Haften Geschäftsführer auch für kriminelle Angestellte?

Das Oberlandesgericht Nürnberg moniert bei einem eher überschaubaren Unternehmen Verletzungen der „Compliance-Pflichten“ und verurteilt den Geschäftsführer zu einer sechsstelligen Schadenersatzzahlung. Auf den ersten Blick scheint der Fall weit ab der Wirtschaftswelt freigemeinnütziger Träger, die angewandten Rechtsgrundsätze lassen sich jedoch uneingeschränkt auf die Sozialwirtschaft übertragen.

Mit Urteil vom 30. März 2022 – 12 U 1520 – hat das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg den Geschäftsführer eines eher überschaubaren Unternehmens zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von mehr als 750.000 EUR verurteilt, obwohl dieser glaubte, alles richtig gemacht zu haben. Auf den ersten Blick scheint der Fall weit ab der Wirtschaftswelt freigemeinnütziger Träger. Ähnliche Vorfälle sind aber in jedem Unternehmen denkbar, und die angewandten Rechtsgrundsätze lassen sich uneingeschränkt auf die Sozialwirtschaft übertragen.

Das Unternehmen verfügte neben dem Geschäftsführer über nur 13 weitere Verwaltungsmitarbeiter und betrieb zwei Tankstellen für LKW. Die Kunden – Unternehmen – erhielten Tankkarten, die ihnen die Betankung ihrer Fahrzeuge erlaubten. Eine Abrechnung erfolgte zum Monatsende. Ein Schutzsystem sollte den Eintritt von Schäden ab einer bestimmten Höhe verhindern. Der den Kunden pro Monat gewährte ungesicherte Kredit war auf einen Höchstbetrag begrenzt. Wurden Rechnungen nicht ausgeglichen, sollten die Tankkarten gesperrt werden.

Während des Geschäftsverhältnisses gerieten drei Tankkunden in wirtschaftliche Schieflage, so dass sie auf den Kraftstoff zur Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebs angewiesen, aber außer Stande waren, die dafür gestellten Rechnungen voll auszugleichen. Das Ausbleiben der Zahlungen hätte zu einer Beendigung der weiteren Treibstoffabgabe an diese Kunden führen müssen. Ein für Akquise und Tankkartenzuordnung zuständiger Mitarbeiter des Unternehmens verhinderte dies mit hoher Energie heimlich, indem er die betroffenen Tankkarten in der Unternehmenssoftware anderen Kunden zuordnete. Die diesen deswegen fehlerhaft ausgestellten Rechnungen fing er ab und adressierte sie an die eigentlichen Kunden um. Misslang dies und wurde eine ungerechtfertigte Rechnung moniert, reagierte er mit weiteren „Vertuschungsmaßnahmen“. Als der Mitarbeiter einen Urlaub antrat und erneut Rechnungen moniert wurden, führte eine Überprüfung zur Aufklärung des Sachverhalts.

Da die begünstigten Tankkunden in Insolvenz fielen, erlitt das Unternehmen Ausfälle und nahm dafür seinen Geschäftsführer erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch, obwohl sich dieser auf die erschwerte Erkennbarkeit infolge der Verdeckungshandlungen und sein Vertrauen in den bislang untadeligen Mitarbeiter berief. Das Gericht begründete sein Urteil mit vom Geschäftsführer zu verantwortenden Organisationsmängeln. Es habe ein Kontrollsystem gefehlt, welches das rechtmäßige und weisungskonforme Verhalten der Mitarbeiter hinreichend effektiv überprüfte und sie so vor Fehlverhalten abschreckte. Damit habe der Geschäftsführer seine Pflichten zu einer ordentlichen Unternehmensführung verletzt.

Fazit

Es mag dem verbreiteten Rechtsempfinden widersprechen, einen seine Arbeit „gut“ machenden Geschäftsführer infolge des heimlichen und mit hoher Energie durchgeführten kriminellen Verhaltens eines bisher unbescholtenen Mitarbeiters in Haftung zu nehmen. Dass Geschäftsführer und Vorstände strenge Organisationspflichten treffen, ist aber schon lange bekannt. Gewissen Neuheitswert hat, dass ein Gericht bei einem Unternehmen mit geringem Personalaufkommen ausdrücklich Verletzungen der „Compliance-Pflichten“ moniert und dazu Maßstäbe entwickelt. Das ist von Bedeutung, denn die Fehlvorstellung, dass Compliance-Maßnahmen nur ein Thema für große Trägerstrukturen und Industrieunternehmen seien, ist weit verbreitet. Auch haben Geschäftsleiter oft nur ungenaue Vorstellungen von insoweit bestehenden Pflichten. Das führt häufig zu einer gewissen Nachlässigkeit, die sich zu einem existenzbedrohlichen Haftungsfall auswachsen kann. Geschäftsleitern bereitet das Thema wenig Freude und scheint von der eigentlich wichtigen Leitungsarbeit abzulenken. Die Einrichtung einer soliden systematischen Unternehmensorganisation erlaubt aber nicht nur gesunden Schlaf, sondern ist auch essentieller Bestandteil ordnungsgemäßer Unternehmensführung – nicht Kür, sondern Pflicht – und damit auch von Aufsichtsgremien zu kontrollieren.

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