Endlich – und doch nicht perfekt? Digitale Beschlussfassung auch ohne satzungsrechtliche Grundlage möglich

Durch das „Gesetz zur Erleichterung digitaler Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht“ können Vereine und Stiftungen Mitgliederversammlungen und Sitzungen wie zu Zeiten der Corona-Sonderregelungen nun wieder digital abhalten, auch wenn die Satzung dies nicht ausdrücklich vorsieht.


Die während der Corona-Pandemie geltenden Ausnahmeregelungen zu digitalen Mitgliederversammlungen waren am 31. August 2022 außer Kraft getreten. Mit der Ergänzung des § 32 BGB hat der Gesetzgeber nun eine dauerhafte Regelung getroffen. Nach dem Beschluss des Bundestages und der Zustimmung durch den Bundesrat wurde das Gesetz am 20. März 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet ist am Tag danach, also am 21. März 2023, in Kraft getreten.
 

Gesetzeswortlaut


Durch das Gesetz wird in § 32 BGB folgender neuer Absatz 2 eingefügt:

„Bei der Berufung der Versammlung kann vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Die Mitglieder können beschließen, dass künftige Versammlungen auch als virtuelle Versammlungen einberufen werden können, an der Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen und ihre anderen Mitgliederrechte ausüben müssen. Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.“

Über die Verweisungen im BGB gelten diese Regelungen auch für Sitzungen der Vereins- und Stiftungsvorstände sowie anderer Vereins- und Stiftungsorgane. 
 

Hybride Versammlungen


Aufgrund der gesetzlichen Neuregelung kann jeder Verein ohne Satzungsermächtigung hybride Versammlungen durchführen. Bei einer hybriden Versammlung können die Teilnehmer entweder an der Präsenzversammlung vor Ort oder digital teilnehmen. In welcher Form die Versammlung stattfindet, entscheidet derjenige, der zur Versammlung einlädt. Den Mitgliedern muss in der Einladung zur Versammlung mitgeteilt werden, wie sie ihre Rechte als Mitglieder im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können. Mit „elektronischer Kommunikation“ sind nach der Gesetzesbegründung grundsätzlich alle geeigneten Kommunikationsmittel gemeint, zum Beispiel Videokonferenz, Telefonkonferenz, Meinungsaustausch per Internetdialog („Chat“) oder Abstimmung per E-Mail. Bei der Auswahl der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten muss jedoch berücksichtigt werden, ob das notwendige Maß an Identitätsprüfung, Datenschutz und Dokumentationssicherheit sichergestellt ist. Dies wird bei Kommunikationsmitteln wie WhatsApp oder E-Mail regelmäßig nicht der Fall sein. 
 

Rein virtuelle Versammlungen


Rein virtuelle Versammlungen sind ohne Satzungsermächtigung zukünftig nur dann möglich, wenn die Mitglieder des Organs zuvor beschließen, dass die Versammlung virtuell stattfinden soll. Dieser Beschluss zur digitalen Versammlung ist ohne Satzungsermächtigung in Präsenz oder in einer hybriden Versammlung oder im schriftlichen Umlaufverfahren zu fassen. Die Beschlussfassung, virtuelle Versammlungen bzw. Sitzungen zu ermöglichen, kann für einzelne oder alle künftigen Zusammenkünfte gelten. 
 

Keine Erleichterungen für schriftliche Umlaufbeschlüsse


Bei einem Umlaufverfahren werden Beschlüsse außerhalb von Versammlungen im schriftlichen Verfahren gefasst. Für die Beschlussfassung im Umlaufverfahren wurden die pandemiebedingten Erleichterungen, die bis zum 31. August 2022 galten, leider nicht ins BGB übernommen. Für die Beschlussfassung im Umlaufverfahren gilt daher weiter die Rechtslage, wie sie in der Zeit vor Corona galt: Gemäß § 32 Abs. 3 BGB sind schriftliche Umlaufbeschlüsse ohne Satzungsregelung nur wirksam, wenn alle Mitglieder dem Beschluss zustimmen. Wollen Vereine und Stiftungen in Zukunft Organbeschlüsse im schriftlichen Umlaufverfahren ohne Zustimmung aller Organmitglieder fassen, muss in der Satzung eine entsprechende Regelung aufgenommen werden. 

 

Keine Rückwirkung 


Die ursprünglich vorgesehene Rückwirkung zum 1. September 2022 wurde leider nicht umgesetzt. Die Neuregelung ist erst am 21. März 2023 in Kraft getreten, so dass eine Lücke zwischen dem Auslaufen der pandemiebedingten Sonderregelungen und dem Inkrafttreten der Neuregelung besteht. 

 

Fazit


Grundsätzlich ist die vom Gesetzgeber vorgesehene Regelung erfreulich, eröffnet sie doch nunmehr in den letzten Jahren bewährte Wege auch ohne entsprechende Satzungsanpassung. Allerdings hat die Regelung auch Schwächen. So scheint die Bestimmung eine gewisse Praxisferne zu haben, indem rein virtuelle Versammlungen zunächst durch die Mitgliederversammlung vorgesehen werden müssen. Ob diese Hürde und unnötige Verkomplizierung im Einzelfall tatsächlich praktisch umgesetzt wird, kann man gewiss hinterfragen. Auch das Fehlen von Erleichterungen für das schriftliche Umlaufverfahren ist schade. In der Praxis gibt es ganz unterschiedliche Vereine – mit einigen wenigen und mit mehreren hundert Mitgliedern, mit juristischen Personen als Mitgliedern und somit professionellen, hauptamtlichen Vorständen oder Geschäftsführern als deren Vertreter, oder mit Mitgliederversammlungen, die als Delegiertenversammlungen ausgestaltet sind. Jede dieser Ausprägungen des Vereins hat andere Anforderungen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, eine passgenaue Regelung für den Einzelfall zu finden und spätestens bei der nächsten Satzungsänderung umzusetzen.

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