Personalunion von Einrichtungsleitung und Pflegedienstleitung im Fokus der Rechtsprechung

Einrichtungsleitung (EL) und Pflegedienstleitung (PDL) in einer Hand: Seit Beginn der Pflegeversicherung vor 30 Jahren ist das bundesweit gelebte Praxis, vor allen in kleineren Einrichtungen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat jüngst allerdings in seinem Beschluss vom 7. Februar 2025 – 12 B 988/24 – vorläufig entschieden, dass dieses Leitungsmodell für Nordrhein-Westfalen nicht zulässig sein soll. Ohne Not verwirft das OVG so vorläufig eine bewährte Struktur. Die Hauptsacheentscheidung steht indes noch aus.


Das Vorhandensein einer EL ist eine ordnungsrechtliche Anforderung, die im Jahr 1975 mit dem Heimgesetz begründet wurde. Alle Bundesländer haben diese Anforderung im Rahmen der Föderalisierung des Heimrechts in ihr jeweiliges Ordnungsrecht übernommen, auch Nordrhein-Westfalen mit § 21 Abs. 1 Satz 1 WTG (Einrichtungstyp der Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot).

Die verantwortliche Pflegefachkraft (PDL) kam im Jahre 1995 mit der Pflegeversicherung hinzu. Zum Teil wird die PDL auch im Ordnungsrecht erwähnt, so auch in Nordrhein-Westfalen. Von Anfang an war klar, dass EL und PDL zwar zwei Funktionen sind, die aus verschiedenen Rechtsquellen stammen, aber eine Person beide Funktionen gleichzeitig ausüben kann. In der Realität, in der Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung war das bislang völlig unstreitig. Ausführlich hatte unter anderem das Bundessozialgericht (BSG) geurteilt, dass es mit § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI im Einklang steht, wenn eine Person sowohl die Aufgaben der PDL als auch die Aufgaben der EL wahrnimmt (Urteil vom 22. April 2009–- B 3 P 14/07 R). Das BSG nannte ausdrücklich kleinere Einrichtungen als Anwendungsbereich für die Personalunion. Das einzige zu diskutierende Thema in diesem Zusammenhang war bisher die Frage, ab welcher Einrichtungsgröße eine Person allein es nicht mehr schafft, beide Funktionen zu bewältigen. Zum Teil gibt es dazu Vorgaben auf Gesetzes- oder Verordnungsebene. In Bayern etwa ist die Personalunion bis zu einer Größe von 60 Plätzen unproblematisch, in Mecklenburg-Vorpommern liegt die Grenze bei 80 Plätzen.

In dem vom OVG Münster entschiedenen Fall betreibt ein Träger zwei spezialisierungsbedingt sehr kleine Einrichtungen (beide jeweils unter 30 Plätze). In beiden Häusern ist seit geraumer Zeit jeweils eine Beschäftigte angestellt, die vor Ort in Personalunion die Funktionen der EL und der PDL ausübt. 

Die zuständige WTG-Behörde sah die Gefahr, dass ein Beschäftigter, der beide Funktionen innehat, in einen Interessenkonflikt geraten könnte. Eine reale Konfliktsituation gab es allerdings nicht und wurde auch von der WTG-Behörde nicht angeführt. Es geht um die reine Theorie.

Mit der Novelle des nordrhein-westfälischen WTG im Jahr 2019 wurde die Rolle der PDL gestärkt. § 21 Abs. 2 WTG erhielt einen neuen Satz 2. Danach ist die PDL in pflege- und betreuungsfachlichen Entscheidungen nicht weisungsgebunden; Maßstab ihres Handelns sind die individuellen Bedürfnisse der Nutzer. Wollte der Gesetzgeber damit die Kombination von EL und PDL zerschlagen? Dann hätte er das ins Gesetz geschrieben. Die Norm würde lauten: „Die EL darf nicht zugleich PDL der Einrichtung sein.“ So hat der Gesetzgeber aber nicht formuliert. Er spricht nur von der Weisungsfreiheit der PDL. Die Motive des Gesetzgebers sind gut dokumentiert: Er wollte der PDL im Konflikt mit einer Geschäftsführung oder Einrichtungsleitung in Bezug auf ihre Fachlichkeit den Rücken stärken. Das kann natürlich nur dann von Relevanz sein, wenn die PDL ein Gegenüber hat, das anderer Meinung ist. Gibt es keine gesonderte EL, muss sich die PDL in ihrer pflegefachlichen Entscheidung auch keiner (anderen) EL gegenüber behaupten, nur gegenüber der Geschäftsführung (oder bei einem Einzelunternehmen gegenüber dem Inhaber). Hier ist sie dank § 21 Abs. 2 Satz 2 WTG gestärkt. Der Gesetzgeber hatte aber eindeutig nicht im Sinn, eine bewährte Organisationsstruktur zu zerschlagen. 

Man kann aber noch grundlegender ansetzen: Den von der WTG-Behörde befürchteten Konflikt gibt es allein schon deshalb nicht, weil beide Funktionen demselben Leitbild folgen. Der 2019 für die PDL eingefügte § 21 Abs. 2 Satz 2 WTG beschreibt für die PDL als Maßstab ihres Handelns die individuellen Bedürfnisse der Nutzer. Das ist gar nicht neu: Seit 2014 steht im WTG (wie schon in Vorläufernormen) in § 4 (Allgemeine Anforderungen), dass „Maßstab für Leistungserbringung und Angebotsgestaltung im Rahmen der vertraglich vereinbarten Leistungen die individuellen Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer sein (müssen).“ Diesem Leitbild sind der Träger und alle Beschäftigten verpflichtet, und natürlich und zuvorderst auch die EL. Und umgekehrt arbeitet die PDL nicht in einem ökonomiefreien Raum, denn nach § 71 SGB XI stehen Einrichtungen unter ihrer ständigen Verantwortung – und Einrichtungen (und damit die PDL) unterliegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 84 Abs. 2 SGB XI. Maßstäbe und Leitbilder von EL und PDL sind somit ähnlich, fast gleich. Wo soll der Interessenkonflikt entstehen, der es gebietet, in die Organisationshoheit der Träger einzugreifen und eine bewährte Organisationsstruktur zu zerschlagen?

Sowohl das Verwaltungsgericht Düsseldorf als auch das OVG Münster bestätigen, dass die Befürchtung der WTG-Behörde weder im Wortlaut noch in der gut dokumentierten Gesetzesbegründung eine Stütze findet. Dennoch halten sie im Rahmen der teleologischen Auslegung den Interessenkonflikt für möglich. Vor diesem Hintergrund haben die Gerichte im Eilverfahren die Anordnung der WTG-Behörde gehalten. Das Hauptsacheverfahren ist noch nicht entschieden.
 

Praxis-Hinweis

Wenn WTG-Behörden in Nordrhein-Westfalen im Einzelfall eine Anordnung erlassen, die eine bewährte EL/PDL-Struktur zerschlägt, lohnt es sich, für die Fortexistenz des Modells zu kämpfen. Gleiches gilt, wenn eine solche Struktur neu eingerichtet werden soll. Die Beschlüsse der beiden Verwaltungsgerichte betreffen nur Nordrhein-Westfalen; andere Bundesländer sind mangels einer dem § 21 Abs. 2 Satz 2 WTG ähnlichen Norm nicht betroffen. Die Pflege muss sich wehren, wenn ihr Handlungs- und Organisationsspielräume genommen werden sollen. Beim Verbot der Personalunion ist es geradezu ein Treppenwitz, dass ausgerechnet der Gedanke, die Autonomie der Pflegefachlichkeit zu stärken, die Organisationsfreiheit schwächen soll.

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