Darlegungslast bei Entgeltfortzahlung im Falle einer Fortsetzungskrankheit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 18. Januar 2023 – 5 AZR 93/22 – das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 14. Januar 2022 – 10 Sa 898/21 – bestätigt, in dem das Gericht eine wichtige Entscheidung zur Abstufung der Darlegungslast bei Streitigkeiten über die Entgeltfortzahlung bei Vorliegen einer neuen Erkrankung im Arbeitsverhältnis getroffen hatte.


Der Fall

Der Kläger und die Beklagte stritten über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger war bei der Beklagten seit Januar 2012 beschäftigt. Im Jahr 2019 war er insgesamt 68 Kalendertage und im Jahr 2020 weitere 42 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt. Er legte verschiedene ärztliche Erstbescheinigungen vor und führte die entsprechenden ICD-10-Codes sowie Diagnosen bzw. Symptome an, um seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung geltend zu machen. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung bis zum 13. August 2020 und wies im Übrigen den Anspruch des Klägers mit der Begründung ab, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung handle. Der Kläger verfolgte seinen Entgeltfortzahlungsanspruch für einen Zeitraum von zehn Arbeitstagen im August und September 2020 gerichtlich weiter. Er war der Ansicht, dass er aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verpflichtet sei, sämtliche Erkrankungen aus der vorhergehenden Zeit offenzulegen. Nach seinen Angaben war für keine der Erkrankungen aus dem streitgegenständlichen Zeitraum der Sechs-Wochen-Zeitraum nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgeschöpft.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das LAG hingegen wies die Klage als unbegründet ab. Für das LAG ist der Kläger seiner Beweislast nicht nachgekommen. Ihn treffe als Arbeitnehmer eine abgestufte Darlegungslast, wenn er länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Kläger habe zunächst – soweit sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dazu keine Angaben entnehmen lassen – zum Beispiel mit Hilfe einer ärztlichen Bescheinigung darzulegen, dass keine Fortsetzungserkrankung bestehe. Weil die Beklagte als Arbeitgeber jedoch bestreite, dass eine neue Erkrankung vorliege, habe der Kläger Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden. Er müsse laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben, und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Das LAG betont, dass auf das Bestreiten des Arbeitgebers die bloße Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr genüge. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, kann sich als Erstbescheinigung ohnehin nicht zum (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten.

Die abgestufte Darlegungslast ist nach Ansicht des LAG verfassungskonform und verstößt nicht gegen den Datenschutz. Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlange, sei der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und damit gerechtfertigt. Gegen die Entscheidung des LAG legte der Kläger Revision ein.
 

Die Entscheidung

Das BAG schloss sich der Begründung des LAG an und wies die Revision des Klägers ab. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den streitgegenständlichen Zeitraum.
 

Praxis-Hinweis

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht, dass Arbeitnehmer bei Streitigkeiten über das Vorliegen einer neuen Erkrankung im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die erforderlichen Tatsachen vorzutragen haben. Sie müssen offenlegen, welche Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, um dem Arbeitgeber eine Beurteilung, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelt oder nicht, zu ermöglichen. Falls Sie Fragen bezüglich der Entgeltfortzahlung haben sollten, stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung und bitten Sie, uns zu kontaktieren.

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