Keine Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch bei einer kirchlichen Körperschaft

Die Frage, ob es sich bei kirchlichen Körperschaften um „öffentliche Arbeitgeber“ im Sinne des § 165 SGB IX handelt, ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22). Öffentliche Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn diese sich – entsprechende fachliche Eignung vorausgesetzt – auf eine offene Stelle bewerben. Was „öffentliche Arbeitgeber“ sind, bestimmt sich indes nach § 154 SGB IX, dort insbesondere Abs. 2 Nr. 4, der lautet:

„(2) Als öffentliche Arbeitgeber im Sinne dieses Teils gelten […] 4. jede sonstige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts“


Der Fall

Ein evangelischer Kirchenkreis schrieb für sein Verwaltungsamt eine offene Stelle in der Finanzbuchhaltung aus, auf die sich der kaufmännisch ausgebildete Kläger bewarb. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielt er jedoch nicht. Vor dem Arbeitsgericht verklagte er den Kirchenkreis auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Monatsgehältern. Er war der Auffassung, dass der Kirchenkreis verpflichtet gewesen wäre, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Da dies unterblieben ist, liege eine Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung vor.
 

Die Entscheidung

Der Kläger unterlag in allen Instanzen. Es stützte seinen Anspruch allein auf den Umstand, dass er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, wozu der Beklagte aus seiner Sicht gemäß § 165 SGB IX verpflichtet gewesen wäre. Weitere Indizien, die auf eine Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung hingewiesen hätten, trug der Kläger nicht vor.

Das Bundesarbeitsgericht folgte auch in letzter Instanz dieser Auffassung nicht. Kirchliche Körperschaften sind nicht vergleichbar mit Körperschaften des öffentlichen Rechts, da sie keine staatlichen Aufgaben übernehmen, nicht in die Staatsorganisation eingebunden sind und keiner staatlichen Aufsicht unterliegen. Ihre Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts soll lediglich die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützen. Die mit der Vorschrift des § 165 SGB IX zum Ausdruck kommende „Vorbildfunktion“ der öffentlichen Arbeitgeber gelte eben nicht für kirchliche Körperschaften. Vielmehr sollen diese ebenso staatsfern sein wie private Arbeitgeber. Eine andere Wertung ergebe sich auch nicht aus unionsrechtlichen Vorschriften, insbesondere werde der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht verletzt. Die Schlechterstellung von schwerbehinderten Bewerbern bezogen auf die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gegenüber einem weltlichen öffentlichen Arbeitgeber sei (wie auch bei einem privaten Arbeitgeber) aufgrund der Staatsferne gerechtfertigt. Eine umfassende Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Bewerber sollte nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht geschaffen werden, sondern lediglich eine besondere Verpflichtung für öffentliche Arbeitgeber.


Praxis-Hinweis

Die Entscheidung stellt klar, dass kirchliche Körperschaften nicht von der Verpflichtung umfasst sind, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Wenngleich der Wortlaut des § 154 SGB IX ein anderes Ergebnis möglicherweise gerechtfertigt hätte, stellt auch das Bundesarbeitsgericht letztinstanzlich klar, dass Religionsgemeinschaften, auch wenn sie öffentlich-rechtlich organisiert sind, an dieser Stelle privaten Arbeitgebern gleichgestellt sind.

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Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Münster

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