Das baden-württembergische Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) sieht eine Typisierung der Wohnformen wie folgt vor: Vollstationäre Einrichtungen fallen unter allen denkbaren heimrechtlichen Aspekten unter das Gesetz (§ 3 Abs. 1 WTPG). Wohngemeinschaften hingegen unterliegen, sofern sie vollständig selbstverantwortet sind, bei größtmöglicher Autonomie der Bewohner dem Gesetz überhaupt nicht (§ 2 Abs. 3 Satz 1 WTPG). Zwischen diesen Polen finden sich die anbieterverantworteten Wohngemeinschaften, bei denen – wie der Name besagt – ein Leistungsanbieter die Wohngemeinschaft, ihre inneren Abläufe und das Leistungsgeschehen (Pflege, Betreuung, Speisenversorgung, Hauswirtschaft) organisiert. Anbieterorganisierte Wohngemeinschaften unterliegen dem WTPG, allerdings – im Vergleich mit den vollstationären Einrichtungen – mit einem abgestuften Anforderungsprofil. Dabei fehlt dem WTPG die Klarheit der Abgrenzung; nicht zuletzt dieser Umstand führte zu dem jetzt vorläufig entschiedenen Rechtsstreit. Eine Reform des WTPG ist in der Diskussion. Es ist zu wünschen, dass im Novellierungsprozess die Typisierung der Wohnformen präziser gelingt.
Wie immer bei juristischen Kategorisierungen kann es in den Grenzbereichen Unschärfen geben. In Baden-Württemberg gibt es nach der Typisierung des WTPG folgerichtig zwei Schnittstellen, die Abgrenzungsprobleme bereiten: zum einen die Schnittstelle zwischen vollständig selbstverantworteten und anbieterverantworteten Wohngemeinschaften und zum anderen die Schnittstelle zwischen anbieterverantworteten Wohngemeinschaften und stationären Einrichtungen. Das VG Karlsruhe hat sich in seinem Beschluss vom 12. April 2024 – 2 K 411/24 – ausführlich mit der zweiten Schnittstelle befasst. In den anderen Bundesländern sind vergleichbare Landesnormen anzuwenden.
Im entschiedenen Fall betrieb die Antragstellerin, ein ambulanter Pflegedienst, zwei Seniorenwohngemeinschaften für sieben bzw. acht Bewohner. Die Antragstellerin betrachtete die Wohngemeinschaften als anbieterorgansierte Wohngemeinschaften. Die Heimaufsicht stufte die beiden Angebote hingegen als vollstationär ein und untersagte sie. Das VG Karlsruhe hat sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes mit Fragen des Sofortvollzugs, mit den voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Hauptsache sowie einer Interessenabwägung befasst und kommt zu folgendem Ergebnis:
Für die Klärung, unter welchen Typus des WTPG eine bestimmte Einrichtung fällt, ist nicht die selbst gewählte Bezeichnung, sondern ihre tatsächliche Zweckrichtung maßgeblich. Zur Ermittlung des Zwecks der Einrichtung sind die gesamten Umstände objektiv zu bewerten. Das zentrale Abgrenzungskriterium ambulant betreuter Wohngemeinschaften zu stationären Einrichtungen ist die Eigenverantwortung der Bewohner in Teilbereichen der Versorgung. In Baden-Württemberg sollen nach § 5 Abs. 2 WTPG die Bewohner oder ihre Betreuer ein Bewohnergremium bilden; die von diesem Gremium getroffenen Entscheidungen sollen schriftlich niedergelegt werden. Das VG Karlsruhe macht nun aus dem „Soll“ ein faktisches „Muss“: Das Fehlen des Bewohnergremiums indiziere eine nicht hinreichende Selbstverantwortung. Die Begründung überzeugt freilich nicht: Der Gesetzgeber hat nicht ohne Grund ein „Soll“ formuliert. Es gibt Wohngemeinschaften, die sich einer Formalisierung durch ein Bewohnergremium entziehen möchten. Folge dieses Autonomiewunsches kann es nicht sein – jedenfalls nicht so generell, wie das VG Karlsruhe es sieht –, dass jede Wohngemeinschaft ohne Bewohnergremium zur stationären Einrichtung umqualifiziert wird.