Wichtige Übergangsregelung zur Sozialversicherungspflicht von Honorarlehrkräften

Im Jahr 2022 traf das Bundessozialgericht in seinem mittlerweile berühmt gewordenen „Herrenberg-Urteil“ (BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 12 R 3/20 R) die für Bildungsträger folgenreiche Entscheidung, dass Lehrkräfte, die über Jahre, teilweise Jahrzehnte auf Honorarbasis beschäftigt wurden, statt als selbständig als abhängig beschäftigt einzuordnen sind. In der Konsequenz forderten die Sozialversicherungsträger von den Bildungsträgern Sozialversicherungsbeiträge in erheblicher, teilweise existenzbedrohender Höhe ein. Betroffen waren vor allem Bildungseinrichtungen, die strukturierte Lehrgänge anbieten, etwa im Rahmen von Berufsausbildungen (z. B. Altenpflege), aber auch Volkshoch- oder Musikschulen.


Im Lichte der vorgenannten Entscheidung ist es Bildungsträgern praktisch und theoretisch genommen, Dozenten auf Honorarbasis risikolos einzusetzen. Die insofern rechtssichere Alternative, nämlich die Beschäftigung auf Basis eines Arbeitsvertrags, ist oftmals weder von den Bildungsträgern noch von den Lehrkräften gewollt.

Die Folgen des Urteils haben zumindest einen politischen Gesprächsprozess in Gang gesetzt, dessen Ausgang derzeit noch nicht absehbar ist. Es besteht eine gewisse Einigkeit, dass – jedenfalls grundsätzlich – ein Einsatz von selbständigen Lehrkräften möglich sein soll, allerdings fehlt es noch an einem belastbaren Kriterienkatalog, der einen rechtssicheren Einsatz ermöglicht. Als „Zwischenergebnis“ darf in diesem Zusammenhang die Einführung des § 127 SGB IV betrachtet werden, der im Februar dieses Jahres durch den Gesetzgeber erlassen wurde und befristet bis zum 31. Dezember 2026 gilt.

Die Regelung sieht vor, dass Dozenten, die etwa im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens oder einer Betriebsprüfung als abhängig beschäftigt beurteilt wurden, dennoch als selbständig gelten, wenn sie und der Bildungsträger 

  • bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und
  • die Lehrkraft der Einordnung als selbständige Tätigkeit zustimmt.

In aller Regel ist die erste Voraussetzung zwanglos erfüllt, denn die der Lehrtätigkeit zugrundeliegenden Vertragswerke sehen meistens ausdrücklich eine selbständige Tätigkeit vor.

Nicht unproblematisch ist hingegen die zweite Voraussetzung, nämlich die – nochmalige – ausdrückliche Zustimmung der Lehrkraft. Denn die Zustimmung der Lehrkraft kann für diese durchaus Konsequenzen haben: Auch selbständige Lehrer sind nach § 2 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. In der Folge kann die Zustimmung der Lehrkräfte im oben genannten Sinne dazu führen, dass der sie beschäftigende Bildungsträger von der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen befreit wird, die Lehrkraft jedoch – spiegelbildlich – persönlich zu einer Zahlung herangezogen wird.

Der neue § 127 SGB IV führt insofern nicht zu einem „Erlass“ einer etwaigen Beitragsschuld gegenüber den Trägern der Sozialversicherung, sondern zu einer Verlagerung der Beitragslast vom „Arbeitgeber“ zur „selbständigen Lehrkraft“. Das kann durchaus zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, insbesondere bei denjenigen Lehrkräften, die hauptberuflich einen freien Beruf ausüben (Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte etc.) und lediglich nebenbei unterrichten. Denn diese Berufsgruppen sind in der Regel für ihren Hauptberuf von der Rentenversicherungspflicht befreit und zahlen stattdessen in ihre jeweiligen berufsständischen Versorgungswerke. Hierzu ist eine Befreiung von der Versicherungspflicht erforderlich, die jedoch für die Lehrtätigkeit in der Regel nicht – und erst recht nicht nachträglich – erteilt wird. In der Folge zahlen die Freiberufler auf Basis der Dozentenhonorare Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, auch wenn deren Altersversorgung bereits durch die jeweiligen Versorgungswerke gewährleistet ist und oftmals keine Anwartschaft in der gesetzlichen Rente erworben werden kann, weil die hierfür erforderliche Mindestversicherungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung von 60 Monaten nicht erreicht wird.
 

Praxis-Hinweis

Die Einführung des § 127 SGB IV bietet Bildungsträgern die Möglichkeit, sich unter den vorgenannten Voraussetzungen von teilweise erheblichen Nachforderungen der Sozialversicherungen zu schützen. Unabdingbar ist hierzu jedoch die Zustimmung der Lehrkräfte, ihre bisherige Tätigkeit als selbständig einzuordnen. Auch Bildungsträger, die derzeit noch auf Honorarkräfte angewiesen sind, können sich auf diesem Wege jedenfalls bis Ende 2026 gegen den Vorwurf schützen, „scheinselbständige“ Lehrkräfte einzusetzen. Bedauerlich erscheint es jedoch, dass sich der Gesetzgeber vorerst nur zu einer befristeten „Notlösung“ entschließen konnte, anstatt Kriterien zu schaffen, die einen rechtssicheren Einsatz von Honorarkräften erlauben. Dem Bildungsstandort Deutschland ist mit dem „Trostpflaster“, das der neue § 127 SGB IV darstellt, jedenfalls nur begrenzt gedient.

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Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner, Niederlassungsleitung Münster

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