Distressed M&A – Weiterer Stresstest für Krankenhäuser

Krankenhäuser sind aktuell mit schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert, die nicht nur zu wirtschaftlichen Schieflagen, sondern häufig auch zu Insolvenzen führen. Diese krisenhaften Situationen führen immer häufiger dazu, dass eine Lösung in Transaktionen gesucht wird. Transaktionsverfahren in der Krise erfolgen unter starkem Zeitdruck bei hoher Anforderung an die Datenaktualität und die Datenqualität. Hierbei spricht man von Distressed M&A-Verfahren. Wir erläutern, worin der Unterschied zu „normalen“ M&A-Verfahren liegt und welche besonderen Herausforderungen bei Distressed M&A-Verfahren bestehen.


Seit Ankündigung der Krankenhaus-Reform Ende 2022 herrscht eine Art Stillstand in den Krankenhäusern; die Fälle kehren nicht zurück, die Finanzierung passt sich nicht den veränderten Rahmenbedingungen an. Das Warten auf eine Konkretisierung der Reform zieht sich in die Länge und wird zunehmend zur Belastung für die Häuser. Der nachhaltige Ausgleich über die Vergütung für Mengenreduktion, Tarif- und allgemeine Preissteigerungen infolge der Inflation bleibt aus. Der Wegfall der Energiehilfen wird die ohnehin angespannte wirtschaftliche Situation vieler Häuser in 2024 weiter verschärfen und damit voraussichtlich auch die Dynamik auf dem Transaktionsmarkt erhöhen. Während Träger und Gesellschafter noch auf kurzfristige Hilfe vom Bund gehofft hatten und finanzielle Engpässe aus den eigenen Reserven oder über Bürgschaften finanziert haben, gehen diese Reserven nun häufig zu Ende, oder die Bereitschaft, Versäumnisse des Systems aus eigenen Mitteln zu finanzieren, nimmt ab.

Oftmals ist die finanzielle Situation der Häuser bereits so angespannt, dass die Zeit für einen strukturierten Transaktionsprozess knapp wird. Zusätzlich schwebt das steigende Insolvenzrisiko belastend über den Gesprächen oder die Insolvenz scheint nicht mehr abwendbar. In beiden Fällen ist Eile geboten, man spricht von einem Distressed M&A-Verfahren. Im Unterschied zu einem „normalen“ Verfahren, das je nach Komplexität in der Regel einen Zeitraum von 6 bis 18 Monate in Anspruch nimmt, setzt man für einen Distressed M&A-Prozess nicht mehr als 3 Monate an.

Während ein Transaktionsprozess vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens den Spielregeln eines normalen M&A-Geschäfts folgt, wechselt das grundlegende Regime nach Verfahrenseröffnung zum Insolvenzrecht, das grundsätzlich weniger Risiken aus Erwerbersicht birgt als Transaktionen außerhalb der Insolvenz. Aus Verkäufersicht gibt es jedoch gute Gründe, eine Veräußerung vor Insolvenz zu forcieren. Neben Reputationseffekten kommen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und das Einsetzen eines Insolvenzverwalters einer Enteignung der Gesellschafter gleich und bedeuten in der Regel die Übernahme der Verfahrenshoheit durch den Insolvenzverwalter, der fortan den Verkaufsprozess in Interessensvertretung der Gläubiger – nicht mehr der Gesellschafter – zu führen hat. Damit liegt der Fokus auf der Erzielung einer möglichst hohen Gläubigerquote und nicht mehr auf der Wahrung von konfessioneller Ausrichtung oder Werteverständnis.

In manchen Fällen können sich aus Verkäufersicht auch Vorteile durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ergeben, indem wichtige Weichen in Bezug auf eine erfolgreiche Sanierung gestellt werden können und eine Beseitigung von Altlasten (wie Schuldenschnitt oder Sonderkündigungsrechte in Bezug auf nachteilige Verträge) vorgenommen werden kann.

