Besonderheiten bei der Wertermittlung eines Krankenhauses
Die Bewertung von Krankenhäusern nach dem Ertragswertverfahren hat schon vor dem Auftreten der Corona-Pandemie Bewertungsspezialisten regelmäßig vor Herausforderungen bei der Umsetzung allgemein gültiger Bewertungsgrundsätze gestellt. Viele Häuser befinden sich in wirtschaftlicher Schieflage und weisen keine positiven Ergebnisse aus, die zur Ableitung von Barwerten herangezogen werden können. Kann man unter den gegebenen Rahmenbedingungen, die auch abseits der Pandemie weiterhin bestehen werden (zum Beispiel die unzureichende Investitionsfinanzierung und das Auseinanderdriften von Kosten und Erlösen), wirklich noch standardmäßig von einem Going Concern ausgehen? Und ist ein über den standardgemäß anzusetzenden Wachstumsabschlag im Zeitraum der ewigen Rente unterstelltes dauerhaftes Wachstum angesichts der bestehenden Rahmenbedingungen überhaupt vertretbar? Diese eher technisch anmutenden Fragen haben erhebliche Auswirkungen auf die Wertfindung eines Krankenhauses. Wie ist also mit ihnen in der Praxis umzugehen?
Neben der aktuell schwierigen Planungssituation für Krankenhäuser – insbesondere vor dem Hintergrund der immer noch andauernden Corona-Pandemie – gibt es wenig Anzeichen, dass sich die Rahmenbedingungen von Krankenhäusern, die sich bereits vor Pandemiebeginn in einer wirtschaftlichen Schieflage befanden, verbessern werden. Es ist weiterhin mit Kostensteigerungen bei einer unterproportional steigenden Leistungsvergütung zu rechnen, und die Möglichkeit, durch Leistungsausweitung in sicheres wirtschaftliches Fahrwasser zu gelangen, wird durch zunehmenden politischen Druck deutlich erschwert.
Wie ist also mit Krankenhäusern umzugehen, die schon heute (nachhaltig) negative Ergebnisse ausweisen oder zwar noch über eine ausreichende Ertragskraft verfügen, deren Ergebnisse jedoch aufgrund der bestehenden gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen stetig zu schrumpfen drohen? Die Bewertungstheorie unterstellt im Rahmen der ewigen Rente die dauerhafte Fortführung, was die Einleitung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Geschäftstätigkeit implizit einschließt. Darüber hinaus muss nach aktueller Rechtsprechung zwingend der Ansatz eines Wachstumsabschlags im Rahmen der ewigen Rente erfolgen, der unterstellt, dass jenseits des Detailplanungszeitraums die Ergebnisse um einen bestimmten Faktor wachsen. Aus unserer Sicht ist jedoch eine unreflektierte Anwendung dieser Annahmen nicht sachgerecht – vielmehr müssen diese im Einzelfall auch der Realität entsprechen und damit inhaltlich plausibel zu begründen sein.
Ist die dauerhafte Fortführung im Krankenhaussektor eine haltbare Prämisse?
Laut Bundesrechnungshof verzeichnen mittlerweile 40 % der Krankenhäuser Verluste, für über 10 % besteht eine erhöhte Insolvenzgefahr. Auch wenn das Corona-Jahr 2020 insgesamt zu einer wirtschaftlichen Verschnaufpause führte, wird dieser Effekt schnell verpuffen und die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser sich weiter verschärfen. Kann man somit pauschal von einer dauerhaften Fortführung von Unternehmen im Krankenhaussektor ausgehen? In vielen Fällen ja, denn insbesondere versorgungsrelevante Häuser werden dauerhaft weitergeführt werden (müssen).
