Überstundenzuschläge bei Teilzeitkräften

Wann entstehen Überstundenzuschläge bei Teilzeitkräften? Diese vermeintlich banale Frage beschäftigt nicht nur die nationale Rechtsprechung, sondern in regelmäßigen Abständen auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), zuletzt im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens des Bundesarbeitsgerichts (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 – C-184/22, C-185/22).

Der Fall

Zwei Teilzeitkräfte eines Heimdialyseanbieters forderten einen tariflichen Überstundenzuschlag ein, der aber ausweislich der tariflichen Regelung erst dann entsteht, wenn die Teilzeitkräfte durch „Mehrarbeit“ diejenige Wochenstundenzahl überschreiten, die Vollzeitkräfte zu leisten haben (konkret: 38,5 Stunden). Waren mit einer Teilzeitkraft beispielsweise 20 Wochenstunden vereinbart, erhielt diese den Überstundenzuschlag erst, wenn sie mehr als 18,5 Stunden Mehrarbeit in einer Woche leistete. Daneben machten die Arbeitnehmerinnen einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend, weil sie sich durch diese tarifliche Regelung aufgrund ihres Geschlechts als diskriminiert betrachteten. Während das zuständige Arbeitsgericht den Anspruch verneinte, gab das Landesarbeitsgericht Hessen den dagegen eingelegten Berufungen statt. Im Rahmen der hiergegen eingelegten Revision legte das Bundesarbeitsgericht dem EuGH im Wesentlichen die Fragen vor, ob eine solche tarifliche Regelung eine nach europäischem Recht unvereinbare Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften darstellt und ob eine solche tarifliche Regelung aufgrund der mit ihr verfolgten Ziele, wie den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten und eine ungünstigere Behandlung von Vollzeitbeschäftigten gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu verhindern, eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.

Die Entscheidung

Der EuGH entschied, dass die oben dargestellte Regelung nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Vorausgesetzt, dass die in Rede stehenden Tätigkeiten der Teilzeitkräfte mit denjenigen von Vollzeitkräften vergleichbar seien, stelle die Untergrenze (vorliegend 38,5 Stunden), die erreicht werden müsse, um Teilzeitkräfte in den „Genuss“ von Überstundenzuschlägen zu bringen, eine nach europäischem Recht unvereinbare Benachteiligung von Teilzeitkräften gegenüber Vollzeitkräften dar. Denn dadurch würden Arbeitgebern Anreize geboten, Teilzeitkräften Überstunden zuzuweisen, weil diese erst ab Erreichen der „Untergrenze“ mit einem Zuschlag vergütet werden müssten, während dies bei Vollzeitkräften bereits nach der ersten Überstunde der Fall wäre.

Da es sich vorliegend um ein Vorabentscheidungsersuchen handelte, muss nun das BAG entscheiden, ob es „sachliche Gründe“ dafür geben könnte, die die oben dargestellte tarifliche Regelung dennoch rechtfertigen könnten.

Die Entscheidung setzt die Linie des EuGH fort, der bereits im Jahr 2023 in seiner Entscheidung im Zusammenhang mit Teilzeitpiloten (Urteil vom 19. Oktober 2023 – C-660/20) zu dem Ergebnis kam, dass einheitliche „Untergrenzen“, ab denen für Teil- und Vollzeitbeschäftigte Überstundenzuschläge anfallen, unvereinbar mit europäischem Recht sind.

Zu der ebenfalls an den EuGH gerichteten Frage des BAG, ob darüber hinaus eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliege, führte der Gerichtshof aus, dass eine solche Diskriminierung dann vorliege, wenn eine Regelung zur Vergütung von Teilzeitkräften (hier: der Tarifvertrag) eine signifikant größere Gruppe eines Geschlechts benachteilige (hier: Frauen), auch wenn die Vergleichsgruppe der Vollzeitkräfte nicht gleichzeitig aus erheblich mehr Personen des anderen Geschlechts (hier Männern) bestehe, denn im vorliegenden Fall hatte das BAG ermittelt, dass bei den Beschäftigten insgesamt mehr Frauen als Männer sowohl in Voll- als auch in Teilzeit beschäftigt waren. Ob eine solche Benachteiligung im konkreten Fall gegeben ist, wird das BAG im Rahmen des nun fortzusetzenden Revisionsverfahrens zu klären haben, zumal die Begründung des EuGH an dieser Stelle etliche Fragen offenlässt, etwa, wann eine Gruppe „signifikant“ größer ist, als die Vergleichsgruppe. Die Entscheidung des BAG dürfte an dieser Stelle aufschlussreich werden.

Zu der Frage nach der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung führt der EuGH aus, dass die Festlegung einer Untergrenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags, die für Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte einheitlich gilt, im Hinblick auf Teilzeitbeschäftigte nicht zur Erreichung des Ziels führe, Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten. Die Vollzeitbeschäftigten werden vorbehaltlich der Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes bei den Teilzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt als diese.

Praxis-Hinweis

Die Entscheidung des EuGH setzt dessen Rechtsprechung zur Gleichbehandlung von Teil- und Vollzeitkräften fort. Eine nationale Regelung, die für Teil- wie Vollzeitkräfte eine einheitliche Untergrenze festlegt, ab der erst Überstundenzuschläge zu zahlen sind, wird kaum noch Bestand haben können, denn hierzu wäre ein sachlicher Grund erforderlich, der in der Regel nicht gegeben sein dürfte. Sollten solche Regelungen noch bei Arbeitgebern zur Anwendung kommen, ist eine kritische Überprüfung geboten, um das Risiko von Rechtstreitigkeiten und Nachzahlungen zu begrenzen.

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