Wirkt sich das Entfesselungspaket I auf den Jahresabschluss 2017 von Pflegeeinrichtungen in NRW aus?
Das „Gesetz zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen – Entfesselungspaket I“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung liegt seit Herbst 2017 im Entwurf vor. Aufgrund der Vielzahl der Rechtsnormen, die durch das Entfesselungspaket I Änderungen erfahren sollen, ist eine kurzfristige Verabschiedung derzeit nicht zu erwarten. Fraglich ist, ob die geplanten Änderungen an der APG DVO NRW, insbesondere der §§ 4 und 6, dem Grunde oder der Höhe nach Auswirkungen auf die Bilanzierung im Jahresabschluss 2017 haben können.
Mit den bisherigen Regelungen der APG DVO NRW wird ein streng kameralistischer Ansatz verfolgt, der zu einer Aufteilung der Erträge aus dem Investitionskostensatz auf Finanzierungstöpfe führt. Dabei ergibt sich für den Bereich der (Ersatz-)Beschaffung und Instandhaltung der sonstigen Anlagegüter aus § 4 Abs. 4 und 5 APG DVO NRW und für den Bereich der Instandhaltung der langfristigen Anlagegüter aus § 6 Abs. 3 APG DVO NRW eine strenge Zweckbindung dieser Mittel. Dies führt zu einer Passivierung der Mittel aus diesen beiden Finanzierungstöpfen im Jahresabschluss 2017, soweit sie nicht zweckentsprechend verwendet wurden.
Laut der Begründung zum Entfesselungspaket I (Landtag NRW – Drucksache 17/1046) ist die aus der Formulierung des § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 APG DVO NRW abgeleitete strenge Zweckbindung nicht beabsichtigt und auch nicht erforderlich gewesen. Ursächlich für das fehlende Erfordernis sei, dass § 82 Abs. 3 SGB XI insoweit ausdrücklich eine pauschalierte Anerkennung durch Landesrecht erlaube. Für die Angemessenheit der Pauschalen genüge die Regelung des § 4 Abs. 5 APG DVO NRW, nach der die fortlaufende unverminderte Anerkennung der Pauschale daran geknüpft ist, dass die Einrichtung tatsächlich so viel für Maßnahmen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 APG DVO NRW ausgibt, dass die angesammelten Pauschalen abzüglich der Ausgaben den vierfachen Jahressatz nicht überschreiten.
Deshalb sollen die §§ 4 und 6 APG DVO NRW geändert werden. In der Debatte über diese Änderungen wird unter anderem die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Begründung zum Entfesselungspaket I die strenge Zweckbindung entfalle und damit eine Passivierung nicht verwendeter Mittel dem Grunde nach nicht mehr erforderlich sei. Wie die derzeit geführte Diskussion im Krankenhausfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. und eine von diesem verfasste Anfrage an das zuständige Ministerium zeigen, ist diese Auffassung jedoch nicht unumstritten.
Zwar entfällt sowohl in § 4 als auch in § 6 APG DVO NRW das Wort „zweckentsprechend“, und es wird stattdessen auf die Verwendung für „Maßnahmen im Sinne des Abs. 1 Satz 1“ (§ 4 APG DVO NRW) bzw. für „Maßnahmen zur Instandhaltung oder Instandsetzung“ (§ 6 APG DVO NRW) abgestellt. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine redaktionelle Änderung, denn auch die Neuformulierung des Verordnungstextes stellt weiterhin darauf ab, dass die Mittel für bestimmte Zwecke zu verwenden sind. Und die vorhandene Zweckbindung führt aus bilanzieller Sicht zu einer Passivierungspflicht für noch nicht verwendete Mittel.
Zwar lässt die Begründung zum Entfesselungspaket I erkennen, dass der Verordnungsgeber eine Abkehr von der strengen Zweckbindung anstrebt. Jedoch ist dies im Wortlaut des Entwurfs des neuen Verordnungstextes bislang unberücksichtigt geblieben. Da der Verordnungstext in seiner
Formulierung eindeutig auf eine weiterhin bestehende Zweckbindung verweist, besteht aus
unserer Sicht kein Raum für eine Heranziehung der Begründung im Sinne einer sogenannten historischen Auslegung. Sofern der Verordnungsgeber den Wegfall der Zweckbindung gewollt hätte, hätte er dies konsequenterweise auch im Wortlaut der Verordnung zum Ausdruck gebracht.
Die bloße Willensbekundung des Verordnungsgebers in der Begründung genügt aus unserer Sicht jedenfalls allein nicht für die Aufgabe der Zweckbindung. Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass auch der Anwendungsbereich für eine teleologische Reduktion nicht eröffnet ist. Eine solche Auslegung nach Sinn und Zweck einer Regelung kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen die Auslegung des Wortlauts kein eindeutiges Ergebnis bringt. Allein der Umstand, dass eine Änderung der rechtlichen Grundlage angestrebt wird, führt nicht zu einer Unwirksamkeit der bestehenden Rechtslage.
Ein weiteres Indiz für das Fortbestehen der Zweckbindung ist, dass weiterhin eine Kürzung der Investitionskostensätze erfolgt, wenn die angesammelten Mittel die vier- bzw. zehnfache Jahresrate überschreiten. Zudem wird in der Begründung zum Entfesselungspaket I darauf hingewiesen, dass in den Fällen des § 4 Abs. 5 und § 6 Abs. 3 APG DVO NRW tatsächliche Aufwendungen nachzuweisen sind. Wenn der hier eine anschließende Nachweisführung fordert, ist auch dies als klarer Hinweis auf die Zweckbindung der Mittel aufzufassen. Nach den BSG-Urteilen vom 8. September 2011 ist zudem das Selbstkostendeckungsprinzip zu berücksichtigen.
Ob dieses eingehalten wird, kann nur durch einen Abgleich der Erträge mit den entstandenen Aufwendungen geprüft werden. Die Nachweisführung und das Selbstkostendeckungsprinzip liefen ins Leere, wenn Überschüsse in den entsprechenden Bereichen anderweitig verwendet werden könnten. Damit ist die Passivierung nicht verwendeter Mittel für Maßnahmen nach §§ 4 und 6 APG DVO NRW weiterhin erforderlich. Im Hinblick auf die Bilanzierung ergeben sich somit durch das Entfesselungspaket I dem Grunde nach hinsichtlich der Passivierungspflicht für noch nicht verwendete Mittel im Jahresabschluss 2017 keine Änderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage.
Hingegen könnten sich nach dem derzeitigen Entwurf Änderungen in Bezug auf die Ermittlung der Höhe der Verbindlichkeiten zum 31. Dezember 2017 ergeben. So ist vorgesehen, den bislang streng kameralistischen Ansatz aufzugeben. Vielmehr sollen künftig Abschreibungen auf die vorhandenen sonstigen Anlagegüter, auch auf den Altbestand, als zweckentsprechende Mittelverwendung für Maßnahmen im Sinne des § 4 APG DVO NRW anerkannt werden. Dadurch würde die bislang diskutierte Notwendigkeit zur Bildung von Sonderposten entfallen, und auch bereits vor Geltung der APG DVO NRW angeschaffte und noch nicht vollständig abgeschriebene sonstige Anlagegüter würden zumindest in Höhe ihres Restbuchwerts refinanziert werden.
Aber auch eine solche, aus dem Verordnungsentwurf abzuleitende Bewertung der Verbindlichkeit ist nach unserer Auffassung nicht möglich, da sie der zurzeit geltenden Rechtslage widerspricht. Nach dem handelsrechtlichen Stichtagsprinzip ist für die Bilanzierung stets die zum Abschlussstichtag geltende Rechtslage maßgeblich. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn nach dem Abschlussstichtag in Kraft getretene Rechtsnormen explizit eine Rückwirkung vorsehen. Eine entsprechende Rückwirkung lässt sich dem Entwurf zum Entfesselungspaket I jedoch nicht entnehmen. Aber selbst wenn eine solche Rückwirkung vorgesehen wäre, hätte dies nur dann Auswirkungen auf die Erteilung des Bestätigungsvermerks, wenn das Gesetz vor dem Erteilungszeitpunkt verkündet worden wäre.
Erst nach Verkündung kann mit hinreichender Sicherheit auf den Ausgang eines Gesetzgebungsverfahrens geschlossen werden. Entsprechendes hat das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. in seinem Schreiben vom 19. Februar 2016 zu den Auswirkungen der Änderungen des § 253 HGB auf den Bestätigungen vermerk mitteilen lassen.
Praxis-Hinweise zum Entfesselungspaket I
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die im Rahmen des Entfesselungspakets I vorgesehenen Änderungen der APG DVO NRW nach unserer Auffassung derzeit keine Auswirkungen auf die Bilanzierung dem Grunde und der Höhe nach im handelsrechtlichen Jahresabschluss zum 31. Dezember 2017 entfalten. Sollten die Vorschriften der APG DVO NRW aufgrund bereits erteilter Bescheide für das Jahr 2017 anwendbar sein, sind noch nicht für Maßnahmen nach §§ 4 und 6 APG DVO NRW zweckentsprechend verwendete Mittel im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2017 den Verbindlichkeiten zuzuführen. Zudem sind für Investitionen in sonstige Anlagegüter Sonderposten zu bilden und entsprechend den korrespondierenden Abschreibungen auf die sonstigen Anlagegüter aufzulösen.