Der beabsichtigte Aufbruch und Fortschritt in der Gesundheits- und Pflegepolitik
Der Anfang Dezember unterzeichnete Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP skizziert auf acht Seiten die Ziele im Bereich Gesundheitspolitik der neuen Ampelregierung.
So wollen die Parteien die ambulante Bedarfs- und stationäre Krankenhausplanung gemeinsam mit den Ländern zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiterentwickeln. Zur Förderung der Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen, ist eine sektorengleiche Vergütung für geeignete Leistungen durch sogenannte Hybrid-DRG beabsichtigt. Welche Leistungen darunterfallen könnten, wird jedoch nicht erwähnt. Eins der wenigen klar definierten Ziele ist die Aufhebung der Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich.
In unterversorgten Regionen will die Bundesregierung künftig zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen die ambulante Versorgung sicherstellen. Wie diese gemeinsame Sicherstellung mit welcher Rollenverteilung auszusehen hat, bleibt jedoch offen.
Im Weiteren sieht die Amprelregierung vor, die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und deren Zweigpraxen zu erleichtern. Weshalb der damit beabsichtigte Abbau bürokratischer Hürden nicht trägerunabhängig allen MVZ zugutekommen soll, ist nicht nachvollziehbar. Gleichzeitig ist vorgesehen, dass künftig die zuständige Landesbehörde Entscheidungen des Zulassungsausschusses bestätigt, was der sonst beabsichtigten Entbürokratisierung widerspricht. Auch wird die Intention dieser Zielsetzung nicht erläutert.
Durch den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren will die Koalition die wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung sichergestellt und durch spezifische, allerdings nicht näher erläuterte, Vergütungsstrukturen fördern. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen künftig die Möglichkeit haben, die ambulante Notfallversorgung in enger Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern in integrierten Notfallzentren selbst sicherzustellen oder diese Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber zu übertragen. Zudem soll das Rettungswesen als integrierter Leistungsbereich in das SGB V aufgenommen werden.
Sehr vage bleibt die Ampelregierung im Hinblick auf die Krankenhausplanung und die Krankenhausfinanzierung. Geplant ist eine Regierungskommission, die „Leitplanken“ für eine auf Versorgungsstufen gegründete Krankenhausplanung vorlegen soll. Die Krankenhausfinanzierung will die Ampelregierung weiterentwickeln und um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Uniklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzen. Kurzfristig ist eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe vorgesehen.
Im Rahmen der Reform der Krankenhausvergütung werden Mittel für Weiterbildung in den Fallpauschalen künftig nur an die Kliniken anteilig ausgezahlt, die auch weiterbilden. Die Pflegeausbildung will man in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Rehabilitation ermöglichen, soweit diese die Voraussetzungen erfüllen. Die Approbationsordnung wird mehr auf Digitalisierung, Ambulantisierung, Spezialisierung, Individualisierung und berufsgruppenübergreifende Kooperation ausgerichtet.
Die bereits fortlaufende Digitalisierung im Gesundheitswesen will das Bündnis beschleunigen. Ziel ist es, regelmäßig telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung zu ermöglichen. In der Pflege sieht der Koalitionsvertrag vor, die Digitalisierung u. a. zur Entlastung bei der Dokumentation, zur Förderung sozialer Teilhabe und für therapeutische Anwendungen zu nutzen.
Um den Einsatz der Pflegekräfte in der Corona Pandemie anzuerkennen, stellt die Ampelregierung eine Milliarde Euro zur Verfügung und will die Steuerfreiheit des Pflegebonus auf 3.000 € anheben. Gleichzeitig sollen professionell Pflegende künftig auch heilkundliche Tätigkeiten übernehmen dürfen. Zudem ist Verabschiedung eines allgemeines Heilberufegesetz sowie die Harmonisierung von Ausbildungen für Pflegeassistenz, Hebammenassistenz und Rettungssanitäter durch bundeseinheitliche Berufsgesetze beabsichtigt.
Eine moderate Anhebung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung soll die steigenden Pflegekosten kompensieren. Im Gegenzug sollen versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder pandemiebedingte Zusatzkosten aus Steuermitteln finanziert und die Beitragszahler dadurch entlastet werden.
Die Eigenanteile in der stationären Pflege will die Ampelregierung begrenzt und planbar machen. Um die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend abzusichern, wird zudem die Ergänzung der sozialen Pflegeversicherung um eine freiwillige paritätisch finanzierte Vollversicherung geprüft.
Das Pflegegeld soll ab 2022 regelhaft dynamisiert und die Pflegezeit- sowie Familienpflegezeitgesetze weiterentwickelt werden, um die Pflege durch Angehörige und Nahestehende zu ermöglichen. In der stationären Langzeitpflege ist eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte geplant, um die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege zu schließen und den Pflegeberuf insgesamt attraktiver zu machen.
Im Bereich der Psychotherapie hat sich die Bundesregierung insbesondere die Verbesserung der ambulanten psychotherapeutische Versorgung und die Reformierung psychotherapeutischer Bedarfsplanung zum Ziel gesetzt.
Fazit
Der Koalitionsvertrag formuliert überwiegend sehr allgemeine Absichten der neuen Bundesregierung im Rahmen der Gesundheits- und Pflegepolitik. Bei Schlagworten wie „sektorengleiche Vergütung“ und „gemeinsame Sicherstellung“ bleiben Details und damit viele Fragen offen. Insoweit bleibt abzuwarten ob und auf welche Art und Weise die Pläne der Ampelkoalition umgesetzt werden. Und damit auch, inwieweit der Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik tatsächlich gelingt.