Wie politisch darf eine gemeinnützige Organisation sein?

Im Rechtstreit zwischen dem Trägerverein von ATTAC und der hessischen Finanzverwaltung hat das Hessische Finanzgericht (FG) am 26. Februar 2020 – 4 K 179/16 – das mittlerweile dritte Urteil in einer Prozessserie gefällt, nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 – V R 60/17 – das erste Urteil des hessischen Finanzgerichtes aus dem Jahr 2016 aufgehoben

Wie politisch darf eine gemeinnützige Organisation sein?

 

Im Rechtstreit zwischen dem Trägerverein von ATTAC und der hessischen Finanzverwaltung hat das Hessische Finanzgericht (FG) am 26. Februar 2020 – 4 K 179/16 – das mittlerweile dritte Urteil in einer Prozessserie gefällt, nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 – V R 60/17 – das erste Urteil des hessischen Finanzgerichtes aus dem Jahr 2016 aufgehoben hatte. Hintergrund des Rechtsstreits ist der zulässige Umfang einer gemeinnützigen Tätigkeit im Bereich der politischen Bildung sowie im Kern die Abgrenzung zwischen politischer Betätigung und gemeinnütziger Tätigkeit. Der BFH hatte im Gegensatz zum ersten Urteil des Hessischen Finanzgerichts den erlaubten Umfang der allgemeinpolitischen Betätigung von gemeinnützigen Organisationen im Bereich der politischen Bildung deutlich enger bestimmt.

Das FG musste nun aufgrund der rechtlichen Vorgaben des BFH den Sachverhalt neu beurteilen. Der Senat wies zwar im Ergebnis die Klage von ATTAC ab, sah aber erhebliche Mängel in der Begründung des BFH-Urteils und ließ deswegen die Revision erneut zu.

Der BFH hatte in seinem Urteil zuerst die Grundsätze der Abgrenzung von politischer Betätigung und gemeinnütziger Tätigkeit dargestellt. Nach Gesetz und ständiger Rechtsprechung ist ein politischer Zweck als alleiniger und ausschließlicher oder überwiegender Zweck weder in der Satzung einer gemeinnützigen Körperschaft zulässig, noch darf die Körperschaft ihn in der Umsetzung ihres Satzungszwecks tatsächlich verfolgen. Davon ausgenommen sind Einflussnahmen auf die politische Willensbildung und öffentliche Meinung, wenn eine nach § 52 Abs. 2 AO begünstigte Tätigkeit, z. B. zur Förderung des Umweltschutzes, im Einzelfall zwangsläufig mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist.

Das tagespolitische Geschehen darf hierbei nicht das Zentrum der gemeinnützigen Tätigkeit sein und werden, sondern muss der Umsetzung der gemeinnützigen satzungsmäßigen Ziele der Körperschaft dienen. Von diesen Grundsätzen ausgehend beschränkt der BFH die Reichweite der zulässigen, gemeinnützigen Förderung der (Volks-)Bildung im Bereich der politischen Bildung auf bildungspolitische Fragenstellungen. Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit, ist aber keine zulässige Betätigung, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.

Soweit sich eine gemeinnützige Organisation umfassend mit den demokratischen Grundprinzipien befasst und diese objektiv würdigt, darf sie insoweit auch auf tagespolitische Ereignisse zurückgreifen. Die Grenze von der steuerbegünstigten politischen Bildung zur verbotenen politischen Betätigung wird aber überschritten, wenn die entwickelten Ergebnisse durch Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung mittels weiterer Handlungen durchgesetzt werden sollen.

An dieser Stelle weicht das Hessische FG zum ersten Mal von der Begründung des BFH ab, indem es, auf sein erstes Urteil zurückgreifend, darauf hinweist, dass bei der Wahl der Mittel zur politischen Bildung auch die aktuellen gesellschaftlichen Realitäten einer informations- und medienüberfluteten Gesellschaft zu berücksichtigen sind, um den Bildungsauftrag überhaupt wirksam erfüllen zu können. Der BFH hatte demgegenüber einen herkömmlichen engen Bildungsbegriffs in Form der Vermittlung von Information durch theoretische Unterweisung zugrunde gelegt, so dass die öffentlichkeitswirksamen Kampagnen von ATTAC keine Vermittlung von Bildungsinhalten darstellen, sondern sich als Darbietung und Durchsetzung eigener Vorstellungen zu tagespolitischen Themen und als Einflussnahme auf die politische Willensbildung erweisen.

Im zweiten Teil seiner Urteilsbegründung legt das FG seine Bedenken gegen die Begründung des BFH-Urteils ausführlich dar. Zum einen erscheint die Ausgestaltung des Gemeinnützigkeitskataloges nach § 52 Abs. 2 AO unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als fragwürdig, da der Gesetzgeber durch die Aufnahme oder das Weglassen bestimmter Politikfelder im Katalog die politische Einflussnahme zugunsten eines ausdrücklich genannten Zweckes steuerlich fördert und zuungunsten eines nicht ausdrücklich genannten Zweckes diese Förderung unterlässt.

Der Katalog des § 52 Abs. 2 AO ist also schon aus sich heraus nicht politisch neutral. Zudem verweist das FG darauf, dass der BFH eine inhaltliche Definition der Förderung des demokratischen Staatswesens schuldig bleibt, da er die Förderung des demokratischen Staatswesens als Grundlage der politischen Bildung nur von der Verfolgung von Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art abgrenzt. Der Begriff des demokratischen Staatswesens lässt darauf schließen, dass die demokratische Staatlichkeit in ihren tragenden Prinzipien nur unter Rückgriff auf den Verfassungsbegriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und seiner tragenden Grundsätze bestimmt werden kann, so dass eine Verengung auf eine politisch neutrale Volksbildung diesen Begriff nicht inhaltlich ausfüllen kann.

Politische Betätigung Fazit

Das Hessische Finanzgericht teilt zwar die Grundaussagen mit dem BFH, weicht aber in einzelnen Punkten davon ab und kritisiert das Ergebnis und die Begründung des BFH unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten deutlich. Bis zu einem erneuten Urteil des BFH in dem bereits zugelassenen Revisionsverfahren wird noch einige Zeit vergehen. Derzeit wenden die Finanzbehörden die Grundsätze, die der BFH in seinem Urteil von 2019 aufgestellt hat, vorläufig bis Ende 2021 nicht an.

Nichtsdestotrotz darf als gesichert gelten, dass eine gemeinnützige Tätigkeit nach § 52 AO bei einer Betätigung einer steuerbegünstigten Körperschaft im politischen Raum noch zulässig ist, wenn die Beschäftigung mit politischen Vorgängen im Rahmen dessen liegt, was das Eintreten für die satzungsmäßigen Ziele und deren Verwirklichung erfordert und zulässt, die von der Körperschaft zu ihren satzungsmäßigen Zielen vertretenen Auffassungen objektiv und sachlich fundiert sind und die Körperschaft sich in der politischen Diskussion parteipolitisch neutral verhält und diese in geistiger Offenheit führt.

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