Vereine und Stiftungen in der Krise

 

Insolvenzantragspflicht und weitere Obliegenheiten des Vorstandes

Geschäftsführern von GmbHs und Vorständen von AGs drohen persönlich Konsequenzen, wenn sie bei Vorliegen eines antragspflichtigen Insolvenzgrundes nicht rechtzeitig Insolvenzantrag stellen. Das gilt selbst dann, wenn sie die wirtschaftliche Schieflage nicht oder zu spät erkannt haben. Auch Vereins- und Stiftungsvorstände gerieten durch die Gesetzesreform des MoMiG aus dem Jahr 2008 zunehmend in den Fokus. Hier hat der Gesetzgeber partiell gegengesteuert. Können sich Vorstände von Vereinen und Stiftungen dadurch in Sicherheit wiegen?

Privilegierung von Vereins- und Stiftungsvorständen bei der Insolvenzantragspflicht

Die Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung für Vereine und Stiftungen ist spezialgesetzlich in § 42 Abs. 2 BGB (für Stiftungen i. V. m. § 86 BGB) geregelt. Dort aufgeführt ist ebenfalls die Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber den Gläubigern bei einer verzögerten Antragstellung. § 42 Abs. 2 BGB hat folgenden Wortlaut:

“Der Vorstand hat im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Wird die Stellung des Antrags verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; sie haften als Gesamtschuldner.“


Den Vorstand einer Aktiengesellschaft oder die Geschäftsführung einer GmbH treffen die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO. Demnach ist bei Vorliegen der Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern, d. h. unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen ein Antrag beim zuständigen Amtsgericht (Insolvenzgericht) zu stellen. Dabei sind die drei Wochen als Höchstfrist zu verstehen. Die Frist darf lediglich in den Fällen ausgeschöpft werden, in denen Sanierungsbemühungen durchgeführt werden. Die Nichteinhaltung dieser Antragspflicht kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

Die genannten Vorgaben des § 15a InsO galten vor dem 1. Juli 2014 ebenfalls für Stiftungen und Vereine. § 15a Abs. 7 InsO sieht seitdem für beide Körperschaften vor, dass diese Vorschrift keine Anwendung mehr findet. Hintergrund für die gesetzliche Anpassung der Vorschrift war unter anderem die Strafverfolgung von Vereins- und Stiftungsvorständen, die gemäß der Gesetzesbegründung bei der Einführung des § 15a InsO nicht beabsichtigt war (vgl. BT-Drs. 17-11268, S. 21).

Die Insolvenzantragspflicht nach § 42 Abs. 2 BGB ist dem Wortlaut nach nicht fristgebunden. Der Antrag wäre demnach stets unverzüglich zu stellen. Meinungen in der Rechtslehre befürworten zum Teil diese Sichtweise (vgl. Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Schöpflin, Kommentar zum BGB, 49. Aufl. 2018, § 42, Rz. 9). Nach einer gewichtigen Gegenauffassung spricht einiges dafür, Vereinen und Stiftungen für die Antragsstellung eine Frist, die sogar über die Drei-Wochen-Frist hinausgeht, zuzubilligen, falls Sanierungsbemühungen bestehen (vgl. Münchener Kommentar zum BGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, Rz. 27). Eine Benachteiligung dieser Körperschaften gegenüber Kapitalgesellschaften erscheine wenig sinnvoll, denn eine Sanierung außerhalb der Insolvenz wäre damit in vielen Fällen unmöglich. Sind keine Sanierungsbemühungen angedacht, besteht allerdings auch nach dieser Auffassung kein Raum mehr für eine Bevorzugung von Vereinen und Stiftungen. Ein Antrag sei dann unverzüglich zu stellen.

Da diese Frage bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, bleibt insoweit eine gewisse Rechtsunsicherheit. In jedem Falle besteht bei Erkenntnissen und Anzeichen für die nachfolgend aufgeführten Insolvenzgründe eine gesteigerte Verpflichtung der zuständigen Organe, sich eingehend mit der Thematik zu befassen.

Wann muss ein Insolvenzantrag gestellt werden?

