Bundesarbeitsgericht sorgt für Klarheit
Ob die mehrfache Befristung der Anstellung einer Ärztin in der Facharztausbildung auf Grundlage des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten (ÄArbVtrG) zulässig war, obwohl keiner der Verträge über die reguläre Dauer der Facharztausbildung abgeschlossen wurde, hatte jüngst das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden (BAG, Urteil vom 22. September 2021 – 7 AZR 300/20).
Der Fall
Die Klägerin, eine approbierte Ärztin, absolvierte in der Zeit vom 1. März 2008 bis zum 10. Juli 2019 in einem Klinikum der Beklagten ihre Facharztausbildung, deren reguläre Dauer 60 Monate betrug. Zu diesem Zweck schlossen die Parteien mehrere befristete Verträge. Sie passten dabei immer wieder die wöchentliche Arbeitszeit der Lebenssituation der Klägerin – Mutterschutz, Elternzeit sowie Betreuung minderjähriger Kinder – an und berücksichtigten dabei die Tatsache, dass Beschäftigtenzeiten mit einer Arbeitszeit von weniger als 20 Wochenstunden nicht auf die Weiterbildung angerechnet werden. Der erste Vertrag wurde mit der Klägerin auf Grundlage von § 14 Abs. 2 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossen. Auf diesen folgten weitere auf Grundlage von § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG befristete Arbeitsverträge mit einer Befristung von drei, einem und drei Jahren. Der letzte befristet Arbeitsvertrag vom 30. Mai 2014 wurde insgesamt dreimal verlängert, zuletzt bis zum 31. August 2019.
Am 10. Juli 2019 wurde der Klägerin die Anerkennung zur Fachärztin ausgesprochen. Dem Wunsch der Klägerin, ihr Arbeitsverhältnis zu entfristen, hat die Beklagte trotz des erfolgreichen Abschlusses der Facharztausbildung und der Ausschreibung einer Vollzeitstelle in der Fachrichtung der Klägerin nicht entsprochen. Daraufhin klagte diese auf Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsvertrages zum 31. August 2019. Ihrer Ansicht nach war die Befristung nach § 1 ÄArbVtrG sachlich nicht gerechtfertigt und die Vorschrift selbst verfassungs- und unionsrechtswidrig.
Nachdem das Arbeitsgericht Offenbach die Klage abgewiesen hatte, gab das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG) der Klage statt. Das LAG war der Ansicht, dass die Befristung unwirksam war, weil die Parteien kein mindestens auf die Dauer der Weiterbildungsbefugnis des weiterbildenden Arztes befristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen hatten. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das Urteil des LAG nun aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.
Die Entscheidung
Das BAG war der Ansicht, dass der Befristungsabrede nach § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG eine Prognose, dass die Weiterbildung innerhalb der in Aussicht genommenen Vertragslaufzeit beendet werden kann, zugrunde liegen muss. Der Befristungsgrund nach § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG setze jedoch nicht voraus, dass im Fall von mehreren Befristungen mindestens eine der Befristungsabreden mindestens der Dauer der Fortbildung entsprechen muss. Weder der Wortlaut noch die Systematik als arbeitgeberübergreifende Höchstbefristungsdauer (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 ÄArbVtrG) noch der Sinn und Zweck der Vorschrift (Schutz vor Willkür des Arbeitgebers) ließen einen anderen Schluss zu.
Die Befristung verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 noch gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Sie verfolgt als legitimes Ziel das Gemeinwohlinteresse der Gesundheit der Bevölkerung, indem sie eine stärkere Fluktuation von Ärzten im Krankenhausbereich fördert und so die Anzahl an Weiterbildungsplätzen sicherstellt und somit für die Versorgung der Bevölkerung durch qualifiziert weitergebildete Ärzte sorgt. § 1 ÄArbVtrG verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die RL 1999/70/EG schließt Befristungen nicht gänzlich aus, wenn die Mitgliedsstaaten deren Missbrauch durch Festlegung zulässiger Befristungsgründe und Höchstdauern verhindern.
Abweichend von der ständigen Rechtsprechung, wonach bei mehreren aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen nur die Befristung des letzten Arbeitsvertrages auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird, ist bei einer Nichtanrechnungsvereinbarung nach § 1 Abs. 4 ÄArbVtrG die Befristung des letzten der Vereinbarung vorausgegangenen Arbeitsvertrages auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Bei den Änderungsverträgen vom 30. Mai 2016, 8. Februar 2018 sowie vom 22. Februar 2019 handelte es sich nach Ansicht des BAG um Verlängerungsverträge im Sinne des § 1 Abs. 4 Nr. 3 ÄArbVtrG. Für die sachliche Rechtfertigung der Befristung kommt es daher auf die Umstände bei Abschluss des Arbeitsvertrages vom 30. Mai 2014 an.
Fazit
Ein Vertrag mit Ärzten in Weiterbildung bzw. Facharztausbildung kann für die Dauer der Weiterbildungsbefugnis des weiterbildenden Arztes befristet werden. Eine kürzere Befristung ist zulässig, solange bei Vertragsabschluss absehbar ist, dass die Ausbildung in dieser Zeit abgeschlossen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn zuvor zwischen den Parteien kein auf die Dauer der Weiterbildungsbefugnis befristeter Arbeitsvertrag bestanden hat.