Neues zur Umsatzsteuerbefreiung im Pflegebereich und in der Jugendhilfe

Mit BMF-Schreiben vom 12. Juli 2023 – III C 3 - S 7172/21/10003 :001 – hat die Finanzverwaltung die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 (JStG 2020) vom 21. Dezember 2020 beschlossenen Änderungen in § 4 Nr. 16 UStG sowie die im Rahmen des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 beschlossenen Änderungen zu § 4 Nr. 25 UStG in den Umsatzsteueranwendungserlass übernommen. Darüber hinaus erfolgte eine Aktualisierung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Auslegung des Artikels 132 Abs. 1 Buchst. g und h MwStSystRL und zur Definition einer Einrichtung mit sozialem Charakter.


Pflege- und Betreuungsleistungen nach § 4 Nr. 16 UStG

Nach § 4 Nr. 16 UStG sind die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder von anderen anerkannten Einrichtungen mit sozialem Charakter i.S.d. Artikels 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erbracht werden, umsatzsteuerbefreit.

Die Buchstaben b bis l des § 4 Nr. 16 UStG normieren die genannten Einrichtungen im Sinne von Artikel 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Danach gilt die Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 16 UStG für Einrichtungen, mit denen ein einschlägiger sozialrechtlicher Vertrag besteht. Durch das JStG 2020 wurde klargestellt, dass unter den übrigen Voraussetzungen der Norm auch die Leistungen solcher Einrichtungen befreit sein können, die selbst keine Pflege- oder Betreuungsleistungen, sondern lediglich damit eng verbundene Leistungen erbringen. Als eng verbundene Umsätze zählen nach Abschn. 4.16.5 Abs. 21 Satz 4 UStAE auch die Erstellung von Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 SGB XI, Leistungen des Hausnotrufs nach § 40 SGB XI und die Erteilung von Pflegekursen nach § 45 SGB XI.

Des Weiteren wurden Änderungen zu § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG bezüglich der Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung zur Pflegeberatung nach § 7a SGB XI besteht, aufgenommen. Durch das Jahressteuergesetz 2020 wurde der Buchstabe m mit Hinblick auf die Sozialgrenze von 25 Prozent neu gefasst. Der Buchstabe m ist als Auffangnorm zu sehen und umfasst auch solche Einrichtungen, mit denen kein Vertrag nach den Buchstaben b bis l im Sinne des SGB besteht. Voraussetzung nach § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG ist, dass die Betreuungs- und Pflegekosten oder die hiermit eng verbundenen Leistungen in mindestens 25 Prozent der Fälle von den in Buchstabe m normierten gesetzlichen Trägern vollständig oder zum überwiegenden Teil vergütet werden. Als gesetzliche Träger im Sinne dieses Gesetzes gelten unter anderem die Träger der Sozialhilfe, die Träger der Sozialversicherung sowie die Träger der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB VIII. Als „Fälle“ gilt die Anzahl der hilfsbedürftigen Personen im Kalendermonat, wobei grundsätzlich alle Leistungen für eine Person in einem Kalendermonat als ein Fall zu betrachten sind. Bei verschiedenartigen Einrichtungen im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG (z. B. stationäre Pflege, ambulante Pflege) sind die betreuten Personen aber jeder Einrichtung gesondert zuzuordnen.

Gemäß BFH-Rechtsprechung darf die Anerkennung des sozialen Charakters einer Pflegeeinrichtung nicht allein daran scheitern, dass das Gesetz ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahres abstellt. War ein Unternehmer, für dessen Tätigkeit nur die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG in Betracht kommt, im Vorjahr bereits tätig, ohne die 25-Prozent-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG zu erfüllen, scheiterte die Steuerbefreiung im Veranlagungsjahr am ausschließlichen Abstellen auf das Vorjahr. Durch die Neufassung greift nun die Steuerbefreiungsnorm auch dann, wenn bereits zu Beginn des laufenden Kalenderjahres absehbar ist, dass der Unternehmer die 25-Prozent-Grenze erfüllen wird. Die Nachweispflicht der Kostenübernahme trägt der Unternehmer. Als Kostenübernahme gilt auch eine mittelbare (also durchgeleitete) Kostentragung. Sofern die zu pflegende Person jedoch selbst aus eigenen Mitteln für die Pflegeleistungen aufzukommen hat (z. B. aus der Altersrente), kann nicht von einer Kostenübernahme durch soziale Einrichtungen gesprochen werden.

Klarstellend wird durch das BMF-Schreiben auch darauf hingewiesen, dass Verpflegungsdienstleistungen, insbesondere Lieferungen von Speisen, soweit sie eigenständige Leistungen darstellen (z. B. „Essen auf Rädern“, vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 2010 – XI R 46/08), nicht als eng verbundene Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 16 UStG anzusehen sind. Jedoch können diese dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 (Speisenlieferungen) oder Nr. 8 (für Zweckbetriebe) UStG unter den dort geregelten Voraussetzungen unterliegen.
 

Leistungen im Rahmen der Jugendhilfe nach § 4 Nr. 25 UStG

Leistungen nach § 4 Nr. 25 UStG bezwecken die Umsatzsteuerfreiheit der im Rahmen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII sowie der im Rahmen der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII erbrachten Leistungen, soweit diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, von Kirchen oder Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts, von Einrichtungen mit sozialem Charakter, die von der zuständigen Jugendbehörde als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt werden, oder von Einrichtungen, die die Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 Buchst. b UStG erfüllen, erbracht werden.

Mit Änderung des § 4 Nr. 25 Satz 1 und Satz 2 Buchst. b Doppelbuchst. dd UStG wurde nun mehr der Katalog der begünstigten Leistungen um die Leistungen der Adoptionsvermittlung nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz ergänzt.
 

Anwendungsregelung

Die Änderungen des UStAE zu § 4 Nr. 25 UStG sind auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2019 erbracht wurden. Die Änderungen auf Grundlage des § 4 Nr. 16 UStG beziehen sich auf Umsätze, die nach dem 31. Dezember 2020 erbracht wurden bzw. werden. Die Grundsätze der in den UStAE aufgenommenen BFH-Urteile sind in allen offenen Fällen anzuwenden, jedoch wird es für Umsätze, die bis zum 31. Dezember 2023 erbracht werden, nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von den obigen Ausführungen umsatzsteuerpflichtig behandelt.
 

Praxis-Hinweis

Zwar wurde der Umsatzsteueranwendungserlass an die neue Gesetzeslage und die inzwischen ergangene BFH-Rechtsprechung angepasst, jedoch verbleiben aus unserer Sicht weiterhin offene Fragen, beispielsweise im Hinblick auf die Befreiung von Betreuungsleistungen, die vor Inkrafttreten des JStG 2020 gemäß § 4 Nr. 18 UStG a. F. befreit waren.

Autorin
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Steuerberaterin, Partnerin, Leitung KompetenzTeam Steuern Köln

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