Aktuelles zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Der BFH hatte sich mit Fragen zu Regelungen betreffend die umsatzsteuerliche Organschaft an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt. Am 1. Dezember 2022 hat der EuGH in zwei Urteilen – C-141/20 und C-269/20 – hierüber entschieden.

Rechtssache C-141/20

In der Rechtssache C-141/20 erklärte der EuGH auf die vom BFH vorgelegten Fragen, dass die deutsche Regelung, nach der bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft der Organträger als einziger Steuerpflichtiger gilt, Art. 4 Abs. 4 Unterabschnitt 2 der Sechsten RL 77/388/EWG nicht entgegen stehe, wenn der Organträger in der Lage ist, seinen Willen gegenüber den Organgesellschaften durchzusetzen, und durch die Bestimmung des Organträgers als einzigen Steuerpflichtigen keine Gefahr für Steuerverluste bestehe (erste Vorlagefrage). Die zweite Vorlagefrage war aufgrund der Antwort auf die erste Vorlagefrage aus Sicht des EuGH nicht mehr zu beantworten. Hinsichtlich der dritten Vorlagefrage stehe die deutsche Regelung, nach der für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung neben der Mehrheitsbeteiligung zusätzlich auch eine Stimmrechtsmehrheit erforderlich ist, der Regelung in Art. 4 Abs. 4 Unterabschnitt 2 der Sechsten RL 77/388/EWG entgegen. Und schließlich hat der EuGH im Rahmen der vierten Vorlagefrage entschieden, dass es einem Mitgliedsstaat nicht gestattet ist, Organgesellschaften als nicht selbständig anzusehen.

Bei den Entscheidungen zur dritten und vierten Vorlagefrage wird ersichtlich, dass die Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes bzw. der Rechtspraxis nicht mit dem Gemeinschaftsrecht konform sind: Die nationalen Vorschriften betreffend die finanzielle Eingliederung sind zu restriktiv. Der EuGH sieht kein Erfordernis für eine gleichzeitige Mehrheitsbeteiligung und Stimmrechtsmehrheit, um die finanzielle Eingliederung zu bejahen. Hier besteht demnach Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber – eine Umsetzung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht wird Erleichterungen beim Kriterium der finanziellen Eingliederung mit sich bringen.

Eine gewisse Brisanz hat die Entscheidung zur vierten Vorlagefrage: Dürften Organgesellschaften nicht mehr als unselbständig behandelt werden, wäre die Nichtsteuerbarkeit von Umsätzen innerhalb des Organkreises grundsätzlich in Frage gestellt. Für Unternehmen, die nicht oder nur sehr eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt sind – wie das im Bereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sehr häufig der Fall ist – hätte dies möglicherweise weitreichende finanzielle Konsequenzen.

Rechtssache C-269/20

Die erste Vorlagefrage in der Rechtssache C-269/20 stimmt inhaltlich mit derjenigen der Rechtssache C-141/20 überein und wurde vom EuGH gleichlautend beantwortet. Bei der zweiten Vorlagefrage geht es um die Erbringung von Dienstleistungen einer Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers und die Frage, ob eine unentgeltliche Wertabgabe – mit den entsprechenden steuerlichen Konsequenzen – vorliegt. Dies hat der EuGH verneint.

Praxis-Hinweis

Insbesondere die Aussage des EuGH zur Selbständigkeit der Organgesellschaften führt zu Unsicherheit hinsichtlich der Nichtsteuerbarkeit der Umsätze innerhalb eines Organkreises. Zur Steuerbarkeit von Innenumsätzen trifft der EuGH jedoch keine weiteren Aussagen. Da im deutschen Umsatzsteuergesetz aktuell Umsätze innerhalb eines Organkreises als Innenumsätze nicht steuerbar sind, ist dies als gesetzliche Grundlage für die steuerliche Behandlung von Innenumsätzen maßgebend, bis gegebenenfalls eine weitere Entscheidung hierzu getroffen wird.

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Steuerberater, Geschäftsführender Partner (Stellv. Sprecher der Geschäftsführung)
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Steuerberaterin, Leitung Steuern Freiburg

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