Betriebsübergang auch ohne Übertragung von Betriebsmitteln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Arbeitsgerichts Cottbus zu der Frage geäußert, ob ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG und damit im Sinne des § 613a BGB auch dann vorliegen kann, wenn keine materiellen Betriebsmittel auf den Erwerber übergehen (EuGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – C-298/18).

Ausgangspunkt

Übertragung von Betriebsmitteln bei Betriebsübergang?

 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Arbeitsgerichts Cottbus zu der Frage geäußert, ob ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG und damit im Sinne des § 613a BGB auch dann vorliegen kann, wenn keine materiellen Betriebsmittel auf den Erwerber übergehen (EuGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – C-298/18).

Ausgangspunkt war die Situation, dass ein ostdeutscher Landkreis einen Auftrag zum Betrieb von Buslinien neu ausschrieb. Der bisherige Busunternehmer bewarb sich nicht mehr auf diese Ausschreibung, sondern stellte seinen Geschäftsbetrieb ein und kündigte allen Arbeitnehmern.

Das Unternehmen, welches den Auftrag erhielt, stellte den überwiegenden Teil der Busfahrer ein, übernahm aber weder die Busse noch sonstige Betriebsmittel vom bisherigen Auftragnehmer. Grund hierfür war unter anderem, dass die Busse nicht mehr die Abgasnorm erfüllten, die in den Ausschreibungsbedingungen gefordert war, und daher schlicht zu alt waren.

In mehreren Verfahren vor dem Arbeitsgericht Cottbus stellten sich Arbeitnehmer auf den Standpunkt, dass es zwischen dem alten und dem neuen Unternehmer zu einem Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB gekommen sei mit der Folge, dass ihre mit dem früheren Busunternehmer abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse bei dem Nachfolger fortbestünden.

Dieser argumentierte, dass ein Betriebsübergang nicht vorliegen könne, wenn keinerlei Betriebsmittel übernommen werden, und folgte damit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in einem vergleichbaren Fall (EuGH, Urteil vom 25. Januar 2001 – C-172/99) wie auch des Bundesarbeitsgerichts (BAG), welches in einer jüngeren Entscheidung, bei der die Fahrer eines Rettungsdienstes, aber nicht die Krankenwagen übernommen worden waren, ebenfalls einen Betriebsübergang verneinte (BAG, Urteil vom 25. August 2016 – 8 AZR 53/15). Von der Gegenseite wurde vertreten, dass allein die Busfahrer aufgrund ihrer Kenntnisse der Region, der Strecken und der Fahrpläne die wirtschaftliche Einheit prägten und daher ein Betriebsübergang infolge der Übernahme dieser Fahrer vorläge.

Der EuGH betonte in seiner Entscheidung zunächst noch einmal, dass die Frage eines Betriebsübergangs anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu beantworten sei. Hierzu gehörten

  • die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs,
  • der Übergang oder Nichtübergang der Aktiva und der Kundschaft,
  • die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft,
  • der Grad der Ähnlichkeit der verrichteten Tätigkeit und
  • die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.

Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Betriebsmittel dann nicht beachtlich seien, wenn ihre Übernahme wirtschaftlich oder rechtlich unmöglich oder sinnlos wäre, wie dies bei den veralteten Bussen der Fall gewesen sei, und bejaht im Ergebnis einen Betriebsübergang auf den neuen Buslinienbetreiber.

Betriebsübergang erfordert eine genaue Prüfung

Der EuGH setzt sich in Widerspruch zu seiner älteren Rechtsprechung und schafft damit mehr Unsicherheit als zuvor. Die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist damit noch schwieriger zu beantworten und erfordert in jedem Einzelfall eine genaue Prüfung, da ein Betriebserwerber andernfalls ungewollt in die Arbeitsverhältnisse des früheren Betriebsinhabers eintreten könnte.

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