Neues zum ermäßigten Umsatzsteuersatz für Zweckbetriebe

Mit Urteil vom 23. Juli 2019 – XI R 2/17 – hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Leistungen eines Zweckbetriebes in bestimmten Fällen nicht ermäßigt besteuert werden dürfen. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um das Bistro eines gemeinnützigen Vereins, das unter anderem von behinderten Menschen betrieben wurde. Die Urteilsbegründung schürte die Angst vor weitreiche

BFH-Entscheid: Keine ermäßigte Besteuerung von Leistungen eines Zweckbetriebes in bestimmten Fällen.

 

Mit Urteil vom 23. Juli 2019 – XI R 2/17 – hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Leistungen eines Zweckbetriebes in bestimmten Fällen nicht ermäßigt besteuert werden dürfen. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um das Bistro eines gemeinnützigen Vereins, das unter anderem von behinderten Menschen betrieben wurde. Die Urteilsbegründung schürte die Angst vor weitreichenden Folgen für sämtliche Einrichtungen der Behindertenhilfe. Aufgrund der Brisanz für die betroffenen Einrichtungen – insbesondere der Behindertenhilfe – setzte umgehend intensive Lobbyarbeit ein. Wir fassen den aktuellen Stand zusammen.

Kernaussage und Streitpunkt

In seinem Urteil argumentierte der BFH, dass für die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes grundsätzlich zwei Voraussetzungen bestehen: Zum einen dürften die erzielten Umsätze nicht in unmittelbarem Wettbewerb zu Leistungen von gewerblichen Unternehmern treten, die den vollen Steuersatz von 19 % erheben müssen. Zum anderen müsse die Leistungserbringung der Verwirklichung des steuerbegünstigten satzungsgemäßen Zwecks selbst dienen.

Dabei stellte der BFH fest, dass der Betrieb zwar der Zweckverwirklichung diente (dort wurden Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose beschäftigt), die erbrachten Leistungen aber gegenüber Gästen bzw. Nutzern erbracht würden, die regelmäßig nicht zum begünstigten Personenkreis des § 53 AO zählen. In der Folge seien die zu beurteilenden Leistungen nicht originär gemeinnützig und aus diesem Grunde von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen. Gegen das Urteil wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, die sich unter anderem auf die Nichtanwendung geltenden EU-Rechts bezieht.

Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums

Am 11. Februar 2020 schrieb das Bundesfinanzministerium (BMF), dass wegen der möglichen weitreichenden Folgen einer allgemeinen Anwendung des BFH-Urteils auf als gemeinnützig anerkannte Inklusionsbetriebe und Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) die Veröffentlichung des Urteils zurückgestellt wird. Dadurch ist sichergestellt, dass die Finanzverwaltung weiterhin die bisherige Rechtslage zugunsten betroffener Einrichtungen anwendet. Im Rahmen der Verhandlungen über die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Reform der europarechtlichen Vorgaben für die Mehrwertsteuersätze will sich das BMF für die Belange der betroffenen Menschen mit Behinderungen einsetzen.

Stellungnahme der EU-Kommission

Mittlerweile liegt eine Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 4. September 2020 vor. Dort wird auf Anhang III Punkt 15 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) verwiesen, der es Mitgliedstaaten erlaubt, die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Dienstleistungen zu beschränken, die die doppelte Anforderung erfüllen (sich selbst dem sozialen Gemeinwohl zu widmen und für wohltätige Zwecke oder im Bereich der sozialen Sicherheit tätig zu sein). Selbst nach einer wie auch immer gearteten Reform der MwStSystRL wird demnach die Entscheidung über die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates verbleiben.

Geltendes Recht in Deutschland und Beurteilung

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG sind Leistungen der Körperschaften, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke (§§ 51 – 68 AO) verfolgen, ermäßigt zu besteuern (Satz 1). Das gilt nicht für Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (Satz 2). Nach Satz 3 gilt die Steuerermäßigung nur dann, wenn (1. Alternative) der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden, oder (2. Alternative) wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer (in §§ 66 – 68 AO bezeichneten) Zweckbetriebe die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht.

Was mit „nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen“ gemeint ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Für Zweckbetriebe nach § 68 Nr. 3 Buchst. a und c AO (WfbM und Inklusionsbetriebe) dürfte ausschließlich die 2. Alternative zur Anwendung kommen. Selbstverständlich werden die im Rahmen einer WfbM oder eines Inklusionsbetriebes erbrachten Leistungen entgeltlich angeboten, um die Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt und deren Entlohnung für ihre Tätigkeit sicherzustellen. Die Erzielung von Umsätzen ist hier die originär mildtätige Tätigkeit, auf die sich das Steuersatzprivileg bezieht.

Fazit zum ermäßigten Umsatzsteuersatz für Zweckbetriebe

Eine Entscheidung auf EU-Ebene, wie sie das BMF präferiert, wird es wohl nicht geben. Unseres Erachtens bieten die geltenden Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts eine ausreichende Grundlage für die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die Leistungen von WfbM und Inklusionsbetrieben. Ungeachtet dessen haben die Sozialminister der Länder in ihrer Konferenz am 26. November 2020 (97. Konferenz der ASMK) die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, eine Regelung im Umsatzsteuergesetz zu treffen, die die Anwendung des ermäßigtem Umsatzsteuersatzes in WfbM und Inklusionsbetrieben vorsieht.

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