Keine Beendigung einer Organschaft durch Anordnung vorläufiger Eigenverwaltung
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Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte bereits mehrfach entschieden, dass die Organschaft mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens endet. In seinem Urteil vom 27. November 2019 – XI R 35/17 – befasste sich der XI. Senat nunmehr mit der Fragestellung, ob dies bereits für die vorläufige Eigenverwaltung im Insolvenzeröffnungsverfahren gilt.
Die Klägerin ist als Organgesellschaft mit der Muttergesellschaft als Organträgerin durch eine umsatzsteuerliche Organschaft verbunden. Aufgrund einer Krisensituation waren beide Gesellschaften veranlasst, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen. Im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens verfügte das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung. Aus dem Katalog der Maßnahmen zur Sicherung der Insolvenzmasse ordnete das Gericht lediglich an, dass Maßnahmen der Zwangsvollstreckung untersagt bzw. einstweilen einzustellen sind, sofern nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind.
Der im Insolvenzeröffnungsverfahren in Eigenverwaltung zugeordnete vorläufige Sachwalter erhielt keine weiteren Kompetenzen zur Vermögenssicherung. In der Folgezeit wurde über das Vermögen beider Gesellschaften das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens führte einer der Geschäftsführer der Klägerin eine Neuorganisation des gesamten Zahlungsverkehrs durch und sah eine Freigabe für Zahlungen ausschließlich durch seine Person vor. Der vorläufige Sachwalter erhielt lediglich die Information über die durchgeführten Zahlungsströme.
Die Klägerin und Organgesellschaft war der Auffassung, die vorläufige Eigenverwaltung habe dazu geführt, dass die umsatzsteuerliche Organschaft entfallen sei. Daraus folgert sie bezogen auf einen bestimmten Zeitraum während des Insolvenzeröffnungsverfahrens eine ihr zustehende positive Umsatzsteuerschuld. Der Beklagte (das Finanzamt) stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass die Organschaft in der Streitperiode bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestanden habe.
Der BFH begründet seine Entscheidung, indem er die individuellen Gegebenheiten in der vorläufigen Eigenverwaltung mit denen während des eröffneten Insolvenzverfahrens vergleicht. In diesem Zusammenhang stellen die Bundesrichter zunächst klar, dass die umsatzsteuerliche Organschaft nach gefestigter Rechtsprechung mit Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens endet. Die durch Organschaft verbundenen Körperschaften hätten stets eigenständige Vermögensmassen und seien insoweit auch insolvenzrechtlich selbständig.
Mit Verweis auf die bisherige Rechtsprechung führt der BFH an, dass mit der Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens das Recht der insolventen Gesellschaft, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergehe. Daraus folgt nach Ansicht der Richter, dass die finanzielle Eingliederung keinen Bestand mehr hat.
Die finanzielle Eingliederung stellt im Ergebnis sicher, dass ein Organträger die gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsrechte gegenüber der Geschäftsführung oder dem Aufsichtsorgan der Organgesellschaft ausüben kann. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Stimmenmehrheit aus den Anteilen an der Organgesellschaft in Höhe von über 50 %. Mangels entsprechender Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Leitungsorgane ab Verfahrenseröffnung könnten, so der BFH, die Beteiligungsrechte damit nicht mehr entsprechend ausgeübt werden.
Auch die organisatorische Eingliederung habe mit Verfahrenseröffnung keinen Bestand mehr. Die für die organisatorische Eingliederung maßgebliche Verflechtung von Über- und Unterordnung liege regelmäßig vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft bestehe. Leitungsorgane der Organgesellschaft leisteten insoweit den Vorgaben der Leitungsorgane des Organträgers Folge. Gegenüber einem Insolvenzverwalter seien diese Vorgaben nicht mehr umsetzbar.
Die Sichtweise des BFH erscheint folgerichtig, denn der Insolvenzverwalter, der die Hoheit über die Vermögensgegenstände ausübt, die zur Insolvenzmasse zählen, wird in seinen Entscheidungen nicht mehr der Weisung des Mehrheitsgesellschafters bzw. seiner Leitungsorgane folgen. Dem Insolvenzverwalter kommt vielmehr der hoheitliche Auftrag zu, eine möglichst weitreichende Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten. Die vorgenannten Grundsätze gelten nach Ansicht des BFH auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung.
Daran könnte man zunächst zweifeln, denn bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren gerade nicht auf den Sachwalter über. Der BFH folgert seine Ansicht allerdings aus dem speziell für das Eigenverwaltungsverfahren geschaffenen § 276a InsO. Darin gibt der Gesetzgeber vor, dass ein Aufsichtsrat, eine Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners – der insolventen Gesellschaft – haben.
Die Bestellung der Geschäftsführung kann darüber hinaus nicht ohne Zustimmung des Sachwalters erfolgen. Der BFH verdeutlicht, dass sich die genannten Erwägungen für das Ende der Organschaft nach Verfahrenseröffnung nicht zwingend auf das vorläufige Insolvenzverfahren übertragen lassen. Der Senat stellt darauf ab, wie umfassend die Kompetenzen des vorläufigen Insolvenzverwalters sind.
Vor einer Verfahrenseröffnung sind die Geschäftsführer für das Vermögen der Gesellschaft üblicherweise eigenständig verantwortlich. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. dem vorläufigen Sachwalter (im Verfahren der Eigenverwaltung) kommt lediglich eine vom Insolvenzgericht vorgegebene eingeschränkte Kompetenz zu, die Masse zu sichern. Der BFH sieht jedoch dann ein Ende der Organschaft, falls dem vorläufigen Insolvenzverwalter ausnahmsweise die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen wird, womit er als sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter gilt. Die Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters ist selten, insbesondere weil sie mit einem erheblichen Haftungsrisiko des vorläufigen Insolvenzverwalters verbunden ist. Der BFH sieht allerdings auch ein Ende der Organschaft, sofern Entscheidungen der Geschäftsführung über Vermögensverfügungen unter den Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters gestellt werden.
Diese Grundsätze gelten auch bei einem Eröffnungsverfahren in Eigenverwaltung. Der BFH stellt diesbezüglich fest, dass eine Trennung der Vermögensmassen nicht erfolgt. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis stünde in der Eigenverwaltung weiterhin der Geschäftsführung zu. Eine überlagerte Pflichtenstellung bei den Gesellschaftsorganen, die im § 276a InsO für das eröffnete Verfahren gelte, sei ebenfalls nicht gegeben. § 276a InsO sei im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht anwendbar. Hinzu komme, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch ungewiss sei.
Der BFH merkt aber auch an, dass im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, einem vorläufigen Sachwalter die vorerwähnten weitgehenden Kompetenzen über die Masse zu gewähren. So sei es auch im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung möglich, dem Sachwalter eine allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zuzubilligen oder alternativ einen Zustimmungsvorbehalt vorzugeben.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die vorläufige Eigenverwaltung nur dann zu einem Ende der Organschaft führt, sofern dem vorläufigen Sachwalter weitgehende Sicherungskompetenzen zugewiesen sind. Der Fortbestand der Organschaft richtet sich damit nach einer Beurteilung im Einzelfall.
Keine Beendigung einer Organschaft durch Eigenverwaltung - Fazit:
Eine Sanierung durch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sollte stets sorgsam vorbereitet sein. Vor diesem Hintergrund sollte bereits im Rahmen der Insolvenzantragstellung Klarheit über die Marktbesonderheiten, die finanzielle Situation der Gesellschaft sowie über etwaige Sanierungsmaßnahmen bestehen. Die Gegebenheiten sind dem Insolvenzgericht bereits bei Antragstellung darzulegen. In diesem Zusammenhang ist es bei einer bestehenden Organschaft von Bedeutung, ob es angestrebt ist, die Organschaft vorerst beizubehalten. Sollte dies der Fall sein, wäre gegenüber dem Insolvenzgericht anzuregen, dass der vorläufige Sachwalter mit eingeschränkten Sicherungskompetenzen ausgestattet wird.