Mittelverwendungspflicht
Bekanntermaßen müssen steuerbegünstigte Körperschaften nach der geltenden Rechtslage sämtliche Mittel final für ihre steuerbegünstigten Zwecke verwenden. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO muss diese Verwendung für steuerbegünstigte Zwecke auch grundsätzlich zeitnah erfolgen. Zeitnah heißt in diesem Zusammenhang, dass die Mittel spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden müssen. Freilich gibt es bereits jetzt Ausnahmen von dieser zeitnahen Mittelverwendungspflicht, die im Wesentlichen in § 62 AO geregelt sind. Im Zentrum der dort geregelten Möglichkeiten für die Bildung von Rücklagen steht die sogenannte „freie Rücklage“: Steuerbegünstigte Körperschaften können dieser Rücklage ohne weitere Restriktionen jedes Jahr ein Drittel des Überschusses aus ihrer Vermögensverwaltung sowie 10 % der übrigen Mittel zuführen, mit der Folge, dass diese Mittel nicht zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden müssen, sondern beispielsweise für Investitionen im Bereich der Vermögensverwaltung oder der steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe zur Verfügung stehen.
Weitere Rücklagen können für die Sicherstellung einer nachhaltigen Zweckerfüllung in Form einer Betriebsmittel- und einer Projektrücklage oder auch für die Wiederbeschaffung von Wirtschaftsgütern im ideellen Bereich oder im Zweckbetrieb gebildet werden.
Aber auch über die Bildung von Rücklagen hinaus müssen nicht zwangsläufig alle Mittel der Körperschaft zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden. § 62 Abs. 3 AO regelt, dass Zuwendungen von Todes wegen nicht zeitnah verwendet werden müssen, wenn der Erblasser dies nicht ausdrücklich angeordnet hat. Auch können Spender bewusst entscheiden, ob ihre Spende zur (langfristigen) Ausstattung der Körperschaft mit Vermögen oder zur Erhöhung des Vermögens bestimmt ist und somit nicht zeitnah verwendet werden muss. Dies muss jedoch bei der Spende ausdrücklich erklärt werden. Auch Sachzuwendungen, die ihrer Art nach zum Vermögen gehören, müssen nicht zeitnah verwendet werden – hier ist insbesondere an Immobilien zu denken, die gespendet werden.
Nachweis der zeitnahen Mittelverwendung
Um zu zeigen, dass eine steuerbegünstigte Körperschaft ihrer grundsätzlichen Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung nachgekommen ist, wird im Rahmen der Steuererklärungen jährlich bzw. in den Fällen, in denen ein dreijähriger Deklarationsturnus zum Tragen kommt, alle drei Jahre eine sogenannte Mittelverwendungsrechnung erstellt. Diese Rechnung stellt die Gesamtmittel der Körperschaft den bereits verwendeten Mitteln gegenüber, ermittelt über das Ausstattungskapital, Rücklagen usw. die nicht zeitnah zu verwendenden Mittel und klärt im Ergebnis, ob die Körperschaft ihrer zeitnahen Mittelverwendungsverpflichtung nachgekommen ist („Mittelverwendungsüberhang“) oder nicht („Mittelverwendungsrückstand“). Mit der Mittelverwendungsrechnung steht ein probates Mittel zur Verfügung, mit dem weitgehend rechtssicher ermittelt und nachgewiesen werden kann, dass die Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung erfüllt wird.
Steuerfortentwicklungsgesetz
Der Entwurf des zweiten Jahressteuergesetzes 2024 aus dem Juli 2024, das mittlerweile in „Steuerfortentwicklungsgesetz“ umbenannt wurde, sieht nunmehr den ersatzlosen Wegfall der Verpflichtung zur zeitnahen Mittelverwendung vor. Mit der Aufhebung der entsprechenden Regelung in § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO werden naturgemäß auch die Regelungen in § 62 AO zur Rücklagenbildung hinfällig und sollen nach dem Entwurf ebenfalls gestrichen werden. Begründet wird diese tiefgreifende Gesetzesänderung mit dem „Abbau bestehender Bürokratie“: Durch den Wegfall der Vorschriften sei die Anfertigung einer Mittelverwendungsrechnung nicht mehr erforderlich. Ob die Körperschaft tatsächlich gemeinnützig sei und wie sie ihre Mittel einsetze, könne die Finanzverwaltung anhand der bereits vorhandenen Aufzeichnungen prüfen.
Die allgemeinen gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundsätze, insbesondere der Grundsatz der Ausschließlichkeit nach § 56 AO, blieben unberührt und stellten sicher, dass es zukünftig in Extremfällen nicht zur Entstehung steuerbegünstigter Körperschaften komme, die Mittel ansparten, ohne diese für eine nachhaltige Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke zu verwenden. Schließlich sei davon auszugehen, dass es im eigenen Interesse der jeweiligen steuerbegünstigten Körperschaften liege, ihre Mittel weiterhin regelmäßig zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden.
Kritik
Der Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes ist hinsichtlich des Wegfalls der zeitnahen Mittelverwendungspflicht kritisch zu sehen. Zwar scheint es zunächst eine Erleichterung für steuerbegünstigte Körperschaften zu sein, ihre Mittel nicht mehr zeitnah für die satzungsmäßigen Zwecke verwenden zu müssen. So könnte mehr Spielraum verbleiben, um Mittel anzusparen und zwischenzeitlich im Bereich der Vermögensverwaltung oder auch für steuerpflichtige Aktivitäten zu nutzen; eine finale Mittelverwendungspflicht bleibt unstrittig erhalten.
Das Argument des versprochenen Bürokratieabbaus ist indes nur scheinbar richtig: Sicherlich ist die Erstellung von Mittelverwendungsrechnungen im Zusammenhang mit den abzugebenden Steuererklärungen mit Aufwand und dementsprechend auch mit Kosten verbunden. Dies führt aber zu einer weitgehenden Rechtssicherheit mit Blick auf die tatsächliche Geschäftsführung als wesentliche Anforderung an die Steuerbegünstigung einer Körperschaft. Wenn die zeitnahe Mittelverwendungspflicht und damit als Nachweis die Mittelverwendungsrechnung wegfällt, stellt sich unmittelbar die Frage, auf welchem Weg künftig die Einhaltung gemeinnützigkeitsrechtlicher Vorgaben nachgewiesen werden soll.
Der Hinweis in der Begründung des Gesetzesentwurfs auf die in § 56 AO normierte Ausschließlichkeit hilft hier nicht weiter. Diese Vorschrift besagt sehr schlicht, dass steuerbegünstigte Körperschaften nur ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verfolgen dürfen. Es ist aber zulässig, dass steuerbegünstigte Körperschaften zumindest einen Teil ihrer Mittel zeitweise auch anderweitig nutzen, zum Beispiel im Rahmen von vermögensverwaltenden Tätigkeiten oder auch steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben. Wenn ein klarer gesetzlicher Rahmen fehlt, der bestimmt, in welchem Umfang dies geschehen kann, wird das unweigerlich zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung führen. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit ist es sehr wahrscheinlich, dass die Finanzverwaltung die entstehende Regelungslücke durch Verwaltungsanweisungen füllen wird, die in der Besteuerungspraxis häufig zu Konflikten führen werden – siehe auch die Entwicklung zum planmäßigen Zusammenwirken von steuerbegünstigten Körperschaften nach § 57 Abs. 3 AO. Im Ergebnis werden die strittigen Fragen in die Betriebsprüfungen verlagert und gegebenenfalls vor den Finanzgerichten ausgetragen. Das neue Gesetz hätte dann dem zu Recht intendierten Bürokratieabbau einen Bärendienst erwiesen.
Nicht zuletzt sehen auch die steuerbegünstigten Körperschaften selbst den möglichen Wegfall der zeitnahen Mittelverwendungspflicht kritisch. Die derzeit klaren Anforderungen an die Mittelverwendung stellen auch ein Gütesiegel dar, das im Hinblick auf die Spendeneinwerbung einen hohen Stellenwert besitzt.
Dieser Kritik hat sich nunmehr auch der Bundesrat angeschlossen. In seiner Stellungnahme vom 27. September 2024 zum Steuerfortentwicklungsgesetz lehnt er den generellen Wegfall der zeitnahen Mittelverwendungspflicht ab. Er empfiehlt stattdessen, die bereits bestehende Befreiung von dieser Pflicht für kleine Körperschaften mit Einnahmen bis zu 45.000 Euro auf Körperschaften mit Einnahmen von maximal 80.000 Euro auszudehnen. Aus unserer Sicht stellt dies einen guten Kompromiss dar, da insbesondere kleinere Körperschaften, die erfahrungsgemäß stärker durch die Mittelverwendungspflicht und die damit einhergehenden Deklarationserfordernisse belastet sind, entlastet werden. Wie der Gesetzgeber final entscheiden wird, bleibt allerdings – wie so oft – abzuwarten.