfen dabei die Durchführung und (gerichtsfeste) Dokumentation von Interviews mit den in den Fall involvierten Personen.
- Schwachstellenanalyse und Risikobewertung: Im Rahmen der Sonderuntersuchung geht auch um die Beantwortung der Frage, welche Schwachstellen im Internen Kontrollsystem eine dolose Handlung im Unternehmen überhaupt erst ermöglicht haben. Diese Schwachstellen müssen identifiziert und einer Risikobewertung unterzogen werden.
- Ergebnis einer Sonderuntersuchung: Als Ergebnis der Aufarbeitung von dolosen Handlungen sollten alle gerichtsverwertbaren Hinweise in Form eines Ergebnisberichts zusammengestellt werden.
Praxis-Hinweis
Die Zusammenarbeit mit externen Beratern kann Unternehmen dabei unterstützen, eine objektive und professionelle Aufarbeitung von dolosen Handlungen sicherzustellen. Wir unterstützen Organisationen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bei der Prävention und Aufarbeitung doloser Handlungen durch Schulungsmaßnahmen, die Unterstützung bei der Schaffung guter Führungs- und Überwachungsprozesse, die Einrichtung des Hinweisgebersystems und der Meldestelle sowie die Durchführung von Sonderuntersuchungen. Sprechen Sie uns gerne an.