Angemessene Reaktionszeit auf Klingelruf in einer stationären Pflegeeinrichtung

In einer bayerischen Pflegeeinrichtung war umstritten, ob das Pflegepersonal in einer angemessenen Zeit auf die Klingelrufe der Bewohner reagiert. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat sich in einem Eilverfahren dazu geäußert (VG Würzburg, Beschluss vom 19. Juni 2023 – W 3 S 23.360).


Die örtlich zuständige Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen - Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA; bayerische Heimaufsicht) wertete die Rufprotokolle der Einrichtung aus und erachtete die Reaktionszeiten der Pflegekräfte für zu lang. Sie erließ eine heimrechtliche Anordnung nach dem bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG). Die Pflegeeinrichtung wurde unter anderem dazu verpflichtet, „sicherzustellen, dass das Pflege- und Betreuungspersonal sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit unverzüglich auf Klingelrufe der Rufanlage reagiere“. Im Begründungsteil der Anordnung nannte die FQA an einer Stelle für die Reaktionszeit einen Richtwert von drei bis fünf Minuten, an anderer Stelle sprach sie davon, dass die Wartezeit nicht länger als 10 Minuten dauern dürfe. Die Pflegeeinrichtung legte Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts – mit Erfolg.

Eine heimrechtliche Anordnung muss wie jeder Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 37 VwVfG). Wird dem Adressaten durch Verwaltungsakt ein Handeln, Dulden oder Unterlassen aufgegeben, muss das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass sie keiner unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Ein behördliches Gebot, sicherzustellen, dass „unverzüglich“ auf den Klingelruf zu reagieren sei, ist nicht konkret genug. Dies ergab sich im vorliegenden Fall schon daraus, dass im Begründungsteil des Bescheids auf unterschiedliche Fristen abgestellt wurde.

Aber auch eine einheitliche Frist im Begründungsteil hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt. Die FQA verlangt die „unverzügliche“ Reaktion. Eine speziellere Definition der Unverzüglichkeit findet sich weder im PfleWoqG noch im allgemeinen Verwaltungsrecht. Es kann auf das BGB zurückgegriffen werden (was auch das VG Würzburg getan hat). In § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ist „unverzüglich“ definiert als „ohne schuldhaftes Zögern“ – was wiederum auslegungsbedürftig ist. In die Bewertung dessen, was „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeutet, fließen verschiedene Faktoren ein. Ziel ist es, dass in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Interessen ermittelt wird, nach Ablauf welchen Zeitraums es jemandem möglich und zumutbar war, tätig zu werden. Damit schließt der Begriff der Unverzüglichkeit eine starre Fristenvorgabe für eine Reaktionszeit auf die Klingel aus. Nicht zuletzt ist eine Anordnung mit diesem unbestimmten und unbestimmbaren Inhalt nicht vollstreckbar. Eine ordnungsrechtliche Anordnung, (stets) unverzüglich zu handeln, ist somit unwirksam.

Das Gericht deutet den Weg an, eine absolute Obergrenze zu definieren. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar. Schon die FQA schwankt zwischen zwei Zeitangaben, einem Korridor und einer Höchstgrenze. Beides taugt im Hinblick auf den Zweck der Norm nichts.  Der Korridor ist unbestimmt und eine allgemeingültige zeitliche Obergrenze einer angemessenen Reaktionszeit lässt sich nicht definieren. Was angemessen ist, lässt sich für die Frage, innerhalb welcher Zeit auf den Klingelruf reagiert werden muss, nicht vereinheitlichen.


Fazit

Der Beschluss des VG Würzburg ist kein Freibrief, sich nach einen Klingelruf Zeit zu lassen. Natürlich ist es richtig, unverzüglich zu reagieren, und das Pflegepersonal sollte auf einen Ruf reagieren, so schnell es möglich ist. Aber: Das ist ein wichtiges Thema des Qualitätsmanagements, nicht des Ordnungsrechts. Das geflügelte Wort sagt richtig: „Qualität lässt sich nicht in eine Einrichtung hineinprüfen“, und ergänzen lässt sich: „Sie lässt sich auch nicht hineinanordnen.“

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