Nachhaltigkeitsberichterstattung – auch soziale Informationen gewinnen an Bedeutung

Am 5. Januar 2023 ist die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD) in Kraft getreten. Die aktuellen Entwürfe der europäischen Berichtsstandards fordern zukünftig unter anderem umfassende Informationen im Hinblick auf Sozial- und Arbeitnehmerbelange.


Darüber hinaus wurden am 23. November 2022 die Entwürfe der europäischen Berichtsstandards (European Sustainability Reporting Standards – ESRS) veröffentlicht, die voraussichtlich im Juni 2023 als delegierte Rechtsakte von der EU-Kommission verabschiedet werden sollen. Die aktuellen Entwürfe fordern zukünftig unter anderem umfassende Informationen im Hinblick auf Sozial- und Arbeitnehmerbelange. Inwieweit können hier bestehende Berichtsstrukturen als Grundlage dienen und welche Rolle spielt künftig die Personalabteilung?
 

Nachhaltigkeitsbericht betrifft auch Sozialaspekte

Nach den Vorgaben der CSRD muss die Berichterstattung auch Angaben umfassen, die für das Verständnis der Auswirkungen der Tätigkeiten des Unternehmens im Hinblick auf Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung erforderlich sind. In diesem Zusammenhang bilden die Berichtsstandards ESRS S1 (Own workface – Eigene Belegschaft) und ESRS S2 (Workers in the value chain – Arbeitnehmer in der Wertschöpfungskette) unter anderem Informationen bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter (Lohngefälle, Geschlechtervielfalt in Leitungsorganen) und Inklusion sowie zu den Bereichen Ausbildung und Kompetenzentwicklung ab. Die Richtlinie hat demnach das übergeordnete Ziel, organisatorische Veränderungen zur Förderung der Nachhaltigkeit im Umgang mit Mitarbeitern zu implementieren. Diese Maßnahmen betreffen sowohl die eigene Belegschaft als auch die Beschäftigten in der Wertschöpfungskette.

Die Informationsbeschaffung bzw. die Implementierung der standardkonformen Berichterstattung wird erfahrungsgemäß einen erheblichen zeitlichen Vorlauf in den Bereichen Controlling, Personal und Finanzbuchhaltung benötigen. Eine wichtige Frage ist nun, wie sich Personalabteilung und Geschäftsführung auf die neuen Herausforderungen einstellen können.
 

Offenlegungsanforderungen zur eigenen Belegschaft

Im Rahmen der Aufbereitung der arbeitnehmerbezogenen Informationen ist insbesondere der ESRS S1 von zentraler Bedeutung. Anhand von 17 normierten Offenlegungspflichten sollen die Adressaten des Nachhaltigkeitsberichts in die Lage versetzt werden, eine Einschätzung der Arbeitsbedingungen sowie ihrer Auswirkungen auf das Unternehmen und die Belegschaft vornehmen zu können. Hierbei müssen die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen von Chancen und Risiken auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens, die sich beispielsweise aus der Personalsituation (z. B. Fachkräftemangel) ergeben können, dargelegt werden. Ergriffene Maßnahmen zur Verhinderung oder Behebung tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen auf das Unternehmen und die Belegschaft müssen beschrieben werden. Der Standard führt beispielsweise auf, dass Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Frauen in den oberen Führungsebenen positive Auswirkungen (z. B. Erhöhung des Pools an qualifizierten Arbeitskräften, Verbesserung des Ansehens des Unternehmens) auf das Unternehmen haben.

Die Analyse des ESRS S1 verdeutlicht, dass neben einer ausführlichen Beschreibung der wesentlichen Rahmenwerke und Zielsetzungen zahlreiche Leistungsindikatoren offengelegt werden, die die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen aufzeigen. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen unter anderem auf folgende Punkte einzugehen:

  • Es ist darzustellen, ob es spezifische Richtlinien gibt, die auf die Beseitigung von Diskriminierung, einschließlich Belästigung, die Förderung der Chancengleichheit und andere Möglichkeiten zur Förderung von Vielfalt und Inklusion abzielen. Das Verfahren zur Sicherstellung der Vorgaben ist zu beschreiben.  
  • Die Art der Einbindung der Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmervertreter in wesentliche Unternehmensentscheidungen ist darzustellen.     
  • Der Prozess zur Meldung von Arbeitnehmerbeschwerden sowie die organisatorische Einbindung (Überwachung, Abhilfemaßnahmen, Schutz des Beschwerdeführers, Durchführung durch Unternehmen/Dritten) sind zu erläutern.