Distressed M&A-Verfahren erfolgen unter hoher Unsicherheit für alle Beteiligten. Die Verkäuferseite muss den Interessenten innerhalb kürzester Zeit eine große Menge an Daten (in der Regel über einen virtuellen Datenraum) zur Verfügung zu stellen, auf deren Basis diese ihre Analysen (Due Diligence) durchführen können. Die Erwerberseite ist entsprechend aufgerufen, in ebenso knapper Zeit umfangreiche Analysen durchzuführen, die sie zu einer Übernahmeentscheidung befähigen. Umso höher ist der Anspruch an die bereitzustellenden Daten hinsichtlich Aktualität und Qualität. Der Datenraum muss im Laufe des Verfahrens dynamisch aktualisiert werden und auf die Bedürfnisse der Interessenten ausgerichtet sein. Die Entwicklung der Liquidität spielt häufig eine zentrale Rolle. Insbesondere in Zeiten der Unsicherheit in Bezug auf die Nachhaltigkeit des bestehenden Leistungsportfolios sowie der zukünftigen Finanzierung von Vorhaltung und Leistung müssen die Interessenten kurzfristig in die Lage versetzt werden, auf bestehende Überlegungen des Managements aufsetzen zu können, um in kurzer Zeit möglichst valide Prognosen zu Sanierungsfähigkeit und Fortführung anstellen zu können. Was also früher eher Aufgabe des Erwerbers im Rahmen der Due Diligence war, muss heute zunehmend von Veräußererseite zugeliefert werden.

Entsprechend hoch ist der Aufwand für den Verkäufer, was nicht selten zur Überlastung der Verwaltung führt. Die Verantwortung für den Datenraum trägt die Geschäftsführung, die viele Baustellen parallel zu managen hat. Neben dem Datenmanagement und der Wahrnehmung von Besichtigungs- und Gesprächsterminen stehen die Aufrechterhaltung des krisenbehafteten Tagesgeschäfts und die herausfordernde Kommunikation gegenüber sämtlichen Stakeholdern (insbesondere Gesellschafter, Banken, Mitarbeiter, Presse) im Mittelpunkt. Ferner muss sich die Geschäftsführung ein Bild von der eigenen Sanierungsfähigkeit machen, denn es kann in den aktuellen Zeiten nicht davon ausgehen werden, dass Transaktionsbestrebungen in einer akuten Krisensituation zum Erfolg führen. Also muss man den Plan B kennen bzw. sich über den Grenzpreis in Bezug auf negative Kaufpreisforderungen bewusst werden.

Nicht selten melden Interessenten Gesprächsbedarf hinsichtlich einer Beteiligung der Alt-Gesellschafter an den Sanierungskosten oder der Beseitigung von Altlasten an. Gesellschafterdarlehen, Betriebsmitteldarlehen, Intercompany-Verpflichtungen oder Rückzahlungsansprüche der Kostenträger sind Positionen, für die der Erwerber häufig nicht eintreten mag und über die es zu verhandeln gilt. Es geht also nicht nur darum, den Verkauf voranzutreiben, sondern auch darum, parallel einen souveränen Blick auf die eigenen Handlungsoptionen zu haben.


Fazit

Distressed M&A-Verfahren stellen hohe Anforderungen sowohl an die Käufer- als auch an die Verkäuferseite, wobei es für den Verkäufer von besonderem Interesse sein kann, vor Eintreten einer Insolvenz zu veräußern, um selbst Herr des Verfahrens und der Auswahl des potenziellen Übernehmers zu bleiben. Der zusätzliche Arbeitsanfall für den Prozess, die Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts und das Management insolvenzrechtlicher Risiken, die bis in die persönliche Haftung der Leitungsorgane hineinreichen können, sollte nicht unterschätzt werden. Professionelle Unterstützung hilft, Verwaltung und Management zu entlasten und die Prozesshygiene sicherzustellen. Interdisziplinäre Experten müssen Hand in Hand arbeiten, um einen schnellen und reibungslosen Ablauf sicherzustellen und damit die Chancen auf einen erfolgreichen Transaktionsprozess zu erhöhen.

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Leitung Geschäftsfeld Transaktion und Unternehmensbewertung

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