Umstrittene Bagatellgrenze für Regresse – Was bedeutet das Scheitern des GVSG?

Mit dem Ende der Ampel-Koalition ist auch das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) gescheitert und wird nicht mehr in Kraft treten. Das Gesetz sah Änderungen im ambulanten Bereich vor. Unter anderem war die Einführung einer allgemeinen Bagatellgrenze von 300,00 Euro für Regresse gegenüber Arztpraxen nach § 106b SGB V vorgesehen.


Die Prüfverfahren zur Wirtschaftlichkeitsprüfung verordneter Leistungen werden auf Seiten der Krankenkassen automatisiert in Gang gesetzt und an die Ärzte weitergeleitet. Der Aufwand ist somit gering. Für Medizinische Versorgungszentren und inhabergeführte Praxen ist die Prüfung der Bescheide hingegen in der Regel mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden, da ohne anwaltliche Beratung die Erfolgsaussichten (und damit auch die Wirtschaftlichkeit) eines Widerspruchs kaum abschließend eingeschätzt werden können. Aus diesem Grund sind Widersprüche gegen Regressbescheide mit relativ geringen Rückforderungsbeträgen für die Betroffenen lästig. Der Aufwand eines Widerspruchverfahrens steht meist nicht in Relation zum geforderten Regress und die Forderung wird einfach ungeprüft oder in Kenntnis der Rechtswidrigkeit gezahlt. Dies führt nachvollziehbar zu Frustrationen. Mit der Einführung einer Bagatellgrenze sollten die Leistungserbringer zukünftig besonders vor derartigen Regressen geschützt werden.

Die Einführung der Bagatellgrenze in das SGB V war nicht unumstritten. Insbesondere befürchteten die Krankenkassen, zu Unrecht verordnete Leistungen zahlen zu müssen, ohne eine Möglichkeit der Rückforderung zu erhalten. Andere waren hingegen besorgt, dass es damit zu einem Anstieg von Wirtschaftlichkeitsprüfungen kommen könnte. Dies gründet zum einen in dem Umstand, dass die geplanten Änderungen zu einer Verschiebung von der Prüfung des einzelnen Arztes hin zu der Prüfung der verordneten Leistungen je Betriebsstättennummer (BSNR) vorgesehen waren. Ärzte, die in Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Versorgungszentren oder anderen Zusammenschlüssen tätig sind, wären somit gemeinsam geprüft worden. Es wäre also unter Addierung sämtlicher unter einer BSNR tätigen Ärzte die Bagatellgrenze von 300,00 Euro je Quartal heranzuziehen gewesen. Zum anderen sollte die Bagatellgrenze nur für Einzelfallprüfungen gelten, nicht jedoch für andere Arten der Wirtschaftlichkeitsprüfungen wie zum Beispiel die statistischen Vergleichsprüfungen.

Letztlich besteht bereits durch das jetzige SGB V die Möglichkeit, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen in die Prüfvereinbarungen mit den Krankenkassen eine Bagatellgrenze aufnehmen. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat dies bereits umgesetzt: In der aktuellen, zum 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Fassung der Prüfvereinbarung ist festgelegt, dass Prüfanträge durch die Krankenkassen erst ab einem Wert von 150,00 Euro je BSNR und Quartal für Sprechstundenbedarf sowie 100,00 Euro je Lebenslanger Arztnummer und Quartal zulässig sind.

Das Scheitern des GVSG muss also für das Thema „Regresse“ nicht zwangsläufig negative Folgen haben. Der Aufruf des Virchowbundes in der Bundeshauptversammlung 2024, grundsätzlich gegen jeden Prüfbescheid in den Widerspruch zu gehen, sollte jedenfalls kritisch betrachtet werden: Bei einer Schwemme von (unbegründeten) Widersprüchen besteht das Risiko, dass auch begründete Widersprüche abgewiesen werden, um dem Prüfaufwand gewachsen zu sein.

Weitere Artikel, die Sie interessieren könnten

phone
mail Pfeil weiß