Wenn das Unternehmen noch keine Richtlinien und Verfahren zu den oben angeführten Handlungsbereichen eingeführt hat, ist dies offenzulegen. Hierbei kann angegeben werden, bis zu welchem Zeitpunkt die fehlenden Richtlinien eingerichtet werden. Unter Beachtung der tarifrechtlichen Regelungen (Ruhepausen, Höchst- und Mindestarbeitszeiten, Mitbestimmungsrechten) und der gesetzlichen Vorgaben zu Arbeitssicherheit, Betrieblichem Eingliederungsmanagement, Datenschutz, Hygienestandards etc. ist davon auszugehen, dass Unternehmen aus der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bereits heute eine Vielzahl der Offenlegungspflichten des ESRS S1 abdecken.
 

Leistungsindikatoren zur eigenen Belegschaft

Im Rahmen der Berichterstattung sieht der ESRS S1 zusätzlich elf Leistungsindikatoren vor, deren Grunddaten bereits überwiegend in der Personalabteilung (oder Verwaltungsleitung) vorliegen dürften. Im Einzelnen sind zukünftig unter anderem die folgenden Kennzahlen im Lagebericht aufzuführen:

Bezeichnung Kennzahl Datenbasis
Merkmale der Mitarbeiter "Kopfzahl/Vollzeitäquivalente (nach Geschlecht), Fluktuationsrate,
Anteil befristete Verträge"
Personalabteilung
Merkmale von nicht angestellten Arbeitnehmern Kopfzahl/Vollzeitäquivalente (Honorarkräfte, Zeitarbeit etc.) Verwaltung
Tarifbindung Anteil der Mitarbeiter mit tarifgebundenen Arbeitsverträgen Personalabteilung
Diversitätsindikatoren "Geschlechterverteilung auf der obersten Führungsebene, Altersgruppen (unter 30, 30 bis 50, über 50 Jahre)" Personalabteilung
Angemessene Löhne Anteil der Mitarbeiter mit angemessenem Lohn (im Verhältnis  Statistisches Bundesamt, zu geeigneten Bezugswerten wie z. B. Mindestlohn) Personalabteilung
Menschen mit Behinderung Anteil der Menschen mit Behinderung Meldung an die Bundesagentur für Arbeit
Ausbildung und Kompetenzentwicklung Prozentsatz der regelmäßigen Leistungsbeurteilungen; Schulungsstunden pro Mitarbeiter (nach Mitarbeiterkategorie/Geschlecht) Qualitätsmanagement, Ausbildungsmanagement, Personalabteilung
Gesundheits- und Sicherheitsindikatoren Anzahl meldepflichtiger Arbeitsunfälle, arbeitsbedingter Erkrankungen und der damit zusammenhängenden Ausfalltage Berufsgenossenschaft, Personalabteilung
Work-Life-Balance Anteil der Mitarbeiter mit Anspruch auf sowie mit wahrgenommenem Familienurlaub (Elternzeit, Pflegezeit) Lohn-/Gehaltsabrechnung
Vergütungskennzahlen Prozentuales Lohngefälle (Gender Pay Gap), Gesamtvergütungsverhältnis Lohn-/Gehaltsabrechnung
Vorfälle zu Menschenrechten Anzahl der Diskriminierungs-, Belästigungsfälle Geschäftsführung, Compliance-Beauftragter

Tabelle: Leistungsindikatoren zur eigenen Belegschaft nach ESRS S1

Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass zukünftig auch Informationen über Leiharbeitnehmer und Honorarkräfte in die Offenlegung einbezogen werden. Hervorzuheben ist auch die Offenlegungspflicht zu Verdienstunterschieden. Hierbei wird das Verhältnis der Jahresgesamtvergütung der bestbezahlten Person zum Median der Jahresgesamtvergütung aller Mitarbeiter zugrunde gelegt.
 

Soziale Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette

Durch den Standard ESRS S2 werden die Unternehmen zukünftig verpflichtet, Angaben über Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette näher zu beleuchten. Im Kern wird angestrebt, einen Überblick über die bei den Geschäftspartnern etablierten Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte, zur Bekämpfung von Zwangs- und Kinderarbeit, zum Umweltschutz und über Maßnahmen gegen Korruption und Bestechung zu erlangen. Hierzu ist insbesondere die Information ob eine systematische Analyse der Lieferanten (z. B. Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten) erfolgt bzw. ein Verhaltenskodex für Lieferanten existiert, von zentraler Bedeutung.

