Ärztliche Leitung eines MVZ muss nicht an der Hauptbetriebsstätte tätig sein

Die gesetzlichen Anforderungen an die ärztliche Leitung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) sind überschaubar. § 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V schreibt lediglich vor, dass die ärztliche Leitung im MVZ selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig und in medizinischen Fragen weisungsfrei sein muss. Bei MVZ mit mehreren Standorten stellt sich mangels gesetzlicher Regelung daher die Frage, an welcher Betriebsstätte die ärztliche Leitung tätig sein darf. Hierzu hat das Sozialgericht (SG) Marburg eine bemerkenswerte Entscheidung gefällt (Urteil vom 3. Mai 2023 – S 17 KA 642/22).


Der Fall

Im zugrundeliegenden Fall begehrte ein MVZ die Übernahme der ärztlichen Leitung durch eine Ärztin, die ausschließlich an einer der beiden Nebenbetriebsstätten des MVZ tätig war. Den entsprechenden Antrag lehnte der zuständige Zulassungsausschuss ab. Zur Begründung führte er an, dass die ärztliche Leitung nur bei einer Anstellung an der Hauptbetriebsstätte im erforderlichen Maß Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe übernehmen könne und tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die überwiegenden Organisations- und Versorgungsstrukturen habe. Mit Blick auf die Regelung des § 17 Abs. 1a Satz 5 BMV-Ä i. V. m. 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV, der in Fällen der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an mehreren Orten das zeitliche Überwiegen der Tätigkeit am Vertragsarztsitz fordert, sei § 95 Abs. 1 Satz 3 SGB V so zu lesen, dass die ärztliche Leitung als konstitutives Merkmal eines MVZ an der Hauptbetriebsstätte tätig sein müsse.

Der gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses gerichtete Widerspruch wurde positiv beschieden und damit begründet, dass keine gesetzliche Vorgabe zum Tätigkeitsort der ärztlichen Leitung existiere. Die hiergegen seitens des Zulassungsausschusses erhobene Klage blieb erfolglos.


Die Entscheidung

Das SG Marburg stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass kein generelles gesetzliches Verbot bestehe, die ärztliche Leitung eines MVZ mit mehreren Betriebsstätten am Standort einer Nebenbetriebsstätte zu beschäftigen. Es existiere weder eine gesetzliche Regelung zum Ort der Tätigkeit einer ärztlichen Leitung eines MVZ, noch habe diese Frage bisher in der Rechtsprechung eine Rolle gespielt.

Das SG Marburg betont, dass die ärztliche Leitung eines MVZ stets faktisch in der Lage sein müsse, von ihrem jeweiligen Standort aus die vollständige und umfassende Kontrolle und Steuerung des MVZ wahrzunehmen. Aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung, der für die vertragsärztliche Tätigkeit gilt, sei allerdings eine fachliche Überwachung der ärztlichen Leistungen nicht möglich. Daher beschränke sich die Leitungstätigkeit der ärztlichen Leitung eines MVZ auf die administrativen und organisatorischen Abläufe. Hierfür müsse eine jederzeit kurzfristige persönliche Anwesenheit der ärztlichen Leitung sowohl in der Hauptbetriebsstätte als auch in der Nebenbetriebsstätte sichergestellt werden. In der Regel sei das vielfältige Aufgabenspektrum durch persönliche Besprechungen, Telefonate, E-Mails und die Nutzung moderner Kommunikationsmittel zu bewältigen. Diesen Anforderungen werde bei einer üblichen Erreichbarkeit der Hauptbetriebsstätte des MVZ innerhalb von 30 Minuten Rechnung getragen.


Fazit

Die gerichtliche Klarstellung zu den Anforderungen an den Tätigkeitsort der ärztlichen Leitung eines MVZ mit mehreren Betriebsstätten ist zu begrüßen. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erreichbarkeit des Vertragssitzes bei einer Tätigkeit in ausgelagerten Praxisräumen. Ob die Entscheidung von den Zulassungsgremien künftig berücksichtigt und zu einer einheitlichen Rechtsanwendung führen wird, bleibt abzuwarten.

Autorin
Autorin

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß