Fallbeispiel
Wenn Unternehmen steuerliche Risiken nicht rechtzeitig erkennen und steuern, können unerwünschte Situationen entstehen. Hierzu ein fiktives Beispiel: Viele Unternehmen bieten ihren Beschäftigten zusätzliche Angebote und Vorteile, in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise sogenannte Job-Räder. Auf diese Weise soll die Mobilität und Gesundheit der Mitarbeiter gefördert werden. Häufig dürfen die Job-Räder nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums von den Beschäftigten zu günstigen Konditionen übernommen werden. Sofern das Finanzamt der Auffassung ist, dass die Übernahmekonditionen zu günstig sind, kann dies als geldwerter Vorteil gewertet werden, der nachträglich versteuert werden muss. Damit die Beschäftigten nicht nachträglich draufzahlen müssen, übernimmt das Unternehmen die Nachzahlung. Auch die lohn- und umsatzsteuerlichen Aspekte der Job-Räder sind in den Unternehmen nicht immer präsent und können zu unangenehmen Überraschungen bei Betriebsprüfungen führen.
Dieses Beispiel zeigt, dass bestimmte Entscheidungen mit steuerlichen Auswirkungen die Einbindung entsprechender Sachkenntnis erfordern. Werden solche Entscheidungen in Organisationsbereichen getroffen, die keine regelmäßigen Berührungspunkte zum Thema Steuern haben (z. B. Betriebliches Gesundheitsmanagement oder Personalentwicklung) und unterbleibt eine Einbindung der Steuerabteilung oder des Rechnungswesens, dann bleiben diese Fehler zunächst unentdeckt.
Ein Steuer-IKS dokumentiert nachweisbar die Prozesse, mit denen Besteuerungsgrundlagen zutreffend aufgezeichnet und berücksichtigt werden, damit die hierauf entfallenden Steuern fristgerecht und vollständig abgeführt werden. Durch die Dokumentation wird der Nachweis erbracht, dass Maßnahmen ergriffen wurden, um den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Dies kann im Fall einer fehlerhaften Steuererklärung von der Finanzverwaltung als Indiz gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder von Leichtfertigkeit herangezogen werden.
Grundsätze für den Aufbau und die Einrichtung eines Steuer-IKS
Ein Steuer-IKS ist ein auf die Einhaltung steuerlicher Vorschriften ausgerichtetes System mit aufeinander abgestimmten Elementen und Prozessen. Diese führen durch die bewusste Kombination von Bearbeitungs- und Kontrollschritten zur Fehlervermeidung bzw. -aufdeckung und damit abschließend zu einer Risikominimierung. In den vergangenen Jahren tauchte vermehrt der Begriff des Tax Compliance Management Systems (TCMS) auf. Zur Ausgestaltung und zur Prüfung eines TCMS hat das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland den IDW Praxishinweis 1/2016 veröffentlicht.
Die Abgrenzung zwischen Steuer-IKS und TCMS
Ein Steuer-IKS ist nicht gleichbedeutend mit einem TCMS, weist aber Gemeinsamkeiten auf. So kann das Steuer-IKS als Teil bzw. als wichtiger Baustein eines TCMS verstanden werden. Im Vordergrund stehen beim Steuer-IKS rein prozess- und systemintegrierte Kontrollen. Bei einem TCMS, das über diesen Ansatz hinausgeht, wird auch beim Leitbild und der Unternehmenskultur angesetzt. In Unternehmen der Sozialwirtschaft und mit Abstufungen auch des Gesundheitswesens sind dokumentierte Compliance-Management-Systeme in der Praxis selten anzutreffen. Häufig fehlen im Sinne des idealtypischen Modells der drei Abwehrlinien entsprechende Ressourcen auf der 2. Abwehrlinie, die sich ausschließlich um konzeptionelle Fragen des Compliance Managements kümmern und Stellen der operativen Organisationsbereiche (1. Abwehrlinie) beratend und schulend zur Seite stehen. Wie in kleineren und mittelgroßen Unternehmen üblich werden Funktionen des Compliance Managements entweder von anderen Stabsstellen mitübernommen (z. B. Recht oder Qualitätsmanagement) oder liegen in der Zuständigkeit der Führungskräfte auf der operativen Ebene. Deshalb dürfte der Begriff des Steuer-IKS in die Praxis der meisten Unternehmen aus der Sozialwirtschaft und dem Gesundheitswesen besser passen.
Praktische Schritte zur Einführung eines Steuer-IKS
Der Aufbau und die Einrichtung eines Steuer-IKS sollten sich an den in der obenstehenden Abbildung dargestellten Grundsätzen ausrichten, damit es sich nahtlos in die bestehende Organisation einfügt. Diese Grundsätze zeigen, dass eine Skalierbarkeit möglich ist und die Einführung eines Steuer-IKS nicht zwangsläufig einen bürokratischen Mehraufwand bedeuten muss.
Der Aufbau und die Einführung umfasst drei Phasen, die nacheinander bzw. überschneidend durchlaufen werden sollten.
- Bestandsaufnahme
Bei der Bestandsaufnahme sollte bedacht werden, dass in Unternehmen normalerweise bereits Maßnahmen eingerichtet sind, um zum Beispiel Belege zu erfassen, zu bearbeiten und aufzubewahren und Fristen einzuhalten sowie übrige Sachverhalte zutreffend festzuhalten und steuerrechtlich einzuordnen. Hierunter können auch Tätigkeiten fallen, die das Unternehmen auf einen Steuerberater ausgelagert hat. Diese können ein wichtiger Bestandteil eines Steuer-IKS sein. Deshalb sollte die Erfassung und Dokumentation des Ist-Zustandes den ersten Schritt darstellen. Die Ergebnisse bilden dann die Grundlage für die Entscheidung über das weitere Vorgehen. - Risikoanalyse und -bewertung
Im Zuge der Risikoanalyse und -bewertung sollte eine intensive Auseinandersetzung mit den Risikofeldern des Unternehmens stattfinden. Dabei können typische Risikofelder unter anderem aus den verschiedenen Steuerarten abgeleitet werden. Darüber hinaus sind übergreifende Risikofelder zu betrachten. Alle relevanten Risikobereiche des Unternehmens sollten im Steuer-IKS berücksichtigt werden. Das Verfahren der Risikobewertung unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Systemen, die Risiken analysieren und bewerten. So werden die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmaß von Ereignissen berücksichtigt. Auf diese Weise können zuerst Maßnahmen für Bereiche erarbeitet werden, die besonders hohe Risiken aufweisen. - Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen
Bei der Festlegung von Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen geht es um die Einführung von Verfahren, mit denen die konkret identifizierten und quantifizierten Risiken beherrscht werden können. In dieser Phase des Aufbaus und der Einführung greift man auf praxisbewährte Konzepte aus dem Bereich der internen Kontrollsysteme zurück. Auch IT-gestützte Kontrollverfahren spielen eine wichtige Rolle bei diesem Thema.
Mögliche Dokumentationsbestandteile
Wie bereits eingangs beschrieben, erfüllt die Dokumentation des Steuer-IKS unter anderem den Nachweiszweck über ergriffene Maßnahmen, um den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Aber auch innerbetriebliche Erfordernisse an Information und Orientierung werden mit einer aussagekräftigen Dokumentation bedient und bilden die Grundlage für die Einarbeitung und Schulung von Mitarbeitern. Zu den Dokumentationsbestandteilen kann eine übergeordnete, zusammenfassende und in sich geschlossene Darstellung der bestehenden Maßnahmen und Verantwortlichkeiten nach Risikofeldern gehören. Darüber hinaus sind Checklisten, Arbeitsanweisungen, Prüf- und Kontrollschemata sowie die Zuweisung von Verantwortlichkeiten wichtige Elemente der Dokumentation. Generell richten sich der Dokumentationsumfang und die notwendigen Bestandteile nach der individuellen Komplexität.
Praxis-Hinweis
Aufgrund des Anwendungserlasses des Bundesfinanzministeriums vom 23. Mai 2016 zu § 153 AO steht die Implementierung schriftlich dokumentierter innerbetrieblicher Kontrollsysteme, die der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dienen, seit Jahren verstärkt im Fokus der steuerlichen Beratung. Die Finanzverwaltung hat im Hinblick auf die erforderliche Abgrenzung zwischen der Berichtigung einer fehlerhaften Steuererklärung und einer strafbefreienden Selbstanzeige festgestellt, dass die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems ein Indiz sein könne, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder von Leichtfertigkeit spreche. Zudem hat der Gesetzgeber mit dem sogenannten DAC7-Umsetzungsgesetz in Art. 97 § 38 EGAO die Möglichkeit geschaffen, dass ein Steuer-IKS beim Steuerpflichtigen Einfluss auf Art und Umfang der Außenprüfung haben kann. Die Dokumentation des Steuer-IKS ist in Bezug auf den Anwendungserlass keine steuerrechtliche Verpflichtung, aber gleichwohl aus Beweisgründen zu empfehlen.