Weitere Offenlegungsanforderungen betreffen folgende Themenbereiche:

  • Kanäle für Arbeitnehmer in der Wertschöpfungskette, um Bedenken zu äußern (Beschwerdemechanismen)
  • Ergreifung von Maßnahmen gegen wesentliche negative Auswirkungen auf Arbeitnehmer in der Wertschöpfungskette und Wirksamkeit dieser Maßnahmen
  • Ansätze zur Minderung wesentlicher Risiken und zur Nutzung wesentlicher Chancen im Zusammenhang mit Arbeitnehmern in der Wertschöpfungskette

Im Rahmen des ESRS S2 werden insbesondere Wirtschaftstätigkeiten näher betrachtet, die durch einen hohen Kosten- und Leistungs- sowie Zeitdruck geprägt sind. Hierbei werden explizit unter anderem Catering- oder Sicherheitspersonal sowie Mitarbeiter von Logistikanbietern als in der Wertschöpfungskette gefährdete Arbeitnehmer definiert.

Im Hinblick auf den ESRS S2 ist zu empfehlen, in einer Beschaffungsrichtlinie die Einhaltung von sozialen Standards verpflichtend vorzugeben und nachhaltige Aspekte in den Vergabekriterien (z. B. Überprüfung des Kriteriums „Wirtschaftliches Angebot“) zu berücksichtigen.
 

Auswirkungen auf das soziale Unternehmensumfeld

Zukünftig muss das Unternehmen gemäß ESRS S3 (Affected Communities – Betroffene Gemeinschaften) die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf das soziale und politische Umfeld bewerten und die Einbindung der betroffenen Gemeinschaften offenlegen. Der Standard führt beispielhaft auf, dass insbesondere der Betrieb einer Einrichtung oder Bauprojekte wesentliche Auswirkungen auf das Umfeld haben, die näher betrachtet werden müssen.

Die Adressaten des Nachhaltigkeitsberichts müssen demnach nachvollziehen können, welche bedeutsamen Chancen und Risiken sich aus dem Betrieb einer Gesundheits- und Sozialeinrichtung (Lärm, Verkehrsbelastung, Arbeitsplätze) für das regionale Umfeld ergeben bzw. welche Kommunikationskanäle zwischen dem Unternehmen und der betroffenen Gemeinschaft bestehen.

Die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Verbraucher und Endnutzer wird durch die Umsetzung des ESRS S4 (Consumers and end-users – Verbraucher und Endnutzer) näher untersucht. Die Geschäftsführung muss demnach unter anderem darlegen, inwieweit die Produkte, Dienstleistungen und Tätigkeiten einer Einrichtung auf einzelne Verbrauchergruppen eine tatsächliche oder potenzielle positive oder negative Auswirkung haben und welche Maßnahmen ergriffen wurden, tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen zu beseitigen. Hierbei ist unter anderem auf die Punkte Beschwerdemanagement und Kommunikation mit den Verbrauchern sowie Beseitigung potenzieller Risiken, die sich aus Produkten oder Dienstleistungen ergeben könnten, einzugehen.
 

Praxis-Hinweis

Die Implementierung der „sozialen“ Nachhaltigkeitsberichterstattung bedingt eine Überprüfung bestehender Abläufe in der Personalabteilung und der Verwaltung insgesamt. So wird es zur Bereitstellung der geforderten Kennzahlen unvermeidbar sein, organisatorische Verfahrensanweisungen im Hinblick auf die Anforderungen der ESRS S1 bis S4 zu modifizieren. Insbesondere die Überprüfung bestehender und die Etablierung neuer Kommunikationskanäle zu den einzelnen Stakeholdern erfordern einen erheblichen zeitlichen Vorlauf. Die Analyse der arbeitnehmerbezogenen Nachhaltigkeitsindikatoren bietet den Unternehmen indes die Chance, Nachhaltigkeit als Mittel zur Mitarbeiterbindung und -gewinnung auszubauen (Employer Branding).

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Wirtschaftsprüfer, Partner, Leitung Grundsatzabteilung, Leitung KompetenzTeam Krankenhäuser
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Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Freiburg

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