Genehmigungsfiktion: Verzögerter Bescheid begründet keinen Sachleistungsanspruch

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 – seine bisherige Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V geändert.Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Krankenkasse die beantragte Versorgung ihres Versicherten mit dem Arzneimittel Fampyra im Rahmen des Off-Label-Use unter Verweis auf die fehlenden Voraussetzungen nach über 13 Woch

Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V – Das Schweigen der Krankenkassen fingiert keinen Sachleistungsanspruch mehr

 

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 – seine bisherige Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V geändert.

Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Krankenkasse die beantragte Versorgung ihres Versicherten mit dem Arzneimittel Fampyra im Rahmen des Off-Label-Use unter Verweis auf die fehlenden Voraussetzungen nach über 13 Wochen abgelehnt. Das Sozialgericht Speyer (Gerichtsbescheid vom 5. September 2017 – S 17 KR 57/17) gab der anschließenden Klage des Versicherten statt und verurteilte die Krankenkasse dazu, die Kosten für das Arzneimittel zu übernehmen. Den Anspruch stützte es auf die fingierte Genehmigung der beantragten Leistung. Maßgeblich sei allein der Umstand, dass die Krankenkasse den Antrag nicht innerhalb der gesetzlich vorgegeben Frist von fünf Wochen beschieden hat und der Versicherte die beantragte Versorgung aufgrund der Stellungnahme seines Arztes subjektiv für erforderlich halten durfte.

Nachdem die Berufung der Krankenkasse vor dem Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz – L 5 KR 218/17 – erfolglos blieb, hob das BSG das Urteil des LSG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück.

Bislang: Anspruch des Versicherten auf beantragte Leistung, wenn Krankenkasse nicht innerhalb der gesetzlichen Frist über den Antrag entscheidet

Der Entscheidung des BSG liegt die Regelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V zugrunde. Danach gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, wenn eine Krankenkasse über den Leistungsantrag nicht innerhalb von drei Wochen bzw. bei Einschaltung des MDK nicht innerhalb von fünf Wochen nach Eingang des Antrags entscheidet und diese Verzögerung nicht hinreichend begründet wird. Bislang hatte das BSG diese Genehmigungsfiktion als einen Verwaltungsakt gewertet. So konnte sich der Versicherte allein aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion die Leistung auf Kosten der Krankenkasse selbst beschaffen oder diese als Sachleistung von der Krankenkasse verlangen, solange er hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit der beantragten Leistung gutgläubig war (BSG, Urteil vom 8. März 2016 – B 1 KR 25/15 R, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R). Eine nachträgliche Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse, z.B. in Ermangelung eines entsprechenden Anspruchs des Versicherten, war nicht möglich.

Jetzt: Kostenerstattungsanspruch des Versicherten für selbstbeschaffte Leistung bis zur Bescheidung des Antrags durch die Krankenkasse

Nun vollzog das BSG eine Kehrtwende und entschied, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V keinen fingierten Verwaltungsakt darstellt und somit dem Versicherten keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch, sondern lediglich eine vorläufige Rechtsposition verschafft. Die Krankenkasse sei weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen.

Das BSG stellt klar, dass die Vorschrift nicht darauf abziele, Ansprüche zu begründen, die nach sonstigem GKV-Recht nicht bestehen. Es handele sich vielmehr um eine Rechtsposition sui generis, die lediglich ein Recht auf Selbstbeschaffung der Leistung und einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zum Inhalt habe. Dabei sei es unerheblich, ob tatsächlich ein Anspruch auf die selbstbeschaffte Leistung bestehe, solange der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig war.

Der Anspruch auf Selbstbeschaffung ende erst dann, wenn über den Leistungsanspruch bindend entschieden wurde oder sich der Antrag anderweitig erledigt hat. In diesem Zusammenhang weist das BSG darauf hin, dass sich ein Antrag auf eine Dauerleistung nicht mit dem einzelnen Beschaffungsvorgang erledige, sondern der gestellte Antrag auf Naturalleistung weiter fortbestehe.

Genehmigungsfiktion Fazit

Mit der neuen Entscheidung schränkt das BSG die Ansprüche der Versicherten deutlich ein und sorgt für Unsicherheit bei Patienten und verordnenden Ärzten. Soweit sich Krankenkassen mit der Bescheidung von Leistungsanträgen Zeit lassen, haben Versicherte nun lediglich die Möglichkeit, sich die beantragte Leistung auf eigene Kosten selbst zu beschaffen und anschließend die Erstattung der Kosten bei der Krankenkasse zu beantragen. Die Zielsetzung der Vorschrift, das Bewilligungsverfahren bei den Krankenkassen zu beschleunigen, um eine zügige Klärung von Leistungsansprüchen zu gewährleisten und die Krankenkassen bei Nichteinhaltung der vorgegebenen Fristen zu sanktionieren, wird durch die Entscheidung des BSG ordentlich konterkariert.

Soweit Unsicherheit hinsichtlich der Kostenübernahme durch die GKV für bestimmte Leistungen besteht, ist Ärzten zu empfehlen, Patienten über das Erfordernis der Genehmigung der Leistung durch die Krankenkasse aufzuklären und im Zweifel die diesbezügliche Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten.

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