Ist die Einrichtungsleitung in der stationären Dauerpflege auf die Fachkraftmenge und -quote anrechenbar?

Die Verordnung zum bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (AVPfleWoqG) sieht vor, dass betreuende Tätigkeiten nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden dürfen. Ob zur Erfüllung dieser Anforderung auch eine anwesende Einrichtungsleitung, die gleichzeitig Pflegefachkraft ist, herangezogen werden kann, hatte jüngst der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München zu entscheiden.


In dem zugrunde liegenden Fall ging es darum, ob am 12. Mai 2017 im Zeitraum zwischen 11:30 Uhr und 12:00 Uhr die Fachkraftabdeckung in einer bayerischen Pflegeeinrichtung ausreichend war oder nicht. Die im Dienstplan der Pflege verzeichneten Pflegefachkräfte reichten rechnerisch in dieser halben Stunde nicht aus, allerdings war die Einrichtungsleitung – ebenfalls eine Pflegefachkraft – anwesend. Die Heimaufsicht lehnte die Anrechnung der Einrichtungsleitung auf die Anzahl und die Quote der Pflegefachkräfte grundsätzlich ab. Das Verwaltungsgericht München bestätigte diese Auffassung in erster Instanz. Der VGH München hat die Zulassung der Berufung schließlich mit Beschluss vom 30. März 2023 – 12 ZB 21.2667 abgelehnt und so die Rechtsauffassung der ersten Instanz bestätigt.

Der VGH konnte es dahingestellt lassen, ob Einrichtungsleiterin anwesend war oder nicht, denn er ließ die Einrichtungsleitung bei der Betrachtung der Personalmenge und Fachkraftquote überhaupt nicht gelten. Ihr obliege die administrative Leitung der gesamten Einrichtung, und daher könne sie für die Erfüllung der Verpflichtung aus § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AVPfleWoqG nicht herangezogen werden. Unter Bezugnahme auf die Verordnungsbegründung hält der VGH fest, dass gerade die jederzeitige Anwesenheit einer Fachkraft bzw. die ständige fachliche Anleitung durch eine Fachkraft, die anwesend ist und dabei tatsächlich ihren Dienst verrichtet, um die sofortige und angemessene Reaktion zur Abwendung von Notsituationen zu gewährleisten, wesentlich im Sinne der Qualität der Pflege und des Gesundheitsschutzes der Bewohner sei. Und bei einer Einrichtungsleitung sei das nicht der Fall. Ausnahmen sollen nicht einmal für kurze Zeiträume gelten.

Diese Begründung des VGH ist wenig überzeugend. Eine stationäre Pflegeeinrichtung ist keine Intensivstation, in der der Krisenmodus der Normalmodus ist und die Fachkräfte dem jederzeit drohenden Notfall sofort entgegentreten. Und auch die Fachkräfte in einer Pflegeeinrichtung sind einmal in einer Pause oder in einer Online-Schulung, nehmen an einer Dienstbesprechung teil, begleiten den Praxisbesuch im Rahmen einer Ausbildung oder sind schlicht auf Toilette. Während dieser Zeiten sind die Fachkräfte nicht in der Form auf dem Wohnbereich verfügbar, wie der VGH die AVPfleWoqG versteht. Entscheidend ist, dass in einem Notfall eine Fachkraft schnell gerufen werden kann – und das kann ohne weiteres auch die Einrichtungsleitung sein (wenn sie Pflegefachkraft ist). Die Einrichtungsleitung muss in der hier entscheidenden halben Stunde nicht über die Wohnbereiche gehen und Präsenz zeigen. Sie kann weiterhin ihren administrativen Aufgaben nachgehen. Es genügt, sie im Notfall zu rufen.

Lange fehlte ein wissenschaftlich begründetes Personalbemessungssystem für die stationäre Langzeitpflege. Je weniger eine sachliche Begründung für eine Personalmenge und das Verhältnis zwischen Fach- und Hilfskräften vorhanden war, desto stärker klammerten sich Verwaltungsbehörden und Gerichte an die in den 90er Jahren ohne sachlichen Grund, sondern einfach nur als politischer Kompromiss eingeführte Fachkraftquote. Vom Formelkompromiss der Politik zum heiligen Gral der Heimaufsichten – die Fachkraftquote hat eine erstaunliche Karriere gemacht. Doch damit ist es vorbei: Seit dem 20. Juli 2021 hat das Personalbemessungssystem nach Rothgang Eingang in die Textfassung des § 113a SGB XI gefunden. Lange nur als Zukunftsvision, seit dem 1. Juli 2023 jedoch verbindlich. Der VGH München hat drei Monate vor diesem Datum entschieden.

Damit ist der Beschluss des VGH München heute schon nicht mehr aktuell. Bei nächster Gelegenheit sollte er korrigiert werden, sei es durch ein divergierendes Urteil oder das Tätigwerden der Gesetzgeber. (Die Fachkraftquoten finden sich – noch – in den Landesheimgesetzen, werden aber durch § 113c SGB XI obsolet.)


Fazit

Angesichts des Fachkräftemangels wirkt der Beschluss seltsam aus der Zeit gefallen. Die Forderungen des VGH München erscheinen wie purer Luxus. Wer die Forderungen um jeden Preis halten möchte, wird das Angebot verknappen. Die Gesetzgebung hatte sich mit Rothgang eigentlich auf einen anderen Weg gemacht. Für die Praxis heißt das: Wenn es eng wird mit der Fachkraftbesetzung, wird man die Einrichtungsleitung (sofern Pflegefachkraft) wie die Pflegedienstleitung mitzählen können, wenn die ordnungsrechtlichen Vorgaben kurzfristig aufgefüllt werden müssen (wie hier für eine halbe Stunde). Ganz normal zählen Einrichtungsleitung und Pflegedienstleitung mit, wenn sie normale Dienste übernehmen, was mittlerweile (Stichwort Fachkräftemangel) oft vorkommt.

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