Trotz anhaltender Defizite kann es somit Gründe geben, ein Krankenhaus aufrechtzuerhalten – vor allem aus Gründen der Systemrelevanz. In diesen Fällen ist eine Liquidation keine Option, doch sind grundsätzlich Überlegungen anzustellen, ob das Unternehmen in der bestehenden Form einhergehend mit der Annahme permanenter Verluste fortgeführt werden soll oder ob es Handlungsalternativen gibt. Es ist davon auszugehen, dass kein Träger willens und in der Lage ist, Verluste dauerhaft und unbegrenzt zu tragen. Vor diesem Hintergrund sind Überlegungen hinsichtlich verschiedener Möglichkeiten der Fortführung nicht nur bewertungstechnisch, sondern auch wirtschaftlich wichtig. Konsequenzen aus diesen Überlegungen sind entsprechend planerisch umzusetzen und bilden die Voraussetzung dafür, eine Fortführung plausibel abbilden zu können.
Ergänzend ist in diesem Zusammenhang auf eine sachgerechte Diskontierung der Ergebnisse hinzuweisen: Die Grundlogik der Diskontierung zukünftiger Ergebnisse zur Berücksichtigung von Zeit (Basis-Zins) und Risiko (Risikoprämie) ist grundsätzlich richtig. In Theorie und Praxis ist jedoch davon auszugehen, dass Marktteilnehmer bei der Bestimmung der Risikoprämien zukünftige Risiken stärker gewichten als zukünftige Chancen. Somit kann bei andauernden Defiziten eine weitere, unternehmensindividuelle Anpassung der Risikoprämie (und damit des Diskontierungsfaktors) sinnvoll sein und ist im Einzelfall zu prüfen.
Fortführung ja, aber auch Wachstum?
Auch wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass im konkreten Fall eine Fortführung als hinreichend wahrscheinlich anzunehmen ist, ist die Annahme von Wachstum vor dem Hintergrund der aktuellen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in Frage zu stellen. Folglich ist im konkreten Fall abzuschätzen, ob und in welchem Maße Kostensteigerungen weitergegeben bzw. über Effizienzgewinne kompensiert werden können. Dieser Einschätzung muss der Ansatz einer Wachstumsrate im Rahmen der ewigen Rente zwingend entsprechen.
Sollte sich im Rahmen der unternehmensindividuellen Analyse herausstellen, dass das Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, zukünftig Ergebnissteigerungen erzielen zu können, so muss der Verzicht auf den Ansatz einer Wachstumsrate in Betracht gezogen werden. Unterstützt wird diese Auffassung unserer Ansicht nach durch die Verlautbarung IDW S 1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“, in der ausgeführt wird, dass „Preissteigerungen [...] mehr oder weniger stark von [...] [der] Geldentwertungsrate" abweichen können und nicht davon ausgegangen werden kann, dass „Preissteigerungen voll auf die Kunden überwälzt werden können" (IDW S 1 i. d. F. 2008, Abschn. 6.4). Sofern also zukünftige Wachstumsaussichten erwartungsgemäß unterhalb der gesamtwirtschaftlichen Inflationsrate liegen, muss der Ansatz eines geringeren bzw. keines Wachstumsabschlags vertretbar sein. Laut aktueller Rechtsprechung (Finanzgericht Köln, Urteil vom 1. März 2012 –10 K 688/10) gilt die Annahme eines Nullwachstums jedoch insgesamt als unüblich und bedarf deshalb einer substanziierten und ausführlichen Begründung.
Praxis-Hinweis
Die Bewertung eines Krankenhauses sollte im Wesentlichen nach den gleichen Vorgaben und Richtlinien erfolgen wie eine Bewertung von Unternehmen in anderen Wirtschaftsbranchen. Dennoch sind einige Ansätze, die den Besonderheiten des Krankenhaussektors nicht direkt Rechnung tragen, zu hinterfragen und bei Bedarf anzupassen. Zur Erstellung einer validen Bewertung ist auch eine valide Planung unter Abbildung eines realistischen, wirtschaftlichen Fortführungsszenarios notwendig. Unternehmens- und marktindividuelle Besonderheiten sollten sich sowohl in der Planung als auch in Anpassungen der Bewertungsparameter (zum Beispiel Berücksichtigung des Wachstumsabschlags bei der ewigen Rente) widerspiegeln.