Ein Insolvenzantrag ist zu stellen, wenn ein Insolvenzantragsgrund vorliegt. Hier bestehen keine Unterschiede zwischen Kapitalgesellschaften einerseits und Vereinen und Stiftungen anderseits. Insolvenzantragsgründe sind die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und die Überschuldung (§ 19 InsO). Ist lediglich eine drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) zu verzeichnen, besteht keine Verpflichtung, aber das Recht zur Stellung eines Insolvenzantrages. Wird eine drohende Zahlungsunfähigkeit festgestellt, bestehen hinreichende Argumente für eine vertiefte Betrachtung des Zahlenwerks der Körperschaft. Nicht selten stellt sich heraus, dass erst eine genaue Analyse zutage fördert, dass tatsächlich Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt.

Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn die Körperschaft nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies regelmäßig der Fall, wenn eine Liquiditätslücke von über 10 % festzustellen ist, die nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen geschlossen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04). Die Feststellung dieser Unterdeckung von 10 % erfolgt im Rahmen einer wirtschaftlichen Analyse, bei der innerhalb eines Drei-Wochen-Zeitraums den Verbindlichkeiten liquide Zahlungsmittel gegenübergestellt werden. Verbleibt angesichts dieser Berechnung eine Liquiditätslücke von über 10 %, scheidet der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit gleichwohl dann aus, wenn innerhalb eines zumutbaren Zeitraums (zwischen drei und höchstens sechs Monaten) die Liquiditätslücke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann.

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass unabhängig von einer Liquiditätslücke eine Zahlungsunfähigkeit im Falle einer Zahlungseinstellung gesetzlich vermutet wird. Der Bundesgerichtshof nimmt eine Zahlungseinstellung in den Fällen an, in denen sich bei den beteiligten Gläubigern der Eindruck aufdrängt, dass die Körperschaft außerstande ist, fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (vgl. u. a. BGH, Urt. v. 14. September 2017 – IX ZR 3/16). Dafür genügt die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils fälliger Verbindlichkeiten.

Eine Überschuldung im Sinne des § 19 InsO ist gegeben, wenn das Vermögen der Körperschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Ausgangspunkt ist zunächst die Feststellung einer bilanziellen Überschuldung nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches. Häufig stellt sich im Zusammenhang mit der Erstellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses heraus, dass das Eigenkapital der Körperschaft vollumfänglich aufgezehrt ist und einen negativen Wert erreicht. Für den Fall, dass ein Verein oder eine Stiftung nicht bilanzieren, sondern ihre Gewinnermittlung nach einer Einnahmenüberschussrechnung durchführen, ist eine Feststellung der Überschuldung erschwert. Gleichwohl müssen bei einer sich abzeichnenden Krise stets das Anlagevermögen sowie Forderungen und Verbindlichkeiten im Auge behalten werden. Es empfiehlt sich in dieser Situation, eine Vermögensrechnung gemäß dem Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW RS HFA 14, dort Ziff. 2.3.2, aufzustellen, welche u. a. die Ermittlung des Reinvermögens (Eigenkapital) zum Gegenstand hat.

Trotz einer festgestellten bilanziellen Überschuldung liegt jedoch keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vor, falls eine gesicherte Fortführungsprognose festgestellt werden kann. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens künftig dergestalt gesichert ist, dass – bezogen auf einen mittelfristigen Zeitraum – künftige fällige Verbindlichkeiten überwiegend wahrscheinlich bedient werden können. Der Bundesgerichtshof fordert in diesem Zusammenhang einen Fortführungswillen sowie ein objektives und aussagekräftiges Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan), das nach sachgerechten Kriterien für sachverständige Dritte nachvollziehbar erstellt wird (BGH, Beschl. v. 9. Oktober 2006 – II ZR 303/05).

An diesen Vorgaben orientiert hat sich folgende Praxis entwickelt: Zunächst wird ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept erstellt, das aufzeigt, mit welchen realistisch anzusetzenden Sanierungsbemühungen die Überschuldungssituation ausgeräumt werden kann. Auf Grundlage des Unternehmenskonzepts ist sodann ein Finanzplan aufzustellen, der die künftige Zahlungsfähigkeit der Körperschaft ermittelt. Als maßgeblicher Prognosezeitraum werden nach einhelliger Auffassung mindestens 12 und höchstens 24 Monate angesetzt. Schließlich wird auf Basis dieses Finanzplans die Fortführungsprognose der Körperschaft hergeleitet.

Ist eine positive Fortführungsprognose nach den vorerwähnten Vorgaben nicht gegeben, ist ein insolvenzrechtlicher Überschuldungsstatus zu erstellen. Maßgeblich bei dieser Ermittlung sind die Liquidations- bzw. Zerschlagungswerte des Anlagevermögens. Sollte der Liquidationswert im Einzelfall wesentlich höher sein als der Buchwert – z. B. im Falle sogenannter stiller Reserven bei Grundstücken – ist es denkbar, dass der Insolvenzgrund der Überschuldung trotz einer handelsrechtlichen bilanziellen Überschuldung und einer negativen Fortführungsprognose im Ergebnis nicht vorliegt.

Privilegierung von Vereins- und Stiftungsvorständen bei der Haftung

Der Vorstand von Vereinen und Stiftungen kann bei verspäteter Insolvenzantragstellung gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 BGB Schadensersatzansprüchen von Gläubigern ausgesetzt sein (Insolvenzverschleppungsschaden). In diesem Zusammenhang können sich sogenannte Altgläubiger auf den Quotenschaden, d. h. den Schaden berufen, der dadurch entstanden ist, dass der Vorstand den Insolvenzantrag verspätet gestellt hat.

Neugläubiger, d. h. solche Gläubiger, die erst nach Insolvenzreife eine Vertragsbeziehung mit dem Verein oder der Stiftung eingegangen sind, können hingegen einen darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruch geltend machen. Sie sind so zu stellen, als ob sie keine Vertragsbeziehung mit dem Verein oder der Stiftung eingegangen wären. Bei diesen Ansprüchen ist zu bedenken, dass den Gläubigern in Bezug auf die verspätete Antragstellung die Beweislast obliegt. Hinzu kommt, dass der Tatbestand der Verspätung strittig ist (s. o.).

Vorstände von Vereinen oder privatrechtlichen Stiftungen sind nach § 31a Abs. 2 BGB in ihrer Haftung privilegiert, falls sie unentgeltlich oder mit einer Vergütung von bis zu 720 € im Jahr tätig sind. Werden sie von Dritten persönlich in Anspruch genommen, können sie sich vom Verein oder der Stiftung freistellen lassen bzw. Regress nehmen, falls ihnen lediglich (einfache) Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. In Bezug auf Gläubigeransprüche aufgrund von Insolvenzverschleppung verneinen Teile der Rechtslehre den Freistellungsanspruch grundsätzlich. Unabhängig davon wäre der Anspruch häufig praktisch wertlos, da dieser nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens lediglich eine Insolvenzforderung darstellt und im Regelfall nur nach Insolvenzquote bedient wird.

Eine weitreichende Haftungsprivilegierung des Vorstands von Vereinen und Stiftungen ist die Absage einer entsprechenden Anwendbarkeit von § 64 GmbHG durch die Rechtsprechung. GmbH-Geschäftsführer werden häufig für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit vom Insolvenzverwalter zugunsten der Gesellschaft in beträchtlichem Umfang in Anspruch genommen. Gleichwohl besteht die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Vorstandes durch den Verein bzw. die Stiftung selbst (sogenannte Innenhaftung). Vorstandsmitglieder mit einem Verdienst von bis zu 720 € (s. o.) profitieren in diesem Zusammenhang jedoch von § 31a Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 3 BGB. Ein Anspruch ist demnach nur begründet, wenn das Vorstandsmitglied vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Die Beweislast in Bezug auf die Voraussetzungen der Haftungsnormen, aber auch des Verschuldensgrades obliegt in diesem Zusammenhang dem Verein oder der Stiftung bzw. nach Insolvenzeröffnung einem Insolvenzverwalter.

Der Vorstand von Vereinen oder Stiftungen sollte stets darauf achten, dass eine Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung den Straftatbestand des § 266a StGB erfüllt. Bei Lohnzahlungen ist zu berücksichtigen, dass zumindest Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung vollumfänglich gezahlt werden. Bei Zahlungen an die Krankenkassen ist in diesem Zusammenhang auch eine entsprechende Tilgungsbestimmung zu treffen.

Fazit Vereine und Stiftungen in der Krise

Auch wenn Vorstände von Stiftungen und Vereinen in Bezug auf die strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung partiell privilegiert sind, sollten verbleibende Haftungsgründe im Auge behalten werden. Die Insolvenzgründe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind stets ernst zu nehmen und entsprechend fachkundig zu prüfen. Die Solidaris steht dabei jederzeit gern mit Rat und Tat zur Seite.

Hinweis: Die Insolvenzfähigkeit von Stiftungen des öffentlichen Rechts ist im Einzelfall zu prüfen. § 42 Abs. 2 BGB ist für insolvenzfähige Stiftungen über die Verweisungsnorm § 89 BGB anwendbar.

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