EuGH verneint Unternehmereigenschaft von Aufsichtsräten auch bei variabler Vergütung

Nachdem sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 zur Umsatzsteuerbarkeit der Festvergütung von Aufsichtsratsmitgliedern geäußert hat, liegt nun eine Entscheidung vor, die die variable Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern betrifft (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 – C‑288/22). Nach Auffassung des EuGH sind Aufsichtsratsmitglieder auch bei variabler Vergütung nicht Unternehmer, so dass ihre Vergütung nicht umsatzsteuerbar ist.


2019 beurteilte der EuGH die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds in einer Stiftung gegen Festvergütung als unselbständige, nicht wirtschaftliche Tätigkeit und verneinte die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds mit der Folge, dass eine Festvergütung für die Tätigkeit als Aufsichtsrat nicht der Umsatzsteuer unterliegt (EuGH, Urteil vom 13. Juni 2019 – C-420/18). Dieses Urteil führte zur Änderung der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs und der deutschen Finanzverwaltung, wonach Aufsichtsratsmitglieder in Deutschland bislang generell als selbständig und damit als Unternehmer angesehen worden waren. Nach Änderung von Abschn. 2.2 Abs. 3a UStAE sind aktuell nur noch Aufsichtsräte mit einem variablen Anteil von mindestens 10 % der Gesamtvergütung selbständig tätig und können als Unternehmer angesehen werden.
 

Der Fall

TP ist Mitglied des Verwaltungsrats von vier luxemburgischen Aktiengesellschaften. Die Amtszeit beträgt jeweils zwischen vier und sechs Jahre. Dem Verwaltungsrat  obliegen insbesondere folgende Aufgaben: Rechnungslegung, Risikopolitik, strategische Ausrichtung der Unternehmen sowie Ausarbeitung von Vorschlägen für die Aktionärsversammlungen. Die laufenden Geschäfte werden von einem Geschäftsführungsausschuss geführt. Laut Gesetz haften Verwaltungsratsmitglieder nicht persönlich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Über die Vergütung der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder fasst die Hauptversammlung der Aktionäre Beschluss. Die Vergütung ist nicht schriftlich vereinbart. Sie besteht entweder aus einer Festvergütung oder einer Tantieme, die vom Erfolg der Aktiengesellschaften abhängt. TP stuft seine Verwaltungsratstätigkeit als nichtselbständig ein, während das Finanzamt ihn als Unternehmer ansieht und damit die Umsatzsteuerpflicht der Vergütung bejahte. Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH sind die Fragen, ob die Tätigkeit im Verwaltungsrat eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt und ob sie selbstständig ausgeübt wird.
 

Die Entscheidung

Der EuGH bejaht zunächst das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Tätigkeit im Verwaltungsrat stelle eine Dienstleistung gegen Entgelt dar. Dem stehe nicht entgegen, dass die Vergütung lediglich mündlich vereinbart wurde. Aufgrund der mehrjährigen Amtszeit wird die Tätigkeit nach Auffassung des EuGH auch nachhaltig ausgeübt. Allerdings werde die Tätigkeit nicht selbständig ausgeführt, was zu einer Versagung der Unternehmereigenschaft des Verwaltungsratsmitglieds führt. Zwar regele TP die Art und Weise seiner Tätigkeit grundsätzlich frei, trete im eigenen Namen auf und stehe auch nicht in einem Unterordnungsverhältnis, aber er handele nicht für eigene Rechnung und Verantwortung, was Voraussetzung für eine selbständige Tätigkeit sei. TP berate die Gesellschaften und nehme an Abstimmungen teil, hafte jedoch grundsätzlich nicht persönlich für Verpflichtungen der Gesellschaften. Daher tragen diese und nicht TP mögliche negative Konsequenzen der Entscheidungen des Verwaltungsrats und damit das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit. TP übernehme auch mit der Tantieme, die von den erwirtschafteten Gewinnen abhängt, kein eigenes Gewinn- und Verlustrisiko, da die Teilhabe am Gewinn der Gesellschaft nicht mit der Tragung eines eigenen Gewinn- und Verlustrisikos gleichgesetzt werden könne.
 

Praxis-Hinweis

Die neue EuGH-Entscheidung zeigt, dass eine variable Vergütung allein nicht zu einem wirtschaftlichen Risiko des Verwaltungsrats oder Aufsichtsratsmitglieds führt. Voraussetzung für die Beurteilung als Unternehmer ist das Tragen des unternehmerischen Risikos. Ob ein Verwaltungsratsmitglied das unternehmerische Risiko trägt, ist nicht abhängig von der Art der Vergütung (fest oder variabel), sondern anhand der dargestellten Kriterien, insbesondere Haftung und eigene Verantwortung, zu prüfen. Der Sachverhalt betrifft vorliegend einen Verwaltungsrat luxemburgischer Aktiengesellschaften, die Ausführungen des EuGH werden jedoch auch auf Aufsichtsräte nach deutschem Recht übertragbar sein. Die Auffassung der Finanzverwaltung,  wonach Aufsichtsratsmitglieder als selbständig und damit als Unternehmer gelten, sobald der Anteil der variablen Vergütung mindestens 10 % an der Gesamtvergütung beträgt, steht nicht im Einklang mit der neuen EuGH-Entscheidung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Umsatzsteuer-Anwendungserlass entsprechend angepasst wird.

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