Sozialgericht Gelsenkirchen wittert Verstoß gegen Bundesrecht.
Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hatte in seiner Entscheidung vom 11. November 2020 zu klären, ob und in welchem Umfang die tatsächlich vorgehaltene Nettoraumfläche der Einrichtungsträgerin im Sinne des § 2 APG DVO NRW anerkennungsfähig ist und somit die historischen Aufwendungen für das langfristige Anlagevermögen und die hierfür anfallenden Instandhaltungskosten gegenüber den Bewohnern gesondert in Rechnung gestellt werden dürfen. Darüber hinaus hat die Kammer die Frage beschäftigt, ob das im Rahmen der Errichtung der Einrichtung eingesetzte Eigenkapital einer Verzinsung zugänglich ist.
Der zugrunde liegende Fall
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin betreibt eine vollstationäre Altenpflegeeinrichtung mit einer seinerzeit mit den zuständigen Behörden abgestimmten tatsächlichen Nettoraumfläche von insgesamt 6.271,85 Quadratmetern. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme hielt die Klägerin insgesamt 125 Bewohnerplätze vor.
Nach Abstimmung mit dem überörtlichen Sozialhilfeträger erfolgte, unter anderem zur Erreichung der gesetzlich geforderten Einzelzimmerquote von 80 Prozent, eine Platzzahlreduzierung auf 106 Plätze. Mit Feststellungs- und Festsetzungsbescheid hat der überörtliche Sozialhilfeträger eine Nettoraumfläche von insgesamt 6.250,00 Quadratmetern (50 qm/Platz x 125 Plätze) anerkannt. Darüber hinaus begehrte die Klägerin aufgrund eines zuvor durch den überörtlichen Sozialhilfeträger ergangenen, dies ablehnenden Widerspruchsbescheides die Anerkennung und Verzinsung des eingebrachten Eigenkapitals durch entsprechende Berücksichtigung im Investitionskostensatz.
Das SG Gelsenkirchen hat mit seiner Entscheidung in vielerlei Hinsicht die Kernaussagen des Anspruchs auf Refinanzierung von Investitionskosten in Frage gestellt.
Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen
Zur Frage der Anerkennungsfähigkeit der vorgehaltenen Nettoraumfläche vertritt das SG Gelsenkirchen zunächst zutreffend den Standpunkt, dass die Vorschrift des § 2 APG DVO NRW anzuwenden und im Ergebnis eine Quadratmeterzahl von 53 Quadratmetern pro Platz zugrunde zu legen sei. Eine Berücksichtigung von Quadratmeterangaben, wie sie unter der Geltung der Gesonderten Berechnungsverordnung (GesBerVO) vorgenommen worden sei, könne unter der Wirkung der APG DVO NRW nicht mehr herangezogen werden. Als Begründung für diese Rechtsauffassung stellt das Gericht klar, dass die Nettoraumfläche in der Vergangenheit keine Rolle bei der Anerkennung von einrichtungsbezogenen Aufwendungen gespielt hätte. Unter Wirkung der GesBerVO sei ein Pro-Platz-Wert zugrunde gelegt worden. Somit dürfe diese Vorschrift, die eine Anerkennung von „nur“ 50 Quadratmetern pro Platz berücksichtigt, keine Anwendung mehr finden. Diese Auffassung ist zunächst begrüßenswert.
Allerdings müsse nach Auffassung des Gerichts die Berechnung der anerkennungsfähigen Nettogrundfläche und damit die Grundlage für die Refinanzierbarkeit der Instandhaltungsaufwendungen für die – von der berücksichtigungsfähigen Nettoraumfläche abhängigen – langfristigen Anlagegüter nach § 6 Abs. 1 APG DVO NRW auf Grundlage der gekürzten Platzzahl erfolgen, so dass nur eine Nettoraumfläche von 5.618,00 Quadratmetern (53 qm/Platz x 106 Plätze) anerkannt werden könne. Im Ergebnis blieben somit Instandhaltungsaufwendungen für eine Fläche von 653 Quadratmetern bezogen auf die tatsächlich vorgehaltene Fläche unberücksichtigt.
Grundlagen des Refinanzierungsrechts außer Acht
Das Gericht verkennt bei dieser Herangehensweise die Grundsätze des sog. „Dortmunder Modells“, das eine Refinanzierung der historischen Aufwendungen für das langfristige Anlagevermögen und der hierfür anfallenden Instandhaltungsaufwendungen (§ 6 Abs. 1 APG DVO NRW) auch dann weiter auf Basis der ursprünglichen Fläche und Platzzahl vorsieht, wenn eine Platzzahlreduzierung aus gesetzlichen Gründen vorgenommen werden muss. Die Kürzung der Platzzahlen darf gerade nicht dazu führen, dass die historischen Herstellungskosten des langfristigen Anlagevermögens und deren Instandhaltung nicht refinanzierbar sind. Bereits an dieser Stelle ist deutlich ersichtlich, dass das Gericht die wesentlichen Grundlagen des Refinanzierungsrechts außer Acht lässt. Durch die Entscheidung des Gerichts ist gerade nicht mehr sichergestellt, dass der tatsächlich entstandene Aufwand refinanziert werden kann.
Auch bei der Frage der Anerkennung und insbesondere der Verzinsung von Eigenkapital lässt das Gericht die wesentlichen Grundzüge und Besonderheiten, die ihren Niederschlag in der APG DVO NRW erhalten haben, unberücksichtigt. Die Kammer kommt zu dem zweifelhaften Ergebnis, dass die Anerkennung von eingesetztem Eigenkapital bei den Investitionskosten als Bemessungsgrundlage für die Gewährung von Eigenkapitalzinsen nicht möglich sei.
Begründung des Gerichts lässt Fragen zurück
Als Begründung wird angeführt, Eigenkapitalzinsen seien keine Kapitalkosten, die unter § 82 Abs. 3 S. 1 SGB XI fallen würden. Bei den Eigenkapitalzinsen handele es sich um rein fiktive Aufwendungen, die mangels tatsächlichen Anfalls („Tatsächlichkeitsprinzip“) nicht gegenüber den Bewohnern gesondert berechnet werden dürften. Vielmehr falle dieses durch Art. 14 GG geschützte Interesse der Klägerin in deren „allgemeines Vergütungsinteresse“, so dass die Eigenkapitalverzinsung bereits mit der Pflegevergütung nach § 82 Abs. 1 SGB XI erfolge. Würde nun im Investitionskostensatz eine weitere Eigenkapitalverzinsung gewährt, läge eine Doppelfinanzierung vor.
Das SG Gelsenkirchen stellt ausdrücklich fest, dass § 5 APG DVO NRW, der eine Anerkennung von Eigenkapitalzinsen vorsieht, gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verstoße und insoweit unwirksam sei. Das Gericht verkennt, dass gerade Finanzierungsaufwendungen – zu diesen zählen Zinsen für Eigenkapital und Aufwendungen für Fremdkapitaldarlehen unzweifelhaft – nicht Bestandteil der Pflegevergütung nach § 82 Abs. 1 SGB XI sein können. Es bleibt unklar, wie das Gericht zu der Auffassung gelangt, Eigenkapitalzinsen seien rein fiktive Aufwendungen.
Während es bei den Zinsen für Fremdkapital aus Sicht der Einrichtung zu einem Liquiditätsabfluss kommt, stellen die Eigenkapitalzinsen eine Kompensation für entgangene Zinserträge aus der alternativen Anlage vorhandener liquider Mittel der Einrichtung dar. § 5 Abs. 6 APG DVO NRW trägt dem Umstand Rechnung, dass durch Änderung des § 82 SGB XI seit dem Jahr 2012 auch Eigenkapitalzinsen anerkennungsfähig sind. Durch den Einsatz von Eigenkapital verlieren die Einrichtungsträger die grundsätzliche Möglichkeit, mit diesem Eigenkapital anderweitige Gewinne zu erzielen. Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zur APG DVO NRW ausdrücklich klargestellt, dass diese Verluste als Kapitalkosten zu refinanzieren sind. Damit dürfte die Anerkennung von Eigenkapital und die Festsetzung von Eigenkapitalzinsen weder im Widerspruch zur bundesgesetzlichen Regelung des § 82 SGB XI stehen, noch ist ein Verstoß gegen den „Tatsächlichkeitsgrundsatz“ zu erkennen.
Das Urteil des SG Gelsenkirchen ist nicht bestandskräftig geworden. Es bleibt nunmehr abzuwarten, wie die Berufungsinstanz die Ausführungen des SG bewertet.