Neues zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen
Unterliegen Rettungsdienstleistungen und qualifizierte Krankentransporte dem EU-Vergaberecht oder greift zu ihren Gunsten die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in seiner Grundsatzentscheidung vom 21. März 2019 – C-465/17, Falck – grundsätzlich zu Gunsten der Bereichsausnahme entschieden. Danach sollten die Rettungs- und Transportleistungen von gemeinnützigen Organisationen vom Vergaberecht ausgenommen sein. Allerdings hielten aufgrund der jeweiligen Landesrettungsgesetze die Vergabesenate Bayern und Niedersachsen dennoch am Vergabeverfahren fest.
Nun liegt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg vor, die erstmalig für ein Bundesland die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB bestätigt (Beschluss vom 16. April 2020 – 1 Verg 2/20). Danach darf der Auftraggeber gewerbliche Unternehmen von der Vergabe von Rettungsdienstleistungen ausschließen, um die Auswahl ausschließlich zwischen gemeinnützigen Rettungsdiensten ohne förmliches europaweites Vergabeverfahren zu treffen.
Rettungsdienstvergaben als Bereichsausnahme?
Die Stadt Hamburg veröffentlichte im Wege der nationalen Bekanntmachung eine Ausschreibung für die Notfallrettung. Sie bezeichnete das Verfahren als verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren und wies darauf hin, dass das Verfahren als Bereichsausnahme nicht dem GWB unterliege und eine Vergabe an eine gemeinnützige Organisation beabsichtigt sei. Der Auftragswert wurde mit mehr als 100.000.000 € angegeben. Nach erfolgloser Rüge bei der Vergabekammer legte die Antragstellerin, eine im Rettungsdienst tätige gemeinnützige GmbH, sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Hamburg ein.
Sie trug vor, dass die Stadt Hamburg sich nicht auf die Bereichsausnahme berufen könne, sondern verpflichtet sei, ein förmliches europaweites Vergabeverfahren durchzuführen. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB greife nicht, da das Hamburgische Rettungsdienstgesetz (HmbRDG) von der Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter ausgehe. Außerdem sei § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB europarechtswidrig und es bestehe aufgrund des europäischen Primärrechts eine Pflicht zur europaweiten Ausschreibung.
Vergabe von Rettungsdienstleistungen ohne Kartellvergabeverfahren?
Das OLG Hamburg hält die Beschwerde für unzulässig. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen sei nicht eröffnet, da die Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eingreife. Der EuGH habe zwar die Unvereinbarkeit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB mit der dieser nationalen Gesetzgebung zugrunde liegenden Vergabe-Richtline insoweit festgestellt, als aus der Anerkennung als Zivil- oder Katastrophenschutzorganisation die Gemeinnützigkeit der Einrichtung gefolgert werde.
Gleichwohl habe der EuGH den nationalen Gerichten die Prüfung überlassen, ob eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist, was zu bejahen sei. Nach § 14 HmbRDG können Rettungsdienstleistungen auch von gewerblichen Anbietern erbracht werden, eine Beschränkung des Wettbewerbs auf gemeinnützige Einrichtungen sei aber ausdrücklich vorgesehen. Dies war für das OLG Hamburg der entscheidende Unterschied zur Rechtslage in Niedersachsen und Bayern, wo die Landesgesetze einen Gleichrang gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter vorsehen.
Rettungsdienstvergaben im förmlichen Verfahren aufgrund Primärrechts?
Nach Auffassung des Vergabesenats ergibt sich eine Verpflichtung zur Durchführung eines förmlichen, europaweiten Vergabeverfahrens auch nicht aus dem europäischen Primärrecht, da sich eine solche Verpflichtung nicht aus der Grundsatzentscheidung des EuGH entnehmen lasse.
Vergabe von Rettungsdienstleistungen – wie gehts weiter?
Obwohl die Bereichsausnahme für den Rettungsdienst für ein Bundesland bestätigt wurde, bleiben viele Rechtsfragen ungeklärt. Fraglich ist, ob die Bereichsausnahme für den Rettungsdienst eine abschließende Harmonisierungsmaßnahme darstellt oder ob daneben eine Ausschreibungspflicht aufgrund europäischen Primärrechts besteht. Dass der EuGH sich in der Rechtssache Falck zum Vergabeprimärrecht nicht geäußert hat, spricht weder für noch gegen eine Anwendbarkeit. Auch die Frage der beihilferechtlichen Relevanz von Direktvergaben ist nicht geklärt. Da die Antragstellerin angedeutet hat, dass sie die Bereichsausnahme im GWB sowie § 14 HmbRDG für verfassungswidrig hält, wird sich möglicherweise auch das Bundesverfassungsgericht mit der Thematik befassen.