Entscheidung des Bundesgerichtshofs setzt Gläubigeranträgen Grenzen
Politische Parteien, die in der Bundesrepublik zumeist in eingetragenen oder nicht rechtsfähigen Vereinen organisiert sind, genießen ein verfassungsmäßig garantiertes, hohes Schutzniveau. Hoheitliche Eingriffe, die den Schutzbereich beeinträchtigen, bedürfen einer erhöhten Rechtfertigung. In einem Beschluss nahm der Bundesgerichtshof (BGH) Ende vergangenen Jahres Stellung zu der Frage, inwieweit ein Gläubigerinsolvenzantrag, der sich gegen einen Gebietsverband einer politischen Partei richtet, rechtlich zulässig ist (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – IX ZB 4/18).
Der 9. Senat sieht in diesem Bereich die Notwendigkeit einer Gegenüberstellung und umfassenden Abwägung von Grundrechtspositionen und verneint im Ergebnis das rechtliche Interesse der Finanzverwaltung an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Entscheidung zeigt auf, dass Gläubiger es nicht unbedingt in der Hand haben, ein Insolvenzverfahren zu initiieren. Dies gilt auch unabhängig von einer politischen Betätigung einer säumigen Körperschaft.
Der Fall
Ein Landesverband einer politischen Partei stellte in den Jahren 1998 bis 2000 Spendenbescheinigungen für Parteimitglieder aus. Das Finanzamt betrachtete die Bescheinigungen als fehlerhaft und die Ausstellung als grob fahrlässig, es kam zum Erlass von Haftungsbescheiden wegen entgangener Einkommensteuer. Der Landesverband unterlag im Einspruchs- und im Klageverfahren. Das Finanzamt begann sodann mit der Vollstreckung, die im Ergebnis erfolglos blieb. Der (Gläubiger)Insolvenzantrag des Finanzamtes im November 2016 führte zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Landesverband ging gegen den Eröffnungsbeschluss erfolgreich vor und erstritt vor dem Landgericht Mainz (Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 8 T 208/17) die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und die Abweisung des Insolvenzantrags.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und begründete seine Auffassung ausführlich. Zuvorderst stellte der 9. Senat klar, dass der Landesverband als nicht rechtsfähiger Verein dem Grunde nach insolvenzfähig ist. Die Richter vermochten keine planwidrige Regelungslücke der Insolvenzordnung zu erkennen, die zu dem Schluss führte, dass politische Parteien oder ihre Untergliederungen im Sinne des Parteiengesetzes von der Insolvenzfähigkeit ausgenommen wären.
Sowohl der Wortlaut als auch die Gesetzesbegründung seien in dieser Frage eindeutig. Eine Gleichstellung mit der Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahrens von § 12 InsO erfassten Gebietskörperschaften oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Einzelfall verbiete sich. Ferner lasse sich die Insolvenzunfähigkeit auch nicht verfassungsrechtlich begründen. Für Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder für Rundfunkanstalten werde die Unzulässigkeit eines Insolvenzverfahrens ausnahmsweise damit begründet, dass die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit praktisch nicht gegeben sei. Diese Überlegung sei auf politische Parteien nicht übertragbar, deren Solvenz weder aus eigener Kraft noch durch ihren Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung gewährleistet sei.
Insolvenzfähigkeit vereitelt Gesamtvollstreckungsverfahren
Im Übrigen ist der BGH der Auffassung, der Ausschluss der Insolvenzfähigkeit würde das geschützte Gläubigerinteresse an der Durchführung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens in unrechtmäßiger Weise vereiteln. Darüber hinaus nehme er dem Insolvenzgläubiger die Möglichkeit, einen Eigenantrag auf Verfahrenseröffnung zu stellen, um eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren zu gewährleisten.
Abwägung der Grundrechte
Der BGH befasst sich sodann eingehend mit der Gegenüberstellung und Abwägung der maßgeblichen Grundrechte, Art. 21 GG auf Seiten des Gebietsverbandes und Art. 14 GG auf Seiten des Gläubigers Finanzamt.
Eingriffsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters gehen zu weit
Ausführlich benennt der Senat die umfänglichen Eingriffe, die ein Insolvenzverfahren mit sich bringt. Auch wenn die Vereinsorgane weiterhin im Amt blieben und ihre Befugnisse behielten, ginge die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter über, welches dieser im Übrigen umgehend in Besitz zu nehmen habe. Der Insolvenzverwalter erlange einen umfassenden Einblick in sämtliche finanzielle Verhältnisse einschließlich der Identitäten von Gläubigern und Schuldnern und damit mittelbar über das Wirken der Parteiorgane. Damit werde die politische Betätigungsfreiheit der Partei getroffen, denn § 21 GG garantiere, über Einnahmen und Vermögen frei von staatlicher Kontrolle zu verfügen. Dies gelte auch für den Umstand, dass es dem Insolvenzverwalter zusteht, Räumlichkeiten zu betreten und Nachforschungen anzustellen. Zusammenfassend gingen die Befugnisse des Insolvenzverwalters deutlich über die im Parteiengesetz vorgesehene Rechenschaftspflicht hinaus.
Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung führe nach Ansicht der Bundesrichter zwar zu einer geringfügigeren Beeinträchtigung, jedoch habe die Gläubigerversammlung es in der Hand, die Beendigung der Eigenverwaltung herbeizuführen. Es stehe damit nicht im Ermessen des Insolvenzgerichts, den Eingriff in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Status der Partei nach eigenem Ermessen abzumildern.
Kein rechtliches Interesse an Stellung eines Gläubigerantrags
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Beschränkungen der Betätigungsfreiheit des Landesverbandes verneinte der BGH das von § 14 InsO geforderte rechtliche Interesse an der Stellung eines Gläubigerantrags durch das Finanzamt. Das Insolvenzgericht hätte das Interesse nur bejahen können, sofern es hätte feststellen können, dass die Eröffnung auch unter Berücksichtigung des Status der politischen Partei nach Art. 21 GG verhältnismäßig ist.
Dazu stellt der BGH fest, dass das Finanzamt als öffentlicher Gläubiger im Vergleich zu privaten Gläubigern von vornherein kein grundrechtlich geschütztes Interesse vorweisen könne. Entscheidend sei aber vor allem, dass das Finanzamt der einzige Gläubiger gewesen sei, weshalb das Bedürfnis einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung ausscheide. Die bloße Möglichkeit, dass weitere Gläubiger existieren könnten, reiche nicht aus. Auch sei mangels wirtschaftlicher Betätigung des Gebietsverbandes nicht ersichtlich, dass dieser an seinem Fortbestand aus der anerkannten „marktbereinigenden“ Funktion eines Insolvenzantrags hätte gehindert werden müssen.
Fazit zu Gläubigerinsolvenzanträgen gegenüber politischen Parteien
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist begrüßenswert. Neben der Klarstellung, dass Insolvenzanträge von Gläubigern, die politischen Parteien und ihre Untergliederungen betreffen, in besonderem Maße verfassungsrechtlich zu würdigen sind, verdeutlicht der 9. Senat, dass bei Gläubigerinsolvenzanträgen, die sämtliche Körperschaften (nicht nur Parteien) in starke Bedrängnis bringen können, stets eine substantiierte Darlegung des rechtlichen Interesses erforderlich ist. Darüber hinaus bekräftigen die Richter in Karlsruhe die Insolvenzfähigkeit von Vereinen in jedweder Ausprägung.
Die jüngste Insolvenzrechtsreform durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) zur Jahreswende hat an den für Vereine und Stiftungen geltenden Vorschriften keine Änderungen vorgenommen. Die Insolvenzantragspflicht richtet sich für Vereine und Stiftungen nach wie vor nach § 42 BGB. Trotz gesetzlicher Neugestaltung und Präzisierung der Insolvenzantragspflicht etwa für Kapitalgesellschaften, bleibt für Vereine in Stiftungen nach wie vor streitig, innerhalb welches Zeitraums der Gang zum Insolvenzgericht angezeigt ist. Damit fehlt es weiterhin an Rechtsklarheit. Im Übrigen wird die Verantwortlichkeit des Vorstands von der neu geschaffenen Haftungsnorm des § 15b InsO nicht